Fiktionen zur Extremismusforschung

Seite 2: Aufsätze aus Literaturliste nicht gelesen?

Ähnliches gilt für die Kommentierung der Positionen des Autors dieser Zeilen. Auch ihm wird bezogen auf die Einschätzung von Fehlern im NSU-Komplex ein "verteidigen" unterstellt. Der Autor hat tatsächlich Fehldeutungen und Manipulationstechniken gegenüber den Verfassungsschutzbehörden kritisiert.

Gleichwohl verwies er mehrfach und an den unterschiedlichsten Orten darauf, dass es analytische Fehler gab und er regte zu konkreten Reformen an. Im Buch nennt Fuhrmann gar selbst einen Aufsatz des Verfassers, worin gerade die Analysedefizite im NSU-Komplex hervorgehoben wurden.

Fuhrmann müsste somit diese Kritik bekannt sein. Oder nennt er Aufsätze in seiner Literaturliste, die er gar nicht gelesen hat? Oder hat er den Aufsatz gelesen und schweigt über seinen Inhalt, weil dies nicht zu seinen Auffassungen und Deutungen passt? "So fühlt man Absicht und man ist verstimmt." Und leider durchziehen Fuhrmanns Ausführungen in vielen anderen Fällen derartige objektive Fehldeutungen - erkennbar mehr einer Gesinnung denn der Wissenschaft verpflichtet.

Dabei wird den gemeinten Extremismusforschern auch ihre Autonomie als Wissenschaftler abgesprochen. So schreibt Fuhrmann über Grumke, van Hüllen und den Verfasser: "Bereits während ihrer Zeit in verschiedenen Verfassungsschutzbehörden schrieben sie wissenschaftliche Beiträge." Man darf dazu kommentieren, dass dies bereits vor dieser Tätigkeit und tatsächlich auch während dieser Dienstzeit geschah. Damit nahmen aber die Gemeinten nur ihr grundgesetzlich bestehendes Recht auf Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit wahr.

Worin sieht Fuhrmann ein Problem? Es geht doch bei wissenschaftlichen Aussagen darum, inwieweit die dort entfalteten Argumente und Belege tragfähig sind oder nicht. Der Autor dieser Zeilen hat vor, während und nach seiner Tätigkeit im Bundesamt für Verfassungsschutz journalistisch und wissenschaftlich publiziert, übrigens nicht nur zu Extremismusfragen, sondern zu vielen anderen Themen. Die Argumente und nicht die Berufszugehörigkeiten sollten doch relevant sein.

Stattdessen spricht Fuhrmann immer wieder von "Verflechtungen". Dem Autor dieses Beitrags, der intensiv zu Verschwörungsideologien geforscht und publiziert hat, fallen viele strukturelle Gemeinsamkeiten zu Konspirationsvorstellungen aus Geschichte und Gegenwart ein. Sie stehen für monokausale und stereotype Deutungen sozialer Realität.

Auch bei Fuhrmann lässt sich dies in seiner Wirklichkeitswahrnehmung ausmachen. Die vorgetragenen Auffassungen zu "staatlicher Feinderklärung", wodurch "die Staatsräson wissenschaftlich legitimiert" wird, finden sich übrigens bis in die Formulierungen hinein auch in der intellektuellen "Neuen Rechten". Da der Autor des vorliegenden Textes bereits seit Jahrzehnten zu deren Wirken publiziert, kennt er ähnliche Reaktionen und Vorwürfe aus diesen Zusammenhängen. Argumente auf Faktenbasis kommen dort auch nicht vor, was angesichts der ideologischen Orientierung nicht verwundern kann.

P.S. I: Als kleines Detailbeispiel zu Fuhrmanns Arbeitsweise sei noch auf folgenden Satz aus der Fußnote 3 verwiesen: "Es ist davon auszugehen, dass die Person Christian Menhorn gar nicht existiert." Menhorn hat indessen mehrfach im NSU-Untersuchungsausschuss ausgesagt. Seine Fachkompetenz wurde auch von Hajo Funke gelobt, wenn auch eher zähneknirschend. Ähnlich äußerten sich Stefan Aust und Dirk Laabs, sie kritisierten indessen seine Frisur. Demnach haben sie Menhorn auch optisch als Person wahrgenommen. Absonderlichkeiten dieser Art durchziehen indessen Fuhrmanns Text.

P.S. II: In der Buchausgabe ging Fuhrmann auch kurz inhaltlich auf die Extremismustheorie ein. Er wird hier öffentlich dazu eingeladen, seine Einwände in Form eines Aufsatzes im Jahrbuch für Extremismus- und Terrorismusforschung vorzubringen. Dort kann dann auch eine wissenschaftliche Auseinandersetzung erfolgen. Dabei wären indessen inhaltliche Argumente und nicht intentionalistische Fehlschlüsse relevant, will man den formalen Regeln des öffentlichen Vernunftgebrauchs entsprechen. Der nächste Redaktionsschluss ist am 1. Dezember 2021.

Armin Pfahl-Traughber ist Politikwissenschaftler und Soziologe. Er war zunächst Lehrbeauftragter an der Universität Marburg. Zwischen 1994 und 2003 arbeitete Pfahl-Traughber als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundesamt für Verfassungsschutz in der Abteilung "Rechtsextremismus".

Seit 2004 ist er als Professor hauptamtlich Lehrender an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl und gibt dort seit 2008 das Jahrbuch für Extremismus- und Terrorismusforschung heraus. Seitdem ist Pfahl-Traughber auch Lehrbeauftragter an der Universität Bonn.

Er gehörte den beiden Unabhängigen Expertenkreisen Antisemitismus des Deutschen Bundestages und gehört dem Beirat des Bündnisses für Demokratie und Toleranz an. Seine letzten Buchveröffentlichungen waren:

Die AfD und der Rechtsextremismus, Wiesbaden 2019;

Der Extremismus der Neuen Rechten, Wiesbaden 2019;

Extremismus und Terrorismus in Deutschland, Stuttgart 2010.

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