Exzellente Entqualifizierung

Seite 3: Elendsgeschichte "Exzellenzinitiative"

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Wo der Unmut derzeit am deutlichsten wird, ist in den Kommentarsektionen von Online-Petitionen an das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), von denen es in den letzten Jahren eine zunehmende Anzahl gegeben hat und auf die auch eine selbst finanzierte Studie zu den drastischen Folgen der Befristungspolitik aufbaut.3

Kommentarsektionen von Online- Petitionen sind semi-öffentlich, weil sie den Unterzeichnerinnen vorbehalten sind. Obwohl man also weiß, dass man sich hier unter Gleichgesinnten befindet, bleiben viele dennoch anonym, um sich so richtig Luft zu machen, etwa in der derzeit laufenden Petition gegen die geplante Neuauflage der Exzellenzinitiative, die eine dauerhafte Förderung nur einiger weniger "Spitzenunis" vorsieht: "Dieses Deutschland tötet die Bildung, die doch die Grundlage von allem ist, und öffnet nicht nur narzisstischen Gestalten, sondern auch als nicht-'exzellent' deklarierten Parallelwelten Tür und Tor. Ich geh kotzen."

Die erste Exzellenzinitiative, 2005 noch unter der SPD-Regierung angestoßen, hätte unter anderem Schwerpunkt - etwa "Wissensinitiative" - eine interessante Möglichkeit sein können, Hochschulen auch Europa-übergreifend und transnational durch die langfristige Einrichtung von Graduiertenschulen und Forschungszentren in Austausch zu bringen und das zweifellos überkommene, traditionell professoral dominierte System in Deutschland international stärker zu integrieren. Mit nachhaltigem Konzept, das zunächst einmal eine finanzielle Stärkung des laufenden Unibetriebes, das heißt besonders auch der Lehre, bedeutet hätte, wäre dies eine Chance zur Schaffung einer Vielfalt von Stellen und die überfällige Abschaffung der Habilitation gewesen (die die halbherzige befristete Juniorprofessur eher noch bestärkt denn wirklich in Frage gestellt hat).

Stattdessen wurde unter dem Eindruck einer global zunehmenden Inflation des Exzellenz-Begriffs ein Ad-hoc-Wettbewerb unter den Universitäten erzwungen, der der Professur als einzig unbefristeter Stelle ein nie dagewesenes Machtmonopol zuwies. Zugleich wurde vom US-amerikanischen System nicht etwa die Norm einer über sechs Jahre finanzierten Promotion (die maßgeblich die Qualität dortiger Forschung ermöglicht) übernommen, sondern einseitig nur der Elite-Gedanke, der sich dort in einer langen und durchaus kritikwürdigen Tradition miteinander konkurrierender privat finanzierter Elite-Universitäten manifestiert.

Weil solch fragwürdige Tradition nun mal nicht einfach plötzlich hergestellt werden kann, wurde der Wettbewerb auch noch in Rotation versetzt, das heißt, in jeder Antragsrunde konnten sich Hochschulen mit extrem aufwändigen Anträgen erneut um das Exzellenz-Etikett bewerben, was nicht nur bedeutete, dass eine Uni mal exzellent war und mal nicht. Das allein wäre noch durchaus realitätsnah gewesen.

Das Grundproblem bestand von Anfang an darin, dass dieser rein Drittmittel-orientierte, massiv beworbene Wettbewerb dazu genutzt wurde, Investitionen in die Ausstattung von Universitäten mehr oder weniger zu ersetzen, so wie die stolz hergezeigte anschwellende Anzahl der Studierenden die Investitionen in ihre Lehrenden ersetzte. Das heißt: Statt zusätzlich zu einem festen Budget der Hochschulen einen Topf aufzustellen, um den sich die bewerben können, die glauben, eine besonders förderungswürdige Forschungsidee zu haben, wurde ein Topf in die Mitte gestellt, um den sich alle keilen müssen, um für die nächsten paar Jahre überhaupt noch eine Ausstattung mit Forschungsbudget und befristeten Stellen zu bekommen. Survival of the Fittest goes University.

