Fernsehzeit durch Bewegung verdienen

Wie Technik den Fernsehkonsum von Kindern beschränken soll

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Was die Menschen selbst nicht vermögen, soll die Technik schaffen. Diese Hoffnung trifft zwar in vielen Fällen zu, wird aber vermutlich dann zu einer Falle, wenn neue Technik Probleme lösen soll, die durch eine vorhergehende Technik entstanden sind. In der euphorisch so genannten Wissens- oder Informationsgesellschaft entwickeln sich viele Menschen bislang vom homo sapiens sapiens zum homo sapiens sedens, der immer mehr Zeit vor den Tele-Medien verbringt. Mit der körperlichen Unbeweglichkeit bei steigender virtueller Mobilität gerät allerdings der Leib aus den Fugen und schwillt bisweilen Buddha-mäßig an.

Die vielfach beschworene Epidemie der Dick- und Fettleibigkeit (Gesundheitliche Zeitbombe) könnte freilich auch dazu führen, dass die Menschen nicht mehr kontinuierlich älter werden, sondern wieder früher sterben (Die Mitglieder der Informationsgesellschaft sterben zunehmend an Verfettung). Das wäre eine evolutionäre Anpassung an die drohende Vergreisung der Gesellschaft. Freilich ist nicht allein mangelnde Bewegung Schuld an der Gewichtszunahme, die die ätherische Virtualisierung kompensiert, sondern auch falsche Ernährung.

Wie aber könnte man die Massen, die vor dem Bildschirm Fett ansammeln, wieder in Bewegung bringen und eine Mobilmachung auslösen? Wie es sich für unsere Zeiten gehört, muss dies auch in Form eines vermarktbaren Produkts geschehen. Den Bann der Medien soll nach Ansicht einer pfiffigen britischen Studentin Gillian Swan der Brunel University ein Chip in einem Schuh lösen. Der soll nämlich Kinder und Jugendliche, die zu lange vor der Glotze oder dem Computerbildschirm sitzen, ganz im klassischen Sinn konditionieren, wenn das die elterliche Erziehung nicht schafft.

Und das soll so gehen. In der Sohle des Schuhs, den Swan sich als Abschlussarbeit ausdachte und ironisch "Square Eyes" nannte, befindet sich nämlich ein Druckensor, der die Schritte registriert und die an einem Tag vollbrachten in einem Chip speichert. Dann muss die Information nur noch an einen Empfänger gesendet werden, der sich am Fernsehgerät befinden, und schon ist entschieden, ob und wie lange der fleißige oder faule Schuhträger glotzen kann, wenn alles mit rechten Dingen zugeht. Gesundheitsexperten meinen, dass ein Kind täglich mindestens 10.000 Schritte machen und gleichzeitig nicht mehr als zwei Stunden vor dem Fernseher sitzen sollte. Swan geht noch ein bisschen weiter. Mädchen müssen bei ihr 12.000 und Jungen gar 15.000 Schritt täglich machen. Die derart in ihrer Mobilität überwachten Kinder verdienen sich mit jeweils 100 Schritten eine Minute Fernsehen. Sie müssten also genau planen, was sie sich anschauen wollen, könnten dies aber auch immerhin exakt kontrollieren.

Fernsehen käme so bewegungsmäßig ziemlich teuer, weswegen die Fernsehzeit desto wertvoller würde – oder man sich lieber weniger anstrengende Freizeitbeschäftigungen sucht (und beispielsweise auf den Computerbildschirm ausweicht, an dem man seine Schularbeiten ausführen und auch ein wenig spielen kann). Der Schuh würde allerdings auch nur funktionieren, sofern die Überwachten weder den Sensor oder den Chip noch die Sperre am Fernseher austricksen könnten, was Kinder der Wissensgesellschaft jedoch bald können sollten, indem sie selbst hacken oder sich die erforderlichen Informationen besorgen. Dann aber wären wieder die Eltern dran, die den Schuh samt allem Drumherum gekauft haben, um sich zu entlasten und die Gesundheit ihres Nachkommens zu steigern. Sie müssten die Einhaltung des Laufprogramms überwachen – und sich dafür natürlich das nächste Gerät oder Programm kaufen.