Fall Amri: Manipulationen durch die Polizei ziehen immer weitere Kreise
Seite 2: "Gewerbsmäßiger, bandenmäßiger Drogenhandel"
Die Erkenntnisse von Sonderermittler Bruno Jost in Kurzfassung: Aus abgehörten Telefonaten wussten die Ermittler, dass Anis Amri zusammen mit mindestens zwei Komplizen mit Drogen dealte. Die Telefonüberwachung endete am 21. September 2016. Informationen müssen aber auch von verdeckten Ermittlern in der Szene gewonnen worden sein. Einen will Amri erkannt haben. Woher und was das für Folgen hatte, ist unklar. In einem zehnseitigen Vermerk vom 1.November 2016 konstatiert das LKA "gewerbsmäßigem, bandenmäßigen Drogenhandel" Amris. Der Staatsanwaltschaft, die ein Strafverfahren gegen den Verdächtigen einleitete, wurde dieser Vermerk nicht übermittelt.
Dann, nach dem Attentat, wurde im LKA ein kurzer, zweiseitiger Vermerk zu Amri erstellt, in dem die Drogendelikte abgeschwächt werden. Nur noch von "Kleinsthandel mit Betäubungsmitteln" ist die Rede. Die Mittäter werden unterschlagen. Dieser Vermerk, erstellt am 18. Januar 2017, wird zurückdatiert und wandert mit dem Datum vom 1. November 2016 in die Akten. Gleichzeitig wird er nun an die Staatsanwaltschaft übersandt.
Mindestens drei Kripobeamte sind als Fälscher identifiziert, auf einen vierten gibt es einen Hinweis. Innensenator Geisel spricht bisher weiterhin vom "individuellen Fehlverhalten Einzelner", muss aber einräumen, dass noch nicht klar sei, wie viele dieser Einzelnen es gibt.
Die Sitzung ergab, dass die Polizeispitze offensichtlich auch die politische Führung, sprich die Innenverwaltung, über ihr Wissen zu Amri getäuscht hat. Der FDP-Abgeordnete Marcel Luthe fragte, warum denn Geisels Staatssekretär Torsten Akmann am 23. Dezember 2016, vier Tage nach dem Anschlag, im Innenausschuss Amri als "Kleindealer" bezeichnet hat, obwohl es den konstruierten und verharmlosenden Vermerk des LKA vom 18. Januar 2017 zu diesem Zeitpunkt ja noch gar nicht gab. Der Innensenator antwortete, das gehe aus einer Führungsinformation des LKA an sein Haus hervor. Sie sei damals noch nicht mit der Aktenlage abgeglichen worden. Verschiedene Medien wollen diese Führungsinformation vorliegen haben.
Vorgehen hatte Methode
Wie Sonderermittler Jost darlegte, hatte das Vorgehen der Beamten beim Verändern des Vermerks Methode. Von ursprünglich 72 abgehörten Telefonaten, die Grundlage der Erkenntnisse waren, blieben dann nur sechs teils "nichtssagende" übrig. Die Taten wurden bagatellisiert, Amri wurde zum Alleintäter, das Merkmal "Bande" fehlte. Alle Eintragungen zu Amris Komplize Mohamad K. wurden im polizeilichen Informationssystem Poliks gelöscht.
Nach "Erkenntnissen" dieser Art wäre es, so Jost, schwierig geworden, ein Verfahren gegen Amri einzuleiten, ein Haftbefehl wäre unwahrscheinlich gewesen, eine Telefonüberwachung nicht möglich.