Falscher Fokus, falscher Feind
Seite 2: Keine genuin rechte Bewegung
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- Keine genuin rechte Bewegung
- Eine Antifa, die Respekt vor Staatsgewalt fordert?
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Mit Blick auf die Bundestagswahl vom September 2017, sagte Nachtwey der FAZ, "haben nach unserer Befragung 21 Prozent die Grünen und 17 Prozent die Linke gewählt. Der AfD haben 14 Prozent ihre Stimme gegeben." Die Corona-Zeit würde sich jedoch auf die politische Präferenz auswirken: "Bei der nächsten Bundestagswahl wollen nun aber 30 Prozent der AfD ihre Stimme geben", so Nachtwey. (…) "Es ist eine Bewegung, die mehr von links kommt, aber stärker nach rechts geht, sie ist jedoch enorm widersprüchlich."
Sozialstrukturell handele es sich um eine relativ alte und relativ akademische Bewegung. Das Durchschnittsalter betrage 47 Jahre, 31 Prozent hätten Abitur, 34 Prozent einen Studienabschluss, der Anteil Selbstständiger sei deutlich höher als in der Gesamtbevölkerung. Typisch für die Bewegung seien auch antisemitische Vorurteile, sie seien Bestandteil einiger Verschwörungstheorien. Autoritäres Denken, Fremdenfeindlichkeit oder die Verharmlosung des Nationalsozialismus sei unter den Anhängern der Bewegung allerdings weniger verbreitet, so Nachtwey." (Welt,05.12.2020).
Sie sind kritisch gegenüber "Experten", teilen die Entfremdung gegenüber den Institutionen des politischen Systems, den staatstragenden Medien und den etablierten Parteien und sehen die Zukunft eher düster.
Diese Befunde könnten doch zum Nachdenken anregen: Die Bewegung kommt mehr von links, sie rekurriert sich aus der "gebildeten" Mittelschicht und der vermutete Neonazismus und Rassismus ist dort nicht so verbreitet, wie es die Gegen-Gegen-Demonstrant:innen unterstellen. Ein Grund, sein Fernurteil zu überprüfen? Offenbar nicht.
Zu dem Aufruf von Stuttgart gegen Rechts gab es im Netz einige Kommentare. Ich möchte einen herausgreifen, der vieles zur Sprache bringt, was mir auch auf der Zunge gelegen hätte. Ich zitiere aus einem Kommentar, den User Hasan Hogan auf Facebook veröffentlicht hat:
Ich nehme bei der Demo (aus anderen Gründen wie ihr) nicht teil. Dennoch finde ich es schräg was ihr hier schreibt. Bevor ihr Hass gegen Querdenken verbreitet, solltet ihr erst einmal eine Alternative für Bürger nennen können, die sich aus guten Gründen und nicht erst seit Corona kritisch mit der Ehrlichkeit der Regierung auseinandersetzen. Wir befinden uns schließlich in einer Zeit, in der sogar die bisherigen "linken" Lager plötzlich die Regierung verteidigen. Dass in solch einer Zeit Bewegungen entstehen, die ein großes Misstrauen in die Regierung haben, ist normal und menschlich!
1) Rassismus-Vorwurf: Dass ein kaum nennenswerter Anteil an Rechten vereinzelt zu den Demos geht, liegt in der Natur der Sache. Nicht nur in Deutschland, weltweit. Die AfD und viele ihrer Anhänger sind die wirklichen Rassisten Deutschlands, das Geschrei gegen sie jedoch viel geringer als gegen Querdenken.
2) Abstands-Vorwurf: Der Großteil der Teilnehmer auf der letzten Demo hat sowohl im Aufzug als auch auf dem Canstatter Wasen Abstände eingehalten, wozu es genug Bild- und Videomaterial aus der Vogelperspektive gibt. Soweit ich es verstanden habe, konnte der Demozug am 03.04. vom Marienplatz nicht über die Tübinger Straße laufen, da diese durch eine Gruppe "linker" Aktivisten blockiert wurde — das hat dazu geführt, dass tausende Menschen durch noch schmalere Straßen laufen mussten. Sobald die Menschen auf der Bundesstraße waren, wurden die Abstände eindeutig vom Großteil der Teilnehmer eingehalten, wir haben den gesamten Aufzug aus 20 m Höhe selbst angeschaut und es mit den eigenen Augen gesehen. (…)
3) Masken-Vorwurf: Dass in der Königstraße seit Wochen an allen sonnigen Tagen täglich zehntausende Menschen meist ohne Masken (bis sie ein Geschäft betreten) von morgens bis abends kreuz und quer herumlaufen, stört hier scheinbar niemanden. Wenn jedoch Querdenker für nur zwei Stunden über die Innenstadt und eine Bundesstraße zum Wasen laufen, ist das also ein riesiges Problem?
