Filmrechte: Ein Millionenspiel
Urheberrechtsprobleme legten schon vor 32 Jahren einen Film unerwartet auf Eis und sorgen heute für noch weit größere Probleme
1970 machte ein Fernsehfilm des westdeutschen Rundfunks Furore: Das "Millionenspiel" nimmt heutige Privat-TV-Exzesse wie das "Dschungelcamp" und für die Kandidaten noch härtere Formate bereits satirisch voraus. Doch dann lag der Film 30 Jahre im Giftschrank und durfte nicht mehr gezeigt werden: Die Lizenz fehlte!
Es gibt im Fernsehen nichts, das zu verrückt ist, als dass es nicht von einigen Zuschauern für bare Münze genommen wird. Im Spielfilm "Das Millionenspiel" von Wolfgang Menge muss der Kandidat Bernhard Lotz in einer fiktiven Fernsehshow sieben Tage überleben, während er von drei anderen Kandidaten mit Maschinenpistolen durch Osnabrück und Köln gejagt wird. Kommt er durch, bekommt er eine Million Mark - 1970 eine für ein Fernsehquiz unvorstellbare Summe -, schaffen es die Gegner, ihn abzuknallen, so erhalten diese 120.000 Mark, weil sie bei ihrem Auftritt nicht ihr Leben riskieren. Acht Kandidaten von 14 haben vor Lotz schon das Spiel mit dem Leben bezahlt. Moderiert wird die Sendung vom zynischen Quizmaster Thilo Uhlhorst, gespielt von Dieter Thomas Heck.
Der Produzent möchte den Kandidaten wegen der Quoten möglichst vor laufender Kamera abgeknallt sehen und überredet Lotz deshalb immer wieder zu dramatischen Sprüngen aus dem Fenster statt einer sicheren, doch nicht filmbaren Flucht beispielsweise durch einen Keller. Damit die Zuschauer an den Geräten bleiben, wird dem Gejagten dann aber öfters doch noch geholfen. Am Schluss muss Bernhard Lotz die letzten Meter zum Showmaster und Sieg durch einen durchsichtigen Panzerglastunnel mit Löchern rennen, durch die seine Gegner eine letzte Möglichkeit haben, ihn abzuknallen. Das Ganze wird angeblich auf dem Sender "Transeuropa TV" (TETV) ausgestrahlt.
1970 gab es weder europaweite Fernsehsender noch TV-Aussendungen privater Sender, Satelliten-TV und RTL Fernsehen waren noch Jahre entfernt. Von daher hätten auch erst später in den Film stolpernde Zuschauer eigentlich stutzig werden müssen. Dennoch bekam der westdeutsche Rundfunk jede Menge Post von Zuschauern, die sich sowohl als Jäger wie als Gejagter für die Show bewerben wollten. Allerdings bekam er auch Post aus Amerika und war nun selbst der Gejagte: Der Filmproduzent Joseph Cates hatte vom Romanautor Robert Sheckley, auf dessen 1958 erschienenen Kurzgeschichte "Der Tod spielt mit" die fiktive Menschenjagd beruhte, die Filmrechte erworben und untersagte nun die weitere Ausstrahlung des Films, was 1977 vom Oberlandesgericht Frankfurt bestätigt wurde. Der Grund für das Schlamassel: Der westdeutsche Rundfunk hatte vom Goldmann-Verlag, in dem 1966 Sheckleys Erzählung auf deutsch im Buch "Das geteilte Ich" erschienen war, zwar vermeintlich die Rechte zur Verfilmung erworben, doch hatte Goldmann die selber gar nicht, sondern nur die Rechte zum Buch. Dass Sender, Regisseur und Schauspieler etliche eigene kreative Leistungen und jede Menge Geld in die Produktion des Films gesteckt hatten, half ihnen nicht weiter: Sie durften ihren eigenen Film nicht mehr zeigen.
Dass die Zuschauer einen fiktiven Spielfilm für eine echte Reportage hielten, gelang Menge nochmals mit "Smog", einem fiktiven, doch zur Zeit seines Entstehens 1973 nicht so weit von der Wirklichkeit entfernten Report über eine mehrtägige Inversionswetterlage über dem industriereichen Ruhrgebiet und deren Folgen: Auch hier merkten etliche Zuschauer nicht, dass es sich nur um einen Spielfilm handelte. Die 1977 ausgestrahlte "Planübung" über ein Militärmanöver, zu der Menge das Drehbuch lieferte, war ebenfalls sehr realistisch. Zuvor war Menge, der dieser Tage 80 wurde, mit der Krimireihe "Stahlnetz" und der genialen Sitcom "Alfred, das Ekel" bekannt geworden, hat jedoch zum Fernsehen immer eine kritische Distanz bewahrt - so kritisiert er die heutige Quotenjagd auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen - und ist deshalb später auch mit guten Themen wie einer Verfilmung der Flick-Spendenaffäre abgeblitzt.