Wenig überraschend steht dabei die Erfolgsquote von rund 20 Prozent in keinem gewinnbringenden Verhältnis zur erforderlichen Anstrengung, wie eine Professorin, namentlich, in der oben erwähnten Kommentar-Sektion beschreibt: "Mehrere Antragsrunden machen die Vorarbeit sehr aufwändig und weisen extrem geringe volkswirtschaftliche Effizienz auf. Berechnet man die durch alle Antragsteller geleisteten Arbeitsstunden für eine Antragstellung, ist schnell erkennbar, dass nicht selten die Kosten aller Antragsteller für die Antragstellung höhere kalkulatorische Kosten aufweisen, als die Fördersumme darstellt. Zumindest aber betragen die Kosten der aufgrund der geringen Zuteilungsquote häufig umsonst getätigten Antragstellung nicht selten einen großen Anteil des Förderbetrages." Heißt: Es wird viel Geld und Zeit dafür verschwendet, befristet angestellte Forscherinnen nicht mit ihrer Forschung zu beschäftigen, sondern mit Anträgen auf Forschung, die wahrscheinlich nie stattfinden wird.

Zum anderen bedeutet diese Praxis nicht nur eine enorme Bürokratie und die buchstäbliche Produktion massenhaft nicht-abgeschlossener eigentlicher Forschung, sondern auch eine gigantische Verschleuderung von geschaffener Infrastruktur, weil unter dem Exzellenz-Etikett eingerichtete Institutionen brachliegen und woanders neu aufgebaut werden müssen, wenn das Etikett weiterwandert. Wenn nun anstelle der Hochschulen insgesamt die Förderung nur einiger "Spitzenunis" verstetigt werden soll, da die manisch gesuchte, international kompetitive Elite endlich gefunden scheint, während das Antragsrennen weitgehend erhalten bleibt, heißt das nichts anderes, als dass der in die Mitte gestellte Topf zu einer Seite verrückt wird und der Rest umso verzweifelter und entsolidarisierter den Kampf gegen den Abstieg in die vollends unterfinanzierte zweite Liga austragen darf.

Sicher haben zehn Jahre Exzellenzinitiative auch vernünftige Forschungsergebnisse hervorgebracht. Es darf aber geargwöhnt werden, dass diese auch ohne den getriebenen Aufwand zu erzielen gewesen wäre, wie es ein anderer Unterzeichner der Petition gegen die neue Exzellenzinitiative tut, der unter Rückgriff auf verschiedene internationale Quellen argumentiert, dass, "was die Forschung alleine angeht, überhaupt kein Effekt zu sehen ist". Es ist in diesem Zusammenhang denn auch vielfach bezweifelt worden, wie besagte "Spitzenunis" zustande gekommen sind. Denn es liegt auf der Hand, dass ein gesunder Wettbewerb um die interessantesten Forschungsideen und die vielbeschworenen "besten Köpfe" es schwer hat, wenn die Angst regiert vor dem Entzug oder der Verweigerung der Exzellenz-Gelder.

Was sich etabliert hat, ist ein oft nichtssagender Antragsjargon, der mit vielen aktuell hippen Termini um sich wirft, sich mit endlosen Literaturverweisen absichert und die zu erwartenden Ergebnisse der Forschung schon im Vorfeld herbetet, um ja niemandem, der im Auswahlgremium sitzt, auf die Füße zu treten und um zu suggerieren, dass die Forschung am besten schon übermorgen zu einer top-ranked Publikation führen und statistisch verwertet werden kann.

Nicht Innovation und Originalität werden belohnt, sondern vorauseilender Gehorsam und monetäre und publikatorische Quantität, wie ein anderer Professor, auch er namentlich, mit mittlerweile unverhohlener Frustration im Kommentar zur Petition beschreibt: "Schon seit ihrer 1. Runde befördert die sog. Exzellenzinitiative den unsäglichen Trend, dass Forschung nicht nach der inhaltlich-fachlichen Güte erzielter Ergebnisse beurteilt wird, sondern nach der Schwülstigkeit der Antragsprosa, [der] Anzahl der Veröffentlichungen (kein Bezug zum Inhalt) und die monetäre Höhe der vorher schon eingeworbenen Drittmittel (kein Bezug zum Inhalt, sondern wieder nur Versprechen auf die Zukunft in schwülstiger Antragsprosa). An diese völlig pervertierte Situation haben wir uns fatalerweise schon so gewöhnt, dass wir sie fast normal finden. Die unglaublichen Mengen an sinnloser Zeit, die dieses System beim Schreiben und Beurteilen dieser inhaltsleeren Antragsprosa frisst, sollten uns allerdings aufschrecken lassen."