Darauf antwortete eine Person, die sich der Antifa zurechnet:
IMPFEN MACHT FREI"/Vergleiche mit Sophie Scholl/Vergleiche mit Anne Frank/Davidstern "UNGEIMPFT"/Diktaturgeschrei/Politiker abgebildet in Sträflingskleidung/Angriffe auf Journalisten/Lügenpressegeschrei/VÖLLIGE Missachtung der Staatsgewalt/Mitführen von Kindern und Alten als Schutzschilde. Ich könnte weitermachen, habe aber keine Lust mehr. Querdenken ist egoistisch, unsolidarisch und undemokratisch. Und Ganz Bestimmt Nicht Antifa(schistisch) ALERTA!
Es ist schon bedrückend und beschämend, wie wenig sich diese Antifa-Stimme um das Gesagte schert und die Frage, was denn Antifa und Linke zu bieten haben, gar nicht erst zu beantworten sucht. Stattdessen will sie mit Stichworten nochmals festklopfen, dass die Querdenker Neonazis sind und bleiben.
Was wir heute unter Antifaschismus verstanden?
Dieses Sammelsurium an Vorwürfen hat es in sich. Es gibt ein recht ehrliches Bild von dem ab, was heute anscheinend unter Antifaschismus verstanden wird.
Fangen wir mit den aufgeführten Vergleichen an, die auf Querdenker-Demos tatsächlich zu finden sind.
Es steht hoffentlich außer Frage, dass die Verwendung des David- oder Juden-Sterns durch Querdenker eine inakzeptable Instrumentalisierung des Holocaust ist. Auch der Vergleich einer Frau, die sich als Querdenkerin mit Sophie Scholl verglich, ist in der suggerierenden Aussage, wie lebten in faschistischen Zeiten, nicht tolerabel. Ebenso der zynische Spruch "Impfen macht frei" der auf die Konzentrationslager verweisen soll, die unter dem Banner "Arbeit macht frei" ihre Massenmorde vollzogen.
Das eben auf diese Weise zu thematisieren, sich mit denen zu streiten, die diese Vergleiche aufstellen, ist wichtig, sehr wichtig. Arrogant wird es jedoch, wenn man nicht die eigene Geschichte reflektiert, die gerade in Antifa-Zusammenhängen reichlich angefüllt ist mit den Vergleichen und Assoziationen, die – ganz milde formuliert – deutlich danebenlagen:
Dazu gehört zum Beispiel die antifaschistische Einschätzung aus den 1990er Jahren, wie steuerten auf ein "4. Reich" zu, also auf einen neu-alten Faschismus. Wenn man nun also andere – zurecht! – für falsche Analogien und Vergleiche kritisiert, dann wäre es doch zuerst ehrlich, aufzuarbeiten, wie viele eigene Analysen und Vergleiche falsch waren. Dass es diese auch unter Querdenkern gibt, steht außer Frage. Aber wenn sich die Antifa als "Linienrichter" in dieser Sache selbst auf den Platz ruft, dann ist das mehr als selbstgerecht.
Das führt zu der Frage des Kommentarschreibers gestellt hat: Was hat die Antifa als Alternative zu bieten?
Ich fürchte, dass die oben zitierten Stichworte darauf eine Antwort geben, aber eine durchaus niederschmetternde. Da ist von "Diktaturgeschrei" die Rede, wenn Grundrechtseinschränkungen nicht hingenommen werden. Keine Frage, wer diese mit einer Diktatur gleichsetzt, unterschlägt die Umstände, die eine Diktatur überflüssig machen, etwa eine Mehrheit, die es mit der Regierung und denen, die es ihr als Opposition gleichmachen werden, aushalten.
Aber wie ordnet "Stuttgart gegen Rechts" den Ausnahmezustand, die massiven Einschränkungen von Grund- und Schutzrechten ein? Gibt es das alles nicht? Und geschieht dies alles zu unser aller Wohl? Wo bleibt die Auseinandersetzung mit Ausnahmezuständen, von denen es in Deutschland einige gab? In welchem Zustand befinden sich die Linke und die Antifa, wenn Ausgangssperren von der FDP als unverhältnismäßig und medizinisch unbegründbar ablehnt werden, aber die Linke keinen eigenen offensiven Umgang mit dem Thema findet?
Aber vielleicht geben die Stichworte "Lügenpressegeschrei" und "VÖLLIGE Missachtung der Staatsgewalt" eine ungewollte Antwort. Ist das nach Antifa-Ansicht völlig aus der Luft gegriffen? Gemeint ist doch die Tatsache, dass über die "Meinungsvielheit" in Deutschland ein publizistisches Oligopol entscheidet, das ein Großteil der veröffentlichten Meinung kontrolliert.
Ist es nicht notwendig, diese "Bewusstseinsindustrie" anzugreifen? Wäre es nicht eine wichtige Aufgabe für die Linke, für die Antifa, gerade in Corona-Zeiten, die massive Unterdrückung von Gegenstimmen und Gegenpositionen im medialen und öffentlichen Raum zur Sprache zu bringen?
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