Flucht und Migration: Wie die Festung Europa aufrüstet
Klingendraht und Tote an den Außengrenzen, Wachleute in Flüchtlingszimmern: Dazu müssen gar nicht Rechtsaußen-Parteien wie die AfD regieren
Wenn der AfD-Rechtsaußen Björn Höcke, wie erst kürzlich wieder bei einer Rede bei Pegida in Dresden, eine "Festung Europa" beschwört, gruseln sich alle guten Demokraten und sehen darin, einmal mehr den Beweis für die Verfassungsfeindlichkeit dieser Partei. Dabei übersehen sie gerne, dass der Traum von Höcke und Co. schon längst Realität wird. Die Festung Europa rüstet an verschiedenen Stellen auf - und all die guten Demokraten, die sich über die AfD entrüsten, schauen lieber nicht so genau hin.
Selbst die französisch-spanische Grenze wird für Geflüchtete immer unpassierbarer. Noch sehr viel repressiver ist die Situation in Osteuropa. Da ruft Polens Regierung im Osten des Landes an der Grenze zu Belarus den Notstand aus, schränkt die Grundrechte der Bewohner ein und will Pressevertreter gleich ganz fernhalten.
Doch die Gefahr sind nicht etwa belorussische Truppen, sondern Migranten, die oft lange in Belorussland festgehalten wurden und vom Regime Alexander Lukaschenkos jetzt nicht mehr im Interesse der Festung EU an der Ausreise gehindert werden. Das aber sehen alle EU-Politiker im Einklang mit den belorussischen Anrainer-Staaten als Angriff. Die viel zitierte Menschenwürde der Flüchtenden zählt dann nicht.
Daher wird auch nonchalant auf den von der polnischen Regierung ausgerufenen Notstand reagiert. Selbst nachdem mehrere Flüchtlinge in dieser Zone starben, wird das Interesse der EU-Demokraten nicht größer. Wenn ein Richter der EU-freundlichen polnischen Opposition versetzt wird, ist deren Aufregung groß. Wenn namenlose Geflüchtete in der ostpolnischen Notstandszone sterben, ist das vielleicht mal eine schnell vergessene Meldung wert.
Ein ARD-Kamerateam hielt nun erstmals fest, wie maskierte Männer in Uniform an der kroatisch-bosnischen Grenze Geflüchtete aus der EU prügeln. Wie lange das in welchen Kreisen für Empörung sorgt und ob daraus Konsequenzen folgen, bleibt abzuwarten. Dass es solche illegalen "Pushbacks" gibt, war auch lange zuvor kein Geheimnis mehr, nur stammten entsprechende Videos von Aktionen der EU-Grenzpolizei Frontex auf dem Mittelmeer nicht von Journalisten öffentlich-rechtlicher Medien, sondern von Betroffenen.
Lob für den EU-Rechtsaußen Orbán
Die dänische Regierung belässt es derweil nicht beim beredeten Schweigen über die Menschenrechtsverletzungen zu Lasten von Migranten. Sie hilft aktiv dabei mit, die Festung Europa für sie unüberwindlicher und potentiell tödlicher zu machen, in dem sie lebensgefährlichen Klingendraht nach Litauen liefert. Damit soll die EU-Grenze im wahrsten Sinne des Wortes todsicher gemacht werden.
Der Skandinavien-Korrespondent der taz, Reinhard Wolff, benennt in einem Beitrag, welche Aufgabe dieser Draht hat. "Er wurde speziell dafür geschaffen, dass für einen Körper, der sich darin verfängt, das Verletzungsrisiko mit jeder Bewegung steigt. Tiefe Schnittwunden sind die Folgen". Das konnte bereits an einer anderen EU-Außengrenze, der zur spanischen Enklave Melilla und Ceuta demonstriert werden. Dort verbluteten bereits Menschen, die in diesem Zaun hängen geblieben waren.
Die von Sozialdemokraten geführte Regierung Dänemarks sieht an der litauisch-belorussischen Grenze auch dänische Interessen verteidigt. Dabei loben die dänischen Sozialdemokraten einen Mann, der als eine Art AfD-Politiker an der Macht bezeichnet werden kann: den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Doch der hat nicht nur in den Rechtsparteien jeglicher Couleur viele Freunde. Auch die dänischen Sozialdemokraten sehen es als Fehler an, Orbán wegen seiner rigorosen Grenzpolitik zu kritisieren.
"Dänemark muss sich für die Migration interessieren, bevor sie an der deutsch-dänischen Grenze steht" lautet die Devise. Die gilt auch für viele Politiker in Deutschland, doch dort spricht man das nicht so laut aus. Schließlich hat es Deutschland in den letzten Jahrzehnten geschafft, nur von angeblich sicheren Drittstaaten umgeben sein. So dürften in der Theorie kaum noch Flüchtlinge hier ankommen. In der Praxis sieht es schon anders aus, was auch der Autonomie der Migration geschuldet ist. Deutschland ist eben ein Zielort für viele Menschen, die sich durch Migration ein besseres Leben erhoffen.
Ohne Grundrechte in Deutschland
Auch ihnen werden wesentliche Grundrechte in Deutschland vorenthalten. Darauf soll mit einem Aktionstag des Netzwerks "Lager Watch" am 9. Oktober aufmerksam gemacht werden. Ziel ist das Ende der Zwangsunterbringung von Geflüchteten in Erstaufnahmelagern und Ankerzentren, in denen viele gegen ihren Willen leben müssen. Besonders die Hausordnungen dieser Einrichtungen greifen tief in die Grundrechte der Menschen ein.
Beispielsweise wird darin das Recht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung missachtet, indem die Zimmer jederzeit vom Wachpersonal betreten werden können. Rechtsmittel dagegen einzulegen, ist nicht einfach, weil die Betroffenen oft nur kurz in den Einrichtungen leben. Ein Eