Farewell, New York Stock Exchange!
Siemens hat das Delisting beantragt
Einst war es die Krönung von Erfolg und weltweiter Expansion: Deutsche Blue Chips wie Siemens, T-Com, Deutsche Bank und Daimler Chrysler listeten ihre Aktie an der New York Stock Exchange (NYSE).
Obwohl US-Aktien eine längere Aufschwungphase hinter sich haben, überwiegt bei ausländischen Marktteilnehmern die Enttäuschung nach dem spektakulären Glockenschlag des Börsenbeginns in der Wallstreet, mit dem die Neugelisteten stets medienwirksam begrüßt wurden. Die Kosten für die Listung an der NYSE stehen nämlich in keinem Verhältnis zum Nutzen aus dem meist geringen Handelsvolumen an der weltgrößten Börse.
Die Deutsche Siemens AG hat nun kurz vor der heute stattfindenden Hauptversammlung die Reißleine gezogen und das Delisting beantragt.
Wie in der Pressemitteilung betont wird, sei dies keine Absage an die Vereinigten Staaten, in der immerhin 15 Prozent der Siemens-Mitarbeiter stationiert sind. Ein Nebensatz des Finanzvorstands Ralf P. Thomas könnte erklären, um welche Gründe es geht:
Neben der Konzentration unserer Handelsplätze erwarten wir durch das Delisting eine spürbare Steigerung der Effizienz und eine Reduzierung der Komplexität unserer Finanzberichterstattung.
Während nämlich die Abschlüsse nach US-GAAP ( United States Generally Accepted Accounting Principles), deren Normen von einem privaten und verschwiegenen FASB (Financial Accounting Standards Board) stammen, auch ohne Listing an der New Yorker Börse nötig sind, um international Investoren zu gewinnen, besteht an der NYSE für nicht-amerikanische Unternehmen eine weitere Auflage: das Testat von unabhängigen Wirtschaftsprüfern nach den Normen des SOA/SOX (Sarbanes Oxley Act).
Einige Abteilungen bei Siemens sind damit beschäftigt, die SOA-Auflagen zu erfüllen. Die Kosten für SOA sind schwer zu schätzen, denn die interne Aufbereitung der Finanzzahlen für die externen Wirtschaftsprüfer, meist die "Big Four", deren ehemalige Chefs wiederum im FASB-Board sitzen, ist schwer zu berechnen, geschieht sie doch im Rahmen der ohnehin komplexen Finanzbuchhaltung des zweitgrößten deutschen Industrieunternehmens.
Telepolis fragte Alexander Becker von Siemens nach den Vorteilen des Delisting.
Wird trotz Delisting die SOA-Bilanzierung beibehalten?
Alexander Becker: Das Delisting ändert nichts an der Anforderung des Sarbanes Oxlex Act. Erst mit der angestrebten Deregistrierung wird die Verpflichtung zur Berichterstattung über das Ergebnis der Evaluierung des Internen Kontrollsystems über die Finanzberichterstattung nach US-amerikanischen Vorgaben enden und damit auch keine Evaluierung für diesen Zweck mehr notwendig sein.
Allerdings begreifen wir den Sinn unseres internen Kontrollsystems nicht nur als Erfüllung rechtlicher Vorgaben. Unabhängig von der Anforderung nach Abschnitt 404 des Sarbanes-Oxley Act bleibt ein effektives Internes Kontrollsystem über die Finanzberichterstattung - und damit die Integrität unserer Financial Statements - auch weiterhin ein sehr hohes Gut für Siemens.
Wie hoch ist die jährliche Kostenersparnis durch das Delisting?
Alexander Becker: Die Kostensenkungen bewegen sich im laufenden Jahr im niedrigen einstelligen Millionenbereich.
Nach einer US-Studie mussten Unternehmen in den USA 2007 bis zu 0,64 Prozent ihrer Einnahmen für die ungeliebte Auditierung aufwenden.
Dass ausgerechnet die Auflagen der New Yorker Börse, die lange als Weltzentrum von Effizienz in Finanzdingen galt, nun aus Gründen der Effizienz als Kündigungsgrund für Weltkonzerne dienen, ist eine kurios-paradoxe Fußnote zur Finanzkrise: Schließlich hat der anlässlich des Enron-Skandals eingeführte SOA/SOX weder die Pleite der Lehman-Bank, noch die von General Motors und anderen US-Großunternehmen verhindert. Die Compliance nach US-Art hat als präventive Maßnahme versagt.