Finnland in der Nato: Eine "informelle Kriegserklärung" an Moskau?
Die russische Politik reagiert mit harter Rhetorik, die dortige Expertenwelt mit der Analyse der Ursachen auf den finnischen Beitritt zum Militärbündnis
In der Nacht zum Samstag hat Russland seine Stromlieferungen nach Finnland gestoppt. Zuvor hatte es bereits eine verbal harte Antwort aus Moskau auf den beantragten Nato-Beitritt des Landes gegeben – die zumindest war den Finnen gewiss, als sie sich zur Aufgabe ihrer traditionellen Neutralität und einem Beitritt zur Nato entschlossen hatten.
Nachdem Präsident Sauli Niinistö und Ministerpräsidentin Sanna Marin dieses Vorhaben am Donnerstag offiziell verkündet hatten, erklärte das Russische Außenministerium zunächst, dass "der Nato-Beitritt Finnlands den bilateralen russisch-finnischen Beziehungen ernsthaften Schaden zufügen wird".
Es kündigte auch entsprechende militärtechnische Gegenmaßnahmen an, wobei es sich primär um Truppenstationierungen an der gemeinsamen Grenze handeln wird, wie der russische Außenpolitiker Sergej Zekow im Gespräch mit der Zeitung gazeta.ru wörtlich ankündigt:
Finnland muss verstehen, dass es Russland dadurch zwingt, seine militärische Präsenz an dieser Flanke zu stärken. Was damit zusammenhängt, wird zum Ziel der russischen Armee.
Sergej Zekow, Russischer Föderationsrat, laut gazeta.ru am 12. Mai 2022
Noch etwas härter und drohender drückt sich in diesem Zusammenhang sein Kollege Wjatscheslaw Nikonow aus.
Es ist klar, dass jene Länder, die ihre Gebiete für Nato-Stützpunkte zur Verfügung stellen, zu Zielen werden, auch für unsere Atomwaffen.
Wjatscheslaw Nikonow, Russische Staatsduma, laut gazeta.ru am 12. Mai 2022
In der Zeitung lenta.ru sprach Föderationsratsmitglied Andrej Klimow davon, dass sich die USA bereits seit acht Jahren beharrlich darum bemühten, dass Finnland dem Bündnis beitritt. Er bezeichnete die nun wohl in absehbarer Zeit vollzogene Nato-Aufnahme des Landes sogar als "informelle Kriegserklärung an die Russische Föderation".
Russischen Experten ist klar, was diesen Nato-Beitritt auslöste
Im emotionalen Statement des Senators Klimow klammert dieser etwas aus, wie die Finnen denn ausgerechnet aktuell dazu kommen, dem tatsächlichen Werben der Nato, um eine Mitgliedschaft des Landes nachzugeben. Etwas tiefer geht bei dieser Frage die Analyse des russischen Politologen Kirill Schamijew gegenüber der oppositionsnahen Onlinezeitung Meduza.
Er führt den finnischen Stimmungsumschwung zum Nato-Beitritt – 2017 waren 22 Prozent der Finnen dafür, im März 2022 bereits 62 Prozent – vielmehr auf den russischen Angriff auf die Ukraine als auf ein fortgesetztes Werben des Westens zurück.
Für die Politik spielt auch die Art und Weise, wie dieser Krieg geführt wird, eine Rolle. Aufnahmen von zerstörten Städten, Verletzungen von Regeln der Kriegführung, Tötung von Zivilisten. Natürlich haben die normalen Menschen, die Details militärischer Operationen nicht verstehen dennoch verstanden, dass Russland Finnland vielleicht nicht ganz besetzen, aber großen Schaden anrichten kann, vor allem Tote.
Kirill Schamijew laut Meduza am 21. April 2022
Diese Erkenntnis, dass Finnlands Regierung und Bevölkerung wegen des russischen Angriffs in die Nato streben, gibt es im Kreml zumindest offiziell nicht. Befragt nach dem Grund, warum die Finnen aktuell ihre vergleichsweise guten Beziehungen zu Russland mit einem Nato-Beitritt gefährden, meint Kremlsprecher Peskow gemäß der Zeitung gazeta.ru "das muss man die finnische Regierung fragen". Jede Nato-Erweiterung mache den europäischen Kontinent nach seiner Meinung "weder stabiler noch sicherer".
Zügige Aufnahme erwartet
Schamijew rechnet nun mit einer zügigen Aufnahme Finnlands und später auch Schwedens im Nato-Bündnis. Der für ihn wichtigste Freund Russlands im Westen, Ungarn, werde dagegen keine Bedenken haben und torpediere westliche Bemühungen im Ukrainekrieg nur wegen eines schlechten Verhältnisses zur Ukraine wegen der dortigen ungarischen Minderheit.
Schamijew rechnet im Gegensatz zu Nikonow nicht mit der festen Stationierung fremder Nato-Truppen in Finnland oder Schweden. Diese sei nicht im Interesse der beiden Länder und sie könnten ihren Beitritt an diese Bedingung knüpfen.
Ändern könne sich diese Haltung jedoch auch nach dem Glauben von Schamijew bei einer weiteren Eskalation des Ukraine-Krieges, die neue Ängste schüre. Die Nato wiederum betrachte die Integration der beiden skandinavischen Staaten als Beitrag zur "Eindämmung" Russlands, da beide über sehr modernes Militär verfügten.
Für Russland sei Finnlands Nato-Mitgliedschaft laut Schamijew problematisch wegen der räumlichen Nähe und der langen, gemeinsamen Grenze. Finnland ermöglich auch, im Grenzgebiet zu Russland nachrichtendienstlich stärker tätig zu werden - also zu spionieren. Eine ähnliche Meinung vertritt Iwan Timofejew, Programmdirektor des Waldaj-Klubs. Für Russlands Interessen gäbe es für ihn am Nato-Beitritt Finnlands oder Schwedens nichts Gutes.
Dennoch hält Kirill Schamijew für Russland der Nato-Beitritt der beiden nordischen Länder nicht so schlimm wie einer der Ukraine. Er werde nicht als Verlust politischer Macht betrachtet. Hier stimmt er ebenfalls mit anderen russischen Experten überein.
So betrachtet der Moskauer Militärexperte Iwan Konowalow bei gazeta.ru etwa Schweden schon vor dem Nato-Beitritt als Teil des Westens. Den formalen Schritt in die Nato wird Stockholm voraussichtlich kurz nach Finnland vollziehen - unabhängig davon, wie man in Moskau darüber denkt.