Fake Politicians

Über die Selbstzerstörung der Demokratie in Österreich

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Dass Politik ein ungemein schmutziges Geschäft ist und es dem politischen System nicht um das Land oder die Menschen geht, sondern selbstreferentiell nur um sich selbst - das wurde bis vor wenigen Tagen als unwissenschaftliche Behauptung zumeist rechtsdemagogischer, die Demokratie ablehnender Quellen diskreditiert.

Die jüngsten Ereignisse in Österreich, die Silberstein- oder Facebook- und seit zwei Tagen nun auch SMS-Affäre, beweisen das Gegenteil und fördern erstmals in der jüngeren Geschichte westlicher Demokratien ein einmaliges Anschauungsmaterial über Abgründe zu Tage, die bis vor kurzem eben nur in Verschwörungstheorien ihren Platz fanden.

Der größte Polit-Skandal der Zweiten Republik: Eine Rekonstruktion der bisherigen drei Akte

Der österreichische Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) sprach am 6.10. in den österreichischen Tageszeitungen vom "größten politischen Skandal der Zweiten Republik", der sich hier abzeichne. Natürlich meinte er damit nicht, dass die SPÖ schon im Jahr 2016 den umstrittenen israelischen Dirty-Campaigning-Spezialisten Tal Silberstein engagiert hat, offenbar den internationalen Experten für ein manipulatives Kaputtmachen der politischen Gegner. Kern meinte auch nicht das Betreiben zweier gegen die ÖVP gerichteter, ungemein peinlicher und plumper Facebook-Seiten durch Silbersteins Team mit zahllosen verhöhnenden Fotomontagen des Gegners.

Er meinte die in der Folge dieser Enthüllung aufgekommenen Vorwürfe, dass die ÖVP versucht habe, einen SPÖ-PR-Mann aus dem Team Silbersteins während der bereits laufenden Kampagne als Spitzel, als "Geheimagenten" innerhalb der Silbersteinschen Geheimtruppe zu beschäftigen. Dieser Vorwurf ist bis heute nicht bewiesen, das Dirty Campaigning Silbersteins hingegen schon.

Erster Akt

"Silberstein-Affäre": Die SPÖ holt sich im Oktober 2016 den internationalen Experten für Dirty Campaigning, Tal Silberstein, für geheime Operationen.

You-Tube-Video - und hoffentlich kein Fake

Zweiter Akt

"Facebook-Affäre": Silberstein launcht mit seinem österreichisch-israelischem Geheimteam für die SPÖ Ende Juni 2017 zwei Facebook-"Fan"seiten über den ÖVP-Spitzenkandidaten Sebastian Kurz.

Quelle: Archiv der "Presse". Screenshot der mittlerweile offline gegangenen Facebook-Seite "Die Wahrheit über Sebastian Kurz" vom 12. August 2017. ÖVP-Spitzenkandidat Sebastian Kurz wurde über Wochen als "Fakebasti" bezeichnet und in ordinären Fotomontagen bloßgestellt.

Dritter Akt

"SMS-Affäre": Die ÖVP hat angeblich dem Silberstein-Mitarbeiter Peter Puller 100.000,-- Euro angeboten, um "überzulaufen" oder als Agent der ÖVP im SPÖ-Team eingeschleust zu sein.

Quelle: Nachrichtenmagazin "profil". Gefakte SMS- und WhatsApp-Screenshots hat die Silberstein-Truppe über Wochen viral via Facebook in Umlauf gebracht. Im Telepolis-Gespräch bestätigt der profil-Redakteur, diesen SMS-Verkehr selbst am Handy des Silberstein-Mitarbeiters gesehen zu haben. Er beweist jedoch nicht den ganzen Vorwurf.

Vierter Akt

Die WhatsApp-Affäre.

Fünfter Akt

Wird wohl bald geleakt werden.

Der Inhalt, nicht der Überbringer der schlechten Nachricht war zuerst

In der Mediengesellschaft gilt oft der Überbringer der schlechten Nachricht als der Böse. Primordial ist aber der Verursacher, sind die Akteure aus der schlechten Nachricht. Evident ist, dass jeder Informant an die Medien, jeder Whistleblower, jeder Aufdecker selbst ein Ziel hat, und sei es nur ein Ökonomisches. Das ist aber nachrangig und kausal meist nachher in Relation zum Anlass der Berichterstattung (außer, eine Story wäre frei erfunden).

Dirty Campaigning im aktuellen österreichischen Wahlkampf hat nicht damit begonnen, dass ein dubioser PR-Mann eindeutig zweideutige SMS vorlegt, um einen Spitzel- oder Abwerbeversuch zu beweisen. Dirty Campaigning hat im Oktober 2016 mit dem Engagement Silbersteins und im Juni 2017 mit dem Launchen zweier Facebook-Seiten gegen den politischen Kontrahenten, die ÖVP, begonnen bzw. seine Fortsetzung gefunden.

