Fasten your Seatbelts, please!

Flugangst muss bei den Büro-Cockpits von Poetic Technologies nicht überwunden werden, aber von Science Fiction sollte man schon etwas verstehen, sonst hebt man nicht ab

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Jetzt arbeiten wir überall: Im Auto, in der Küche, in der Bahn. An die omni-präsenten Flexecutives hatte man sich schon gewöhnt. Auch an das vermeintliche Verschwinden herkömmlicher Büro-Architektur. Und während Fluglinien sogar die Sitzplätze in den Boeings für das Internet freischalten, rücken Metaphern für das Arbeiten im Neoliberalismus wieder in den Blickpunkt, die aus der Welt des Fliegens kommen. Doch geht es der US-Firma Poetic Technologies weniger um eine atmosphärische Dienstleistung in Sachen Fliegen. Vielmehr liefert sie zwar flugtauglich erscheinende, aber eher immobile Cockpit-Modelle, die die eigenen vier Wände in eine Raumschiffstation verwandeln.

Prototyp von Poetic Technologies

Als vor knapp zwei Jahren in Berlins DAZ die Zukunft der Büroarchitektur zur Disposition stand, war Fraunhofers langjähriges Forschungsprojekt Office 21 bereits in der zweiten Entwicklungsphase. Alles hatte damit angefangen, dass man zwischen Oktober 1996 und Dezember 1997 an der Entwicklung von Teil- und Globalszenarien für das Büro der Zukunft gearbeitet hatte, während im darauffolgenden zweiten Abschnitt bis Ende 1999 Methoden sowie Produkt- und Prozessszenarien entwickelt worden waren.

Parallel dazu war man mit dem Aufbau des Informations- und Demonstrationszentrums Office Innovation Center (weltweites Projekt der EXPO 2000) beschäftigt. Noch bevor die Abschlussphase eingeläutet werden konnte, die bis Ende dieses Jahres den Transfer der Szenarien in strategische Maßnahmen und nicht zuletzt die Umsetzung der Szenarien in prototypische Demonstratoren auf dem Plan hat, meldete sich die Traumfabrik Poetic Technologies mit sechs ausgefeilten Prototypen zu Wort. Endlich! Werden einige aufatmen. Endlich, wird das Wohnzimmer nicht mehr mit Fitnessgeräten vollgestellt, sondern mit futuristischen, Scooter-förmigen Raumgleitern, die auch noch zum Wirtschaften nützlich sein sollen. Vorausgesetzt man legt vier bis acht Tausend US Dollar auf den Tisch. Bekanntlich läuft selbst in der New Economy nichts ohne Investitionen.

Einer der wichtigen Punkte, der das Denken über Office-21-Strategien legitimierte, war die Sorge um die Zukunft der Gesundheit. Und so sind die Investitionen, die der Kunde bei Poetic Technologies machen muss, nicht nur finanzieller, sondern auch spiritueller Natur. Schließlich heißt das Vorzeigemodell Aura und verspricht nicht nur effektiveres Arbeiten, sondern vor allem auch gesundes, keimfreies und hygienisches Schuften. Gern rufen wir uns in Erinnerung, dass sich die meisten Krankheiten im psycho-somatischen Konnex begründen. Licht- und Luftzufuhr werden somit neben anderen, meist architektonischen Parametern zu Faktoren in einem metaphysischen Zaubertrunk, der die Flexecutives an einen Ort bindet und ihnen gleichzeitig das Gefühl gibt - zumindest bei der Arbeit - Kaptain Kirk zu sein, wie Net-Business neulich textete. Ohne guten Glauben sollte man sich also nicht ans Steuer setzten. William Collier, der Gründer und Besitzer von Poetic Technologies, sieht die Sache jedoch ganz locker:

"Wir bieten technologische Lösungen, die Komfort und Produktivität der heute so hoch spezialisierten Arbeitskräfte steigern. Im Gegenzug eröffnet die Nutzung der Poetic Technologies-Produkte Profitabilität und Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Firmen, die auf unseren Dienst verzichten."

Und wenn mal alles nicht nach Plan läuft? Kongenial zu dem von Tom Holert referierten Nonkonformismus in der Komödie "Office Space" (1999) dürfen wir uns wohl in Scharen auftretende, virenbeladene und würfelförmig-designte Insektoiden vorstellen, die aus dem immateriellen Universum protestieren kommen, um unseren Vorgesetzten von den Missständen am Arbeitsplatz zu künden. Was schließlich besser ist, als gleich zu kündigen und sich wieder zurück in die private Turnhalle zu verkriechen. Dabei sehen die sechs Prototypen mit luftigen Namen wie Epic, Echo oder Spirit doch ein bisschen wie Fitnessgeräte aus. Zumindest, wenn man sie aus der Vogelperspektive betrachtet. Vielleicht ist ja doch nicht alles eine Frage von Aura...