Fallen der Propaganda

Tony Blair hat wieder einmal sein besonders Verhältnis zur Wahrheit bewiesen, während das US-Außenministerium die arabischen Medien kritisiert

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Mit der Wahrheit nimmt man es in Zeiten des Konflikts nicht so genau. Propaganda mit dem Ziel, die Menschen zu beeinflussen, gehört zum Krieg. Allerdings sollten sich demokratische Regierungen von Diktaturen, noch dazu wenn diese als System des Lug und Trugs bezeichnet werden, unterscheiden. Doch offenbar sind die Unterschiede zwischen der Koalition der Willigen, die vorgibt, für den Sturz der Diktatur und die Befreiung der Menschen zu kämpfen, und dem irakischen Regime nicht sehr groß.

Stets würden die alliierten Truppen von der irakischen Bevölkerung freundlich begrüßt werden, versicherte General Vincent Brooks mit diesem Bild auf der Pressekonferenz in Doha. Sein Kommentar: "There's no hostility. This scene is being repeated all over Iraq, in every area in which we're operating. And it is the truth."

Die britische und die amerikanische Regierung haben schon vor dem Krieg, als man die Invasion zu rechtfertigen suchte, gezeigt, dass Wahrheit auf ihrer Prioritätenliste nicht ganz oben steht. Vermutungen wurden oft als Fakten ausgegeben und nie korrigiert, Fälschungen als Beweise vorgeführt, Informationen so verdreht, dass sie den eigenen Zwecken dienten. Die ganze Unternehmung "Operation Iraqi Freedom" ist schon mit dem permanent aufrecht erhaltenen Schwindel begründet worden, eine Entwaffnung auf Grundlage der UN-Resolutionen umsetzen zu wollen, während von Anfang an der Sturz des irakischen Regimes und der Aufbau einer USA-freundlichen Regierung angestrebt wurde.

Nicht nur die Bush-Regierung, auch Tony Blair schreckt nicht davor zurück, alles schnell aufzugreifen, was sich zugunsten der eigenen Position zurecht drehen lässt. Als die ersten, vom irakischen Staatsfernsehen gemachten Bilder von gefangenen und getöteten amerikanischen Soldaten über den arabischen Sender al-Dschasira an die Öffentlichkeit kamen, suchte Angehörige der US-Regierung ihre Verbreitung in den Medien zu verhindern, da diese angeblich die Genfer Konvention über die Behandlung von Kriegsgefangenen verletzen. Als dann auch Bilder von getöteten und gefangenen britischen Soldaten gezeigt wurden, stimmte auch die britische Regierung in diese Kritik. "Wir bedauern die Entscheidung von al-Dschasira, solche Bilder zu verbreiten und fordern, dies sofort einzustellen", sagte der britische Verteidigungsminister. "Wir fordern alle Medien dazu auf, nicht zu Werkzeugen der irakischen Propaganda zu werden, indem sie diese Bilder veröffentlichen." Die zuvor von den westlichen Medien veröffentlichten Bilder von irakischen Kriegsgefangenen hatte man hingegen nicht beanstandet.

Dabei geht natürlich nicht um die Einhaltung internationaler Gesetze, an die sich Bush und Blair plötzlich erinnern, wenn sie zu den verfolgten Interessen passen, sondern um die Kontrolle über den Informationsfluss, die nachhaltig von den arabischen Sendern, allen voran al-Dschasira, untergraben wird. Das war auch der Fall, als man im britischen Verteidigungsministerium meldete, es gebe Aufstände in Basra, die von irakischen Soldaten zusammen geschossen würden. Es sei davon nichts zu bemerken, berichtete hingegen al-Dschasira, der mit seiner Redaktion in der belagerten Stadt einen entscheidenden Vorteil besitzt und jene Bilder machen kann, die den Briten und Amerikanern nicht ins Kalkül passen.

