Fast jeden zweiten Tag wird gemordet: Wo es für Umweltschützer am gefährlichsten ist
Energie und Klima – kompakt: 2022 wurden 177 Umweltschützer:innen und Verteidiger:innen von Landrechten getötet. Global Witness zeigt: Bergbau und Agrarindustrie forcieren Entrechtung. Wie kann das gestoppt werden?
Die Umwelt und indigene Territorien zu schützen, blieb auch 2022 in vielen Ländern der Welt lebensgefährlich. 177 Personen, die sich für Umweltschutz und Landrechte eingesetzt hatten, wurden im Laufe des Jahres ermordet, das geht aus der neuesten Veröffentlichung der Menschenrechtsorganisation Global Witness hervor.
Neun von zehn Morden ereigneten sich dabei in Lateinamerika, einer von fünf Morden im Amazonasgebiet. Über ein Drittel der 2022 ermordeten Umwelt- und Landrechteaktivist:innen gehören indigenen Gemeinschaften an.
Untersuchungen haben immer wieder gezeigt, dass indigene Völker die besten Hüter der Wälder sind und daher eine grundlegende Rolle dabei spielen, die Klimakrise zu mildern. Dennoch stehen sie in Ländern wie Brasilien, Peru und Venezuela unter Belagerungszustand, weil sie genau das tun,
… erklärt Laura Furones von Global Witness.
Auf der Klimakonferenz in Glasgow hatten sich über 100 Staaten geeinigt, bis zum Jahr 2030 die Entwaldung zu stoppen, erinnert Furones. Dennoch sei die Vernichtung von Primärwäldern im vergangenen Jahr gegenüber 2021 noch um zehn Prozent gestiegen.
Für Indigene in Südamerika, aber auch auf den Philippinen, wo 2022 elf Umweltverteidiger:innen ermordet wurden, bedeutet die fortschreitende Entwaldung sowie die Vergiftung der Umwelt durch zum Teil illegale Bergbauaktivitäten den Verlust ihrer Lebensgrundlagen.
Global Witness stellt in seinem Bericht drei Fallbeispiele aus Brasilien, Venezuela und Peru vor. Die indigenen Völker der Kayapó im brasilianischen Bundesstaat Pará wehrten sich teilweise erfolgreich gegen illegalen Goldabbau, indem sie auf eigene Initiative und ohne Unterstützung staatlicher Kräfte Gebiete wieder aneigneten, auf denen illegal nach Gold geschürft sowie eine Start- und Landebahn angelegt worden war.
Um sicherzustellen, dass die Goldsucher nicht zurückkehren, müsste die Zone allerdings dauerhaft überwacht werden. Für die indigenen Landverteidiger:innen bedeutet ihr Widerstand gegen den Raubbau am Amazonas aber auch, dauerhaft Bedrohung und Angst ausgesetzt zu sein.
Global Witness konnte unterdessen nachvollziehen, dass sich das illegal abgebaute Gold von den Territorien der Kayapó zum Teil in Produkten der Technikkonzerne Apple, Google, Microsoft und Amazon gelandet ist.
Auch auf dem Territorium der Uwottüja in Venezuela wird ohne Lizenzen nach Gold gesucht. Dies geht mit einer gravierenden Verschmutzung des Orinoco, mit Abholzung und Erosion und einem Verlust an Biodiversität einher. Gemeinden werden gewaltsam vertrieben.
Ursprünglich hatten die Uwottüja eigene Wächter eingesetzt, um frühzeitig vor Hochwasser zu warnen. Doch da der Staat nicht gegen den illegalen Ressourcenabbau vorgeht, wurde es auch zur Aufgabe dieser Wächter, die eigenen Territorien vor illegalen Schürfern von Edelmetallen zu schützen. Der von Auftragsmördern erschossene Virgilio Trujillo Arana war einer dieser Wächter.
Kein Schutz nirgends
Mit illegalen wirtschaftlichen Aktivitäten auf ihren Territorien haben auch indigene Gemeinschaften im peruanischen Amazonasgebiet zu tun. Eindringlinge roden hier unter anderem Wald für den Anbau von Koka. Ständige Bedrohungen und Übergriffe zwingen die indigenen Bewohner:innen der Region zur Flucht.
Global Witness sieht die jeweiligen Regierungen in der Pflicht, die von illegalem Bergbau betroffenen Regionen und Schutzgebiete besser zu überwachen und zu schützen. Ebenso müssen die Verteidiger:innen von Umwelt und Landrechten selbst staatlichen Schutz erhalten.
Für Unternehmen müssten strengere Transparenzregeln gelten und die Regierungen Unternehmen mit Sitz in ihrem Land für die Verstrickung in illegale Aktivitäten zur Verantwortung ziehen. Außerdem müssten alle Amazonasstaaten das Abkommen von Escazú unterzeichnen, ratifizieren und auch in ihrer Politik umsetzen.
Das 2021 in Kraft getretene Abkommen verankert Rechte auf Zugang zu Informationen über die Umwelt, Beteiligung der Öffentlichkeit an Umweltentscheidungen, Umweltgerechtigkeit und eine gesunde und nachhaltige Umwelt für gegenwärtige und zukünftige Generationen.
Neben dem Abbau von Bodenschätzen stehen auch die Agrarindustrie, die Holzindustrie und Energie- und Infrastrukturprojekte hinter den Morden an Umweltschützer:innen und damit in der Regel Aktivitäten, die auch das Klima schädigen. Den traurigen Rekord hält in diesem Jahr Kolumbien mit 60 Morden an Umwelt- und Landverteidiger:innen, gefolgt von Brasilien und Mexiko.
Das kleine zentralamerikanische Honduras weist mit 14 ermordeten Aktivist:innen die höchste Mordrate bezogen auf die Bevölkerungszahl auf, und das, obwohl die seit 2022 amtierende linksgerichtete Präsidentin Xiomara Castro erklärt hatte, Menschenrechtsverteidiger:innen besser schützen zu wollen.
Die Organisation Global Witness sammelt seit 2012 Informationen zu ermordeten Umweltschützer:innen und Landverteidiger:innen und gibt dazu einen jährlichen Bericht heraus. Über den gesamten Zeitraum von elf Jahren sind laut Global Witness 1910 Personen aufgrund ihres Einsatzes für den Schutz von Umwelt und Territorien ermordet worden.