Fleischgewordene Präzisionsinstrumente des Krieges

Electronic Arts wagen einen Neuanfang mit Medal Of Honor

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Medal Of Honor (MoH) ist eine der großen und einflussreichen Videospielserien schlechthin... gewesen? Die ursprünglich von Steven Spielbergs DreamWorks Interactive konzipierte und später vollständig von Electronic Arts übernommene Marke begründete im Jahr 1999, vier Jahre vor dem ersten Call Of Duty-Teil, das meist um eine halbwegs realistische Darstellung bemühte Subgenre des Weltkriegs-Shooters maßgeblich mit.

Trotz der hervorragenden Episode Frontline (2002) verlor MoH seine Sonderstellung im damals noch stark von Horror- und Science-Fiction-Themen dominierten Bereich der Ego Shooter, als 22 Entwickler, die noch ein Jahr zuvor für EA den PC/Mac-Ableger Medal Of Honor - Allied Assault kreiert hatten, ihre eigene Firma Infinity Ward:http://www.infinityward.com gründeten und mit ihrer ersten, von Activision im Jahr 2003 veröffentlichten Produktion Call Of Duty (CoD) begannen, dem ehemaligen Arbeitgeber auf dessen ureigenem Terrain massiv Konkurrenz zu machen.

Da die im gleichen Zeitraum erschienene MoH-Episode Rising Sun nicht nur weit schwächer ausfiel als CoD oder auch der direkte Vorläufer Frontline, sahen sich EA im Zugzwang, die Scharte mit einem wesentlich ambitionierterem Nachfolger auszuwetzen. Also wurde der legendäre Hollywood-Gewaltmensch John Milius beauftragt, das Konzept für European Assault zu erstellen. Das 2005 erschienene Ergebnis gilt vielen langjährigen Hobby-GIs als bester Teil der Serie schlechthin. Das liegt nicht nur an der von Milius vorgegebenen betont rauhen Gangart oder der besonders auf Gamecube- und Xbox-Konsolen äußerst ansehnlichen Grafik, sondern vor allem an den weitläufigen, weitestgehend frei begehbaren Spielwelten und der brillanten Teamsteuerung, die dem Spieler ermöglichte, eine Handvoll Mitstreiter mit einigen simplen Klicks gezielt in das Scharmützel zu schicken, was European Assault eine gewisse taktische Tiefe verlieh, ohne das Spiel deswegen zu einer strategischen Simulation geraten zu lassen.

Noch im selben Jahr erschien jedoch auch Call Of Duty 2, das die Stärken des erfolgreichen Vorgängers weiter ausbaute, genauso wie der bereits 2006 nachgelegte dritte Teil der direkten MoH-Konkurrenz, die sich nun an die Spitze setzte. Das lag sicher auch darin begründet, dass die Call-Of-Duty-Titel stets um neue Möglichkeiten bereichert wurden, jedoch ohne dabei die Spielweise oder die grafische Gestaltung grundlegend zu verändern. So bildete sich hier schon früh eine eindeutige Franchise-Identität, während die drei für die sechste Konsolengeneration veröffentlichten MoH-Spiele nur das historische Setting gemeinsam hatten.

Der 2007 für die Playstation 2 und die Wii veröffentlichte Titel Medal Of Honor - Vanguard baut, der seltsamen Logik der Serie folgend, wieder nicht auf den eigenen Vorläufer auf, sondern versucht es mit einem linearen, an Frontline beziehungsweise Call Of Duty erinnernden Spielverlauf, der angesichts des wenige Monate später folgenden Call Of Duty 4 - Modern Warfare jedoch regelrecht altertümlich wirken musste. Folglich wurde das Spiel von den Fans bestenfalls zwiespältig aufgenommen.

Leider hatte das mittlerweile arg ramponierte Image des einstigen Flaggschiffs soviel Schaden genommen, dass auch das Ende 2007 erschienene Medal Of Honor - Airborne darunter zu leiden hatte, obwohl es sich zweifellos um den besten Teil der Serie seit European Assault handelte, auf dessen Open-World-Philosophie das Spiel aufbaute. Der Kniff, den Spieler zu Beginn jedes Levels mit dem Fallschirm abspringen zu lassen, verleiht dem Titel einen hohen Wiederspielwert, da sich der Ablauf der Missionen immer danach richtet, wohin man seine Figur während des Sprungs lenkt. Ungerechterweise wurde Airborne trotz dieser Königsidee von der Kritik als "wenig innovativ" abgekanzelt und verkaufte dementsprechend mau.

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass sich der eben erschienene, schlicht Medal Of Honor betitelte und als "Neuanfang" angekündigte aktuelle Teil in allererster Linie an den Modern-Warfare-Teilen orientiert: Zeitgenössisches Setting, moderne Waffen, lineares Missionsdesign ... alles da. Originalität? Fehlanzeige. Das wäre noch nicht das Problem - dass "MoH 2010" aber auch sonst in jeder Hinsicht hinter der Konkurrenz herhumpelt, ist tragisch. Die Grafik ist vergleichsweise lausig; das Leveldesign ist schlicht und einfach eine Kopie der letzten CoD-Titel, ohne aber mit deren dramatischen Qualitäten aufwarten zu können. Natürlich hat man als eingefleischter Konsolensöldner seinen Spaß - aber ein brillantes oder gar epochales Spiel sieht ganz anders aus.

Da helfen dann auch markige PR-Sprüche wie "Sie sind fleischgewordene Präzisionsinstrumente des Krieges, Experten der Gewaltanwendung" wenig. Auch das bewusst skandalträchtige Ansiedeln des Spiels im aktuellen Afghanistan-Konflikt wirkt in diesem Zusammenhang nur noch wie ein hilfloses Heischen nach Negativpropaganda.

Fleischgewordene Präzisionsinstrumente des Krieges (11 Bilder)

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