SPÖ-Bundeskanzler Christian Kern interessiert, wie es dazu kommen konnte, dass immer wieder interne SPÖ-Wahlkampfunterlagen den Medien zugespielt wurden. Das ist in der Tat interessant. Noch interessanter aber ist es, dass in diesen Wahlkampfunterlagen überhaupt Belastendes bis Hochbrisantes zu finden war. Dazu schadet ein genauer Blick auf den nunmehr offengelegten Vertrag zwischen der SPÖ und Tal Silberstein nicht. Silbersteins auf den Rechnungen an die SPÖ angegebene Webseite www.gcs3.com existiert übrigens nicht mehr und leitet auf die Nachfolger-Agentur Kramer Davidovich um.

Neue Jobs in der Manipulativbranche: Polit-Söldner & False Flag-Contentproduzenten

Spin-Doktoren und Politberater waren gestern. In der Figur des Polit-Söldners steht der typisch österreichische Nachkriegswendehals wieder auf, dem Ideologie, Gesinnung oder Inhalte egal sind. Einer von diesen hat bereits für die ÖVP und die NEOS gearbeitet, hat bei den NEOS Silberstein kennengelernt und arbeitet nun für die SPÖ - ohne, siehe SMS-Affäre, die Kontakte zur ÖVP abgebrochen zu haben.

Voraussetzung für dieses "Handwerk" ist es also, selbst keine Gesinnung zu haben oder diese von der Arbeit strikt trennen zu können. So oder so produziert der Polit-Söldner damit Lügen im klassischen Sinne der Definition: Er redet und handelt anders, als er denkt. Das Ergebnis eines solchen Tuns ist ungemein dürftig, ja erbärmlich, wie die Facebook-Seiten zeigen.

Peter Puller wurde, angeblich mit einem 11 Personen starken Team, von Silberstein bezahlt und nicht von der SPÖ. Das mag wiederum ein bewusster Schachzug der Partei gewesen sein. Denn die SPÖ hat an Silberstein innerhalb eines Jahres 360.000 Euro Honorar überwiesen. Vielleicht wollte die SPÖ ja genau das so tarnen: dass ein Teil dieses Geldes für Dirty Campaigning verwendet wird?

Neben Polit-Söldnern, die die Farben der Parteien wie Unterwäsche wechseln, braucht es auch False-Flag-Contentproduzenten, die ihre demagogischen und nicht einmal lustigen Sprüche und ihre plumpen Photoshop-Montagen genauso produzieren, dass es den Anschein erweckt, ein anderer - in diesem Fall die FPÖ - stecke hinter der ganzen Sache. Man wird nicht die Intelligentesten der Branche für ein solches Vorhaben gewinnen können.

Geleakte SMS, Signal-Messenger-Gruppen, Facebook-Fakes: Die Rolle der neuen und sozialen Medien

Bei der Affäre geht es immer auch um den Mediengebrauch: sei er manipulativ, sei er unklug, sei er selbstdestruktiv. Es geht etwa um die Möglichkeit, Vertraulichkeit zu dokumentieren und zu brechen (siehe Veröffentlichung von SMS-Kommunikation), es geht um die Möglichkeit zur verschlüsselten Kommunikation, wenn es um verdeckte Operationen geht (etwa über die Kommunikationsapp Signal), es geht um die Möglichkeit, eine Facebook-Seite ohne Impressumspflicht anonym ins Leben zu rufen und mit Facebook Ads für virale Verbreitung innerhalb der Zielgruppen zu sorgen. Es geht also um ein Versagen oder Beherrschen des Spiels auf der Klaviatur der modernen Netzmedien und der sozialen Medien. Facebook ist nicht schuld an der österreichischen Facebook-Affäre. Aber Facebook täte gut daran, in Konsequenz aus den Vorkommnissen in Österreich einige Spielregeln zu ändern, etwa die Impressumspflicht einzuführen oder Kreditkarten-Besitzer genauer zu überprüfen.

Historisch einmaliges Anschauungsmaterial für die empirische Medienforschung

Der Medienwissenschaft liegen mit dem gesicherten Material der drei Facebook-Seiten "Wir für Sebastian Kurz", "Die Wahrheit über Sebastian Kurz" und "Die Wahrheit über Christian Kern" jedenfalls hunderte Seiten historisch einmaliges Anschauungsmaterial für Inhaltsanalysen und Autorschaftsanalysen vor. Einen ersten Versuch gibt es bereits.

Die Berichterstattung zu den Affären seit 29.09. ist zusätzlich ein einmaliger Gegenstand für die Wissenschaft. Das Ziel kann auch hier nur sein: Kluge Aufarbeitung in der Hoffnung, dass es so weit nie wieder kommen wird. Das, was in Österreich am 29.09.2017 publik gemacht wurde, zerstört die Demokratie und alle Hoffnungen auf ein rationales Agieren unserer "Volksvertreter". Nicht dass es publik gemacht wurde, ist das Problem, sondern das Was.

Stefan Weber ist Uni-Dozent, Medienwissenschaftler und Plagiatsgutachter in Österreich.

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