Während das irakische Regime getötete Zivilisten benutzt, um die Angreifer als Kriegsverbrecher anzuklagen, und Tote und Gefangene ausstellt, um die Erfolge zu feiern, nutzte auch Tony Blair die Bilder von den zwei getöteten britischen Soldaten, um den Vorwurf des Kriegsverbrechens an das irakische Regime zu richten, das diese angeblich hingerichtet habe. Auf der Pressekonferenz nach dem Treffen mit Bush in Camp David suchte er damit die "Brutalität des Regimes" zu demonstrieren:

"Wir haben Tag für Tag die Wirklichkeit des Regimes von Saddam gesehen: seine Schläger bereiteten sich darauf vor, ihre eigenen Leute zu töten, die Zurschaustellung von Kriegsgefangenen und jetzt die Veröffentlichung dieser Bilder von hingerichteten britischen Soldaten. Wenn jemand noch einen Beweis für die Niederträchtigkeit von Saddams Regime verlangen würde, dann ist es diese schreckliche Tat. Es ist nur eine weitere krasse Verletzung aller Kriegskonventionen. Und mehr als das, für die Familien der Soldaten ist es ein Akt der Grausamkeit, der jedes Verständnis übersteigt. Das übersteigt das Verständnis eines jeden, der nur eine Spur von Menschlichkeit in sich hat."

Solch ein brutales Regime, so muss man wohl implizit verstehen, kann auf keine Rücksicht zählen. Auch Bush wiederholte den Vorwurf:

"You heard the Prime Minister eloquently talk about the loss of British life. They were murdered, unarmed soldiers executed. I mean, that's a war crime. But, you know, I'm not surprised. This man, Saddam Hussein, has tortured and brutalized his people for a long, long time."

Doch anscheinend hat Blair nicht damit gerechnet, dass die Angehörigen der Soldaten bei seinem Spiel nicht mitmachen könnten. Der britische Mirror veröffentlichte die verwunderte Aussage von Nina Allsopp, der Schwester von einem der angeblich exekutierten Soldaten. Ihr habe der Vorgesetzte ihres Bruders versichert, dass dieser nicht hingerichtet, sondern bei einem Angriff aus dem Hinterhalt getötet worden sei. Der Colonel bestätigte ihr gegenüber noch einmal, dass keine Hinrichtung stattgefunden hat.

Der Mirror kritisiert die Propaganda der britischen Regierung, die Fakten für ihre Interessen verdreht. Falls nach einer Untersuchung sich herausstellen sollte, dass die beiden Soldaten nicht hingerichtet worden sind, so wird von Tony Blair eine Entschuldigung verlangt. Man kann gewiss sein, dass diese nicht kommt. Gestern Abend machte der Pressesprecher von Downing Street bereits einen Rückzieher und räumte ein, man wisse nicht genau, wie die beiden Männer gestorben seien. Alles deute aber auf eine "Hinrichtung auf brutale Weise" hin.

Man kann nur mutmaßen, ob es für al-Dschasira Folgen haben wird, wenn sich der Krieg noch länger hinzieht und der Sender weiter unerwünschte Bilder und Informationen veröffentlicht. Die Websites des Senders sind seit der Veröffentlichung der ersten Bilder von amerikanischen Kriegsgefangenen durch DDoS- und DNS-Angriffe unzugänglich (Zensur im Internet). Von wem diese ausgehen, ist nicht bekannt. Richard Boucher, der Sprecher des US-Außenministeriums, hat gestern jedenfalls auch noch einmal darauf hingewiesen, dass viele arabische Medien Sachverhalte falsch dargestellt und so die Stimmung angeheizt hätten:

"Wir wollen, ehrlich gesagt, nur ein faires Hinhören, dass sie die unterschiedlichen Ansichten betrachten, dass sie die Tatsachen sehen, dass sie keine voreiligen Schlussfolgerungen ziehen. Wir haben diese Situation bei Marktplatz in Bagdad, wo viele Menschen zum Schluss gekommen sind, dass dies eine Folge der US-Bombardierung ist. Es wäre aber zumindest fair zu sagen, wie dies die CENTCOM-Sprecher heute getan haben, dass aufgrund der Tatsache, dass die Iraker ungesteuerte Raketen überall herumschießen und dass wir in dieser Gegend keine Ziele haben, dass es durchaus möglich wäre, wenn eine irakische Rakete in diesen Markt eingeschlagen hat."

Diese Aufforderung könnte sich natürlich auch an viele amerikanische Sender richten. Und was sich Boucher von den arabischen Journalisten wünscht, wäre auch etwas, an das Bush und Blair eindringlich erinnert werden könnten:

"Wir bitten nur um das, was wir auch sonst verlangen: Schaut alle Fakten an, geht mit ihnen fair um, zieht keine voreiligen Schlussfolgerungen und druckt nicht nur die Fakten, wer gestorben ist, sondern auch, wer gerettet, wer befreit und wem Nahrung geben worden ist."