Später vergab Robert Sheckley noch weitere Filmrechte für seine Geschichte, so 1982 an ein französisches Team, das den Film "Kopfjagd - Preis der Angst" herausbrachte. Auch Stephen King bediente sich bei Sheckley und nahm die Kurzgeschichte als Grundidee seines unter dem Pseudonym "Richard Bachmann" verfassten Romans "Running Man", der 1987 mit Arnold Schwarzenegger verfilmt wurde und in dem die Kandidaten nicht mehr um eine Million kämpfen, sondern als Verbrecher zur Teilnahme an dem mörderischen Spiel verurteilt werden.
Nur beim Millionenspiel war nichts zu machen: Eine Einigung mit Joseph Cates war nicht möglich, weil dieser die Filmrechte inzwischen weiter verkauft hatte, sie in 25 Jahren in Paketen kombiniert mit anderen Rechten noch sieben mal weiter verkauft wurden und nicht mehr einzeln zur Verfügung standen. Erst im Mai 2002 konnte schließlich das französische "Studio Canal Image" als gegenwärtiger Inhaber der offensichtlich sehr heißen Ware "Filmrechte" ermittelt werden und der westdeutsche Rundfunk erwarb nun endlich die Ausstrahlrechte für seinen eigenen Film für ARD, 3. Programm und Arte. Die Lizenzgebühren sind dabei im Gegensatz zum früheren Rechtsstreit kein Millionenspiel, sondern im normalen Rahmen solcher Transaktionen und laut Aussage eines Mitarbeiters des Senders noch unter 10.000 Euro, werden allerdings bei jeder Ausstrahlung aufs neue fällig. Im Vergleich zu den beim Fernsehen sonst pro Sendestunde anfallenden Kosten ist dies aber kein Drama und immerhin besteht nicht die Gefahr, dass der Film eines Tages erneut verboten wird. Der Autor Robert Sheckley bekommt von dem Geld allerdings direkt nichts zu sehen - ein undurchschaubares System von Händlern und Unterhändlern, das anderswo oft kritisiert wird, weil es die Kontrolle erschwert und eben solche Vorfälle wie das jahrelange Verbot des Millionenspiels begünstigt, ist bei Urheberrechten gang und gäbe. Ja, Wolfgang Menge konnte sogar froh sein, dass der Buchautor nicht auf eine komplette Vernichtung des Films geklagt hatte wie die Witwe des "Dracula"-Autors Bram Stoker gegen Friedrich Wilhelm Murnaus "Nosferatu", der vor 80 Jahren auch ein deutsches Gericht Recht gab (Hase und Igel).
Heute: Volksmusik geht bei der ARD am Ostersamstag vor
Merkwürdigerweise behandelt der Sender sein unfreiwillig teuer gewordenes, doch auf jeden Fall sehenswertes Renommierstück nun allerdings etwas schofel: Die erste wieder genehmigte Ausstrahlung war am 8. Juli 2002 im dritten Programm des westdeutschen Rundfunks, am 3. Mai 2003 lief der Film auf Arte und erst vor einigen Tagen, am Ostersamstag den 10. April 2004, wieder an alter Stelle im ersten Programm. Jedoch nicht etwa als Geschenk an die Zuschauer, sondern an den Regisseur Wolfgang Menge, der an diesem Tag seinen 80. Geburtstag hatte und auch nicht mehr zur Hauptsendezeit um 20.15 Uhr. Zwar wäre eine solche Show heute durchaus denkbar und es würden sich möglicherweise noch mehr Möchtegern-Kandidaten beim Sender melden als 1970. Nur die alten Autos und die unsäglichen Frisuren könnten die Zuschauer irritieren oder die damalige Rolle von Didi Hallervordern als Gangsterchef dazu führen, das Ganze für Slapstick zu halten. Dieter Thomas Heck führt heute in der Rolle des TETV-Showmasters ebenfalls zu Irritation, während 1970 seine ZDF-Hitparaden-Karriere noch vor ihm lag.
Doch geht die ARD davon aus, dass der Film heute zur Hauptsendezeit nicht mehr genügend der bewussten Einschaltquote bringt und feierte stattdessen um 20.15 Uhr das "Frühlingsfest der Volksmusik", womit sie auch um 22.40 Uhr, dem angekündigten Sendetermin des Millionenspiels, noch lange nicht fertig war. Bis nach Holldrio und Dudeldö, Werbung für andere Filme, Tagesthemen, Wort zum Sonntag und weiterer Volksmusik der Film dann mit weit über einer Stunde Verspätung anlief, waren die meisten Zuschauer und sicher auch der Regisseur längst ins Bett gegangen. Auch, wer den Film aufnehmen wollte, bekam entweder - ohne VPS - stattdessen Volksmusik aufs Band oder aber - mit VPS - eine Minute der Tagesthemen. Aber vielleicht liegt es auch daran, dass Fernsehen und Filmrechte dem Sender mittlerweile nicht mehr so wichtig sind wie 1970 und er sich heute mehr für die Kontrolle des Internets interessiert.