Es zeigt sich ein kontraproduktiver Kreislauf, der unweigerlich jene zuerst ausspuckt, die sich auf ihren befristeten Stellen von ihrer Professorin zur Mitarbeit an einer wahrscheinlich erfolglosen Antragstellung haben verpflichten lassen (müssen), weil sie selbst nicht mehr dazu kommen, die Menge an Publikationen zu erreichen, die willkürlich als Norm gesetzt wird. Es zeigt sich aber vor allem ein völliges Abdriften in die reine Quantifizierung von Forschung, ein sinnentleertes Stieren auf Zahlen und Statistiken und eine ganze Industrie von Evaluationen und Re-Evaluationen, die der Forschung nicht nur ihre Zeit stiehlt, sondern die dem freien Denken und Nach-Denken und dem spannenden Risiko des Noch-nicht-Wissens, das Forschung ausmacht, rigoros die Luft abdrückt.

Von der Leidenschaft zur Wissenschaft - und ihrer Zerstörung

Trotz, oder wegen, der zerstörerischen Experimente an ihrem Berufsstand lassen sich zumal fortgeschrittene Wissenschaftlerinnen noch nicht so leicht davon überzeugen, dass sie ihren Beruf im Zweifelsfall ebenso wechseln können wie anders oder gar nicht Qualifizierte, denn er hat immer noch etwas mit Berufung zu tun, mit einer nicht ablegbaren Existenz. Max Weber, der schon 1919 sowohl von der Leidenschaft als persönlicher Voraussetzung des Wissenschaftlers wie auch von seinen bemerkenswert unabgesicherten Arbeitsbedingungen in Deutschland im Vergleich zu den USA schrieb, wird aber auch von Kolleginnen immer wieder gern bemüht, um auf eine quasi-kulturelle Besonderheit und damit vermeintlich auf eine Unabänderlichkeit des deutschen Systems zu verweisen - und sich in ihr Schicksal zu fügen. Als hätte es 100 Jahre Politik seither nie gegeben.

Dass diese aktuell wiederum doch im Vergleich zu anderen Ländern viel mehr in die Sozialsysteme einzahle, ist anderen immer noch ein Ausweis für einen funktionierenden Sozialstaat und nicht für die Tendenz, zunehmend auch Hochqualifizierte mit Hartz IV abzuspeisen, statt ihnen aus sprudelnden Steuergeldern vernünftige Gehälter zu zahlen. Wer aber, wie ich, entnervt zum Jobcenter geht, um zumindest ebendieses Hartz IV als eine Art minimales Grundeinkommen für fortwährend geleistete akademische Arbeit zu beanspruchen, erfährt den eigentlichen Skandal.

Seit 2012 haben sich im Zuge einer öffentlichen Debatte über die "Arbeitsunwilligen" die von Jobcentern ausgesprochenen Sanktionen gegen ihre "Kundinnen" bei gleichzeitig abnehmenden Zahlen von Hartz-IV-Empfängerinnen verschärft. Es reicht dem Staat nicht mehr, unbezahlte Wissenschaftlerinnen, die eben nicht als Berufstätige oder Selbstständige gelten, als eine Art Bodensatz der Exzellenz auf Hartz IV zu parken. Dies ermöglicht immer noch ein Mindestmaß an akademischer Freiheit, vor allem das Publizieren, das unter anderem Voraussetzung für das Einreichen unabhängiger Forschungsanträge bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und verschiedenen Stiftungen ist.

Das aber ist offenbar immer weniger gewollt, denn es bedeutet potentiell zusätzliche Mitesser am verkleinerten akademischen Futtertrog und eine unangenehme Sichtbarkeit in der Arbeitslosenstatistik. Stattdessen findet sich im Jobcenter die Fortsetzung der exzellenten Quantifizierung mit anderen Mitteln, indem die erzwungene akademische Entqualifizierung sich an die Auslöschung von Existenz macht, die über die zählbare, bzw. dann nicht mehr zählbare, materielle Existenz hinausgeht. Das heißt, meine wissenschaftliche Existenz muss gelöscht werden, um mich aus der Arbeitslosenstatistik zu löschen. Klick. Unfriended by your State.