FDP setzt auf Auto-Nostalgie statt zukunftsfähige Städte
Die FDP fordert mehr Autos in Innenstädten und weniger Fahrradstraßen. Experten warnen jedoch vor negativen Folgen für Lebensqualität und Einzelhandel.
Die FDP, die sich mit ihrer Verweigerung von Tempolimits auf Autobahnen und gegen ein Zulassungsverbot für Verbrenner als Freund des kleinen Mannes profilieren will, hat jetzt rechtzeitig vor den Landtagswahlen im Osten nochmals eine Schippe draufgelegt. Die Rückkehr zu den Träumen des Wirtschaftswunders in der Nachkriegszeit soll die Wirtschaft retten.
Im Sinne der freien Fahrt für freie Bürger fordert man mehr grüne Wellen mithilfe von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz sowie möglichst kostenloses Parken in den Städten. Zum Ausgleich wünscht man sich weniger Fahrradstraßen und keine neuen Fußgängerzonen.
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai lässt sich von der Bild am Sonntag am vergangenen Wochenende wie folgt zitieren:
Wir brauchen keine Anti-Auto-Politik, die mit immer neuen Beschränkungen und Verboten arbeitet.
Das Auto bleibe nach seinem Verständnis in Deutschland ein wichtiger Bestandteil der individuellen Mobilität und Freiheit.
Mehr Autos in der Innenstadt als Lösung für das Ladensterben?
Viele Einzelhandelsgeschäfte finden keinen Nachfolger und die Konkurrenz des Onlinehandels gibt ihm dann den Rest. Der Niedergang des Einzelhandels schlägt inzwischen besonders heftig bei den Modeketten zu. Auch der Wandel hin zum Casual Look nicht nur am Freitag trägt zum Verschwinden des Modeeinzelhandels bei. Zuletzt mussten die Modemarken Hallhuber, Madeleine und Peter Hahn Insolvenz anmelden.
Auch für die Kaufhäuser sind die Aussichten eher mau. Die letzten beiden Kaufhof und Karstadt müssen jetzt nach mehrfacher Insolvenz und 680 Millionen Euro aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) des Bundes ohne ihre traditionellen Namen neu anfangen.
Nur die drei Luxuskaufhäuser um das KaDeWe in Berlin haben bei der Central-Group aus Bangkok eine neue Heimat gefunden. Dort hat man seit Jahren Erfahrung mit riesigen, klimatisierten Indoor-Shopping-Welten, welche auf Fußgänger weitgehend verzichten können.
Die Innenstädte ächzen unter der Hitze
Da vor allem Materialien wie Asphalt, Beton, Glas und Metall tagsüber die Wärme speichern und sie abends wieder abgeben. Dadurch kühlen Städte nachts langsamer ab und bleiben wärmer als das Umland. Wenn jetzt zusätzliches Blech als Zeichen der Freiheit die Innenstädte bevölkern soll, kann das für die betroffenen Menschen gefährlich werden, sobald sie ihr klimatisiertes Umfeld verlassen.
Hohe Temperaturen steigern unter anderem das Risiko von Hitzschlägen und belasten das Herz-Kreislauf-System. Bis 2050 könnten europaweit pro Jahr bis zu 90.000 Menschen aufgrund der Hitze sterben, meldete das Robert-Koch-Institut schon im vergangenen Jahr.
Die wichtigsten Maßnahmen in den Städten wären eine konsequente Entsiegelung der Flächen und deutlich mehr Grün. Dass dies sich nicht mit einem höheren motorisierten Individualverkehrsaufkommen verträgt, sollte nicht so schwer zu verstehen sein. Für die Bürger, die nicht nur zum Shoppen in die Stadt kommen, sondern dort leben, werden die Städte damit keinesfalls lebenswerter.
Um die Städte auch in Zeiten des Klimawandels zukunftstauglicher zu machen, trat am 1. Juli 2024 das erste bundesweite Klimaanpassungsgesetz in Kraft. Damit soll Deutschland einen verbindlichen Rechtsrahmen für die Klimaanpassung des Bundes, der Länder und der Kommunen erhalten.
So sollen Länder und Gemeinden ermutigt werden, weniger Flächen zu versiegeln. Zudem verlangt das Gesetz von den Ländern, regelmäßig die Klimarisiken für Städte und Landkreise zu analysieren.
Was jetzt noch fehlt, ist eine Klimaanpassungsstrategie, welche die konkreten Ziele festlegt. Als Nebeneffekt soll der Bund künftig regelmäßig Daten zu Schadenssummen erheben, welche auf Schäden durch Wetterextreme zurückzuführen sind.
Offensichtlich hat auch die Politik in Berlin inzwischen erkannt, dass es für einen erfolgreichen Klimaschutz inzwischen später als fünf vor zwölf ist und man schnellstmöglich dafür sorgen sollte, sich an das anzupassen, was man offensichtlich nicht mehr verhindern kann.
Nutznießer der FDP-Vorschläge wären die Einwohner aus den grünen Speckgürteln
Während die Einwohner der Innenstädte, die schon jetzt unter hohen Mieten leiden, von den zusätzlichen Blechlawinen eher belastet werden, werden die Einkaufsfahrten in klimatisierten SUVs für die Bewohner der exklusiven Wohngebiete am Rande der Städte, wo die Wähler der FDP ihr Zuhause haben, durch grüne Welle und günstiges Parken in der Innenstadt, signifikant erleichtert.
Bei der Klientelpartei FDP scheint sich jedoch der Irrglaube verfestigt zu haben, dass man mit mehr Individualverkehr in den Innenstädten mehr wirtschaftliche Stärke bringt. Im Wettbewerb mit dem Onlinehandel haben die Innenstädte nur dann eine Chance, wenn die Leute sich in den Innenstädten auch gerne aufhalten.
Händler in städtischen Einkaufsstraßen glauben oft, ein Großteil ihrer Kundschaft komme mit dem Auto und fordern daher einen Rückbau der Fußgängerzonen, um gegen den Leerstand anzukämpfen. Dabei unterliegen die Vertreter des Handels offensichtlich einer Fehleinschätzung, welche von der FDP jetzt übernommen wurde.
So schätzten in einer Studie des Instituts für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam 145 Einzelhändler aus zwei Berliner Einkaufsstraßen – dem Kottbusser Damm und der Hermannstraße – den Anteil der Autofahrer unter ihren Kunden auf 22 Prozent.
Tatsächlich waren es aber nur 7 Prozent, wie eine weitere Erhebung unter rund 2.000 Einkaufenden ergab. Die große Mehrheit war zu Fuß (52 Prozent), mit dem Fahrrad (15 Prozent) oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln (26 Prozent) unterwegs. Insgesamt waren Nichtautofahrer für 91 Prozent der Gesamtumsätze verantwortlich.
Manager Magazin, September 2021