Fällt Code unter die Redefreiheit?

Die Expertenanhörung im DeCSS-Prozess läuft

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"Amendment I: Congress shall make no law (...) abridging the freedom of speech (...)"Dieses einfache Gesetz garantiert in Amerika die Redefreiheit weitaus umfassender als z.B. der Art. 5 des deutschen Grundgesetzes, bei dem das Recht auf freie Meinungsäußerung durch allgemeine Gesetze eingeschränkt werden kann. Die derzeit in den USA gerichtlich anstehende Frage ist deshalb: Dürfen US-Bürger auch in Perl oder C++ sagen was sie wollen? Oder fallen Äußerungen mittels Programmiersprachen nicht unter die Redefreiheit und können damit durch Gesetze im Bedarfsfall verboten werden?

Eric Corley von 2600 Enterprises, ein Unternehmen, das aus einem der ersten Hacker-Fanzines hervorging und die Motion Picture Association of America streiten vor Gericht um das Recht auf freie Meinungsäußerung. Corley hatte auf seiner Homepage DeCSS (De-Content-Scramble-System) ein Programm zur Überwindung des DVD-Codes bereitgestellt, gegen die MPAA im Januar 2000 eine einstweilige Verfügung erwirkte. Möglich machte dies der 1998 vom Kongress verabschiedete Digital Millenium Copyright Act (DMCA), der selbst das Anbieten von Wegen zur Umgehung einer Verschlüsselung unter Strafe stellt. Der DeCSS-Prozeß ist ein erster Test, ob der DMCA gegen die amerikanische Verfassung verstößt. Daraufhin stellten andere Personen diese Anleitung zur Verfügung, auf die Corley auf seiner Webseite mittels Hyperlinks verwies. Die MPAA erreichte, dass auch gegen diese Links eine gerichtliche Verfügung erlassen wurde. Corley fand schnell Unterstützung bei der EFF, die ihm Anwälte zur Seite stellte. Dass sich der Schutzbereich des Rechts auf freie Meinungsäußerung auch auf Software erstreckt, ist ein Anliegen, das die EFF auch im Fall einer Klage der DVD Copy Control Association gegen etwa 70 Betreiber von Webseiten, die DeCSS zum Download zur Verfügung gestellt hatten, unterstützt vgl.:Mit der Verfassung gegen die DVD-Industrie

Bis zur Anhörung des Informatik-Professors David S. Touretzky von der Carnegie-Mellon-Universität am letzten Dienstag war Bezirksrichter Lewis A. Kaplan, der eine gerichtliche Verfügung erlassen hatte, der Auffassung, dass ein Programm ebenso wenig Meinungsäußerung sei "wie ein Autoschlüssel." Touretzky hatte neben Programmcode in C auch lange Beschreibungen dieses Codes in Englisch und ein mit Code bedrucktes T-Shirt in die Beweisführung eingebracht. Schon als der in Verschlüsselungssoftware enthaltene RSA-Algorithmus von der US-Regierung als "Kriegswaffe" mit einem Exportverbot belegt wurde, hatten T-Shirts mit Perl-Script, das den Algorithmus enthielt, eine breitere Öffentlichkeit auf die Absurdität des Verbots aufmerksam gemacht.

Touretzky bezeichnete Software als seine "bevorzugte Ausdrucksform" und gab zu bedenken, dass ihm bei einer Entscheidung zugunsten der Medienindustrie bestimmte Formen der Äußerung verboten wären. Richter Kaplan meinte daraufhin, dass die Argumentation, Programmcode enthalte überhaupt keinen Ausdrucksanteil, wohl schwer aufrechtzuerhalten sei. Eine Entscheidung wird bald nach den Plädoyers am 8. August erwartet.

Besondere Brisanz kommt der Entscheidung zu, weil die besagte DeCSS-Software nicht in erster Linie der Anfertigung von Kopien dient, sondern das Abspielen von DVDs auf Linux möglich macht. Der 15-jahrige Norweger Jon Johansen hatte das Programm letzten Herbst zusammen mit Freunden über das Netz entwickelt. Die Medienindustrie hatte keine Software für die Benutzung von DVDs unter Linux zur Verfügung gestellt. Der Anwalt der Medienindustrie, Leon Gold, konnte keinen einzigen Fall nennen, in dem das DeCSS zur Herstellung von Raubkopien benutzt worden wäre. Seine Rechtsauffassung:"Wir müssen das nicht beweisen, wir wollen es verhindern"