Bezeichnend am Debakel um das "Millionenspiel" ist aber, wie unterschiedlich Urheberrechte ausgelegt werden, je nachdem, um welches Medium es geht: Während es bei gedruckten Dingen relativ zivil zugeht, die Urheber einerseits geschützt werden, man aber andererseits durchaus aus einem Buch oder einem Zeitschriftenartikel zitieren kann und oft genug auch muss, ebenso Gedankengänge nachvollziehen oder wie Stephen King die Geschichte weiterspinnen darf, solange man nicht einfach den ganzen Text abkupfert, wird bei Landkarten bereits ein Zitat von 2 x 2 Zentimetern abgemahnt und bei Musik eines von zwei Sekunden. Um "Zapping"-Shows wie Stefan Raabs "TV total" toben juristische Auseinandersetzungen um die gezeigten Kurzzitate aus anderen Fernsehsendungen, für welche die Chefjuristin Eva-Maria Michel des westdeutschen Rundfunks für die ARD erhebliche Nachlizenzierungsgebühren von über 100.000 Euro sehen möchte, RTL zuvor sogar über 800.000 Euro.
"Wer uns liebt, wird besonders hart bestraft"
Sogar, wer mit Filmzitaten Werbung für eben jenen Film machen will, aus dem er zitiert, kann sich um Haus und Hof bringen: Das sieben Mitarbeiter umfassende Unternehmen "Video Pipeline" von Jed Horowitz belieferte Online-Videotheken jahrelang mit zwei Minuten langen selbst geschnittenen Trailern der neuesten Hollywood-Streifen. Disney-Filme empfahl Horowitz dabei immer besonders gerne, doch stieß diese Liebe zu Disney dort keineswegs auf Gegenliebe: Im Jahr 2000 bekam er von der Trickfilmfirma plötzlich eine auf 90 Milliarden Dollar lautende einstweilige Verfügung ins Haus, wie J. D. Lasica auf Mindjack berichtet. Als er nicht unterschrieb, sondern eine richterliche Klärung wollte, machte Disney einen entstandenen Schaden von 110 Millionen Dollar geltend.
"Meine Mutter war Kinder-Bibliothekarin und sie gab mir mit, dass Kultur aus Erzählungen besteht und diese Geschichten niemand gehören, sondern untereinander ausgetauscht werden. Doch in nur wenigen Jahrzehnten wurde die Kultur privatisiert bis zu einem Punkt, wo wir nun in eine Krise geraten sind."
Jed Horowitz
In der Tradition von Michael Moore's Film "Roger and me" wollte Horowitz unter dem Titel "Mickey and me" einen Film über seinen Streit mit der Maus mit den großen Ohren drehen, doch als er merkte, dass sein Problem kein Einzelfall war, interviewte er für den nun "Willful Infringement" ("Mutwillige Verletzung") genannten Film auch andere Betroffene wie die Vorschullehrer, denen gesagt wurde, dass in den Klassenzimmern keine Cartoons geschützter Zeichentrickfiguren ausgehängt werden dürften, eine Rolling-Stones-Coverband und Partyclowns, die gewarnt wurden, dass sie Ärger bekämen, wenn die Figuren, die sie auf Privatfeiern aus Ballons herstellen, weiterhin einigen bekannten Zeichentrickfiguren ähneln würden. Ebenso Walter Leapheart, Manager der Rap-Gruppe Public Enemy und Mazen Mawlawi, der mit Freunden zwei Jahre an einem 35-Minuten-Film arbeitete, der zwischen Star Wars Episode 3 und 4 spielen sollte: Lucasfilm ließ den im Internet kostenlos angebotenen Fanstreifen verbieten.
"Art has to be able to use almost anything it wants to, without payment, without permission. I think that would not hurt the world one bit. The whole culture of folk music is impossible now because you can be sued for copying another song. But that's what folk music was all about: hearing a song and making your own version. That was folk music for centuries, copying what people heard around the country. That's now seen as illegal, criminal, uncreative, and a danger to corporate capitalism."
Don Joyce von der Band "Negativland"
Inzwischen entschied ein US-Gericht, dass Horowitz keine eigenen Filmwerbetrailer mehr erstellen darf. Im Februar entließ er seine Mitarbeiter und schloss die Firma. Er sucht nun nach Vertriebswegen für "Willful Infringement".
"Copyright tötet die Kultur"
Jed Horowitz