Fall Amri: Manipulationen durch die Polizei ziehen immer weitere Kreise
Seite 3: Unterlassungen, die die Polizei aber im Nachhinein als gerechtfertigt erscheinen lassen will
- Fall Amri: Manipulationen durch die Polizei ziehen immer weitere Kreise
- "Gewerbsmäßiger, bandenmäßiger Drogenhandel"
- Unterlassungen, die die Polizei aber im Nachhinein als gerechtfertigt erscheinen lassen will
- Fluchtweg immer noch nicht lückenlos rekonstruiert
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Sollte genau das alles vermieden werden? Fakt ist: Ein Haftbefehl wurde im Herbst 2016 nicht beantragt. Die Telefonüberwachung endete im September 2016, die Observation schon im Juni 2016. Es gab also Unterlassungen, die nicht gerechtfertigt waren, die die Polizei aber im Nachhinein als gerechtfertigt erscheinen lassen will.
Für ein bestimmtes Motiv des Handelns der Beamten will Jost "keine belastbaren Erkenntnisse" haben, auf Einflussnahmen von außen keine Hinweise, ebenso wenig auf "flächendeckendes Fehlverhalten von Polizei und LKA". Sollten lediglich "eigene Versäumnisse verschleiert" werden? Dass die Manipulationen "versehentlich" vorgenommen wurden, hält er aber für "wenig wahrscheinlich".
Dagegen spricht auch, dass dem Sonderbeauftragten des Senates nach Redaktionsschluss seines Zwischenberichtes weitere Unregelmäßigkeiten bekannt wurden. Unter anderen ein dritter Bericht über die Delikte Amris. Wo er ihn fand, wollte Jost nicht sagen, da dazu ein Verfahren anhängig sei. Er erklärte nur: "Ich habe ihn gefunden, wo ich es nicht erwartet hätte."
Verfahren "wegen Versuchs der Beteiligung an einem Tötungsverbrechen"
Jedenfalls: Spätestens Anfang November 2016, so der Sonderermittler und frühere Bundesanwalt, der selber einmal Leiter einer Rauschgiftabteilung war, hätten der Staatsanwaltschaft die kriminellen Geschäfte Amris durch die Polizei mitgeteilt werden können und müssen. Das sei umso unerklärlicher, als gegen Amri Monate vorher, im März 2016, in Berlin ein Verfahren "wegen Versuchs der Beteiligung an einem Tötungsverbrechen" eingeleitet worden war. Das wiederum ging zurück auf Ermittlungen des Generalbundesanwaltes wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung.
Amri - eine vielfach aktenbekannte Person also, selbst bei den obersten Staatsanwaltschaften.
In seinen Ausführungen thematisierte der Vertreter der Bundesanwaltschaft, Thomas Beck, diese Verbindungen mit keinem Wort. Er referierte einerseits inzwischen Bekanntes zu dem Anschlag, andererseits kann seine Behörde grundlegende Fragen zu den Abläufen und Hintergründen bisher nicht beantworten.
Woher kam die Waffe?
Ab Ende November 2016 habe Amri den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche ausgespäht. Am Tattag, dem 19. Dezember, traf er sich am Nachmittag mit zwei Personen. Am Abend besuchte er die Fussilet-Moschee, die er gegen 19 Uhr wieder verließ. Was er dort wollte, ist nicht geklärt. Gegen 19.30 Uhr bemächtigte er sich des LKWs und erschoss den polnischen Fahrer. Um 20 Uhr raste er in die Menschenmenge auf dem Breitscheidplatz, tötete elf weitere Personen und verletzte über 60. Die Opfer kommen aus über einem Dutzend Länder.
Für die Bundesanwaltschaft (BAW) ist Amri zweifelsfrei als Täter identifiziert. Im Tat-LKW wurde sein Portemonnaie samt einer Duldungsbescheinigung gefunden. Außerdem ein Smartphone und ein Klapphandy im Fußbereich. Außen am Führerhaus fand man seine Fingerabdrücke. Erst auf Nachfrage erklärte Beck, dass auch im Innenraum "zahlreiche festgestellt" wurden, ohne das zu konkretisieren.
Geldbörse und Handys habe Amri absichtlich im Fahrzeug zurückgelassen, so Beck, als Tatbekennung und weil er keine Pläne für die Zeit nach der Tat gehabt habe. Wahrscheinlich sei der 24-Jährige davon ausgegangen, dabei getötet zu werden.
Das Smartphone soll am 24. September 2016 einem schweizer Bürger in Berlin gestohlen worden sein. Das war - kurios - drei Tage nach Beendigung der Telefonüberwachung Amris.
Woher und seit wann Amri die Pistole besaß, mit der der polnische LKW-Fahrer erschossen wurde, ist ebenfalls unklar. Auch, wo er sie am Tattag geholt bzw. in Empfang genommen hat. Ob das in der Fussilet-Moschee geschah, können die Ermittler lediglich spekulieren. Die Waffe Marke Erma (Erfurter Maschinenwerke) soll möglicherweise über die Schweiz nach Deutschland gekommen sein. Amri hatte sie bei sich, als er am 23. Dezember 2016 in Italien in der Nähe von Mailand von Polizisten erschossen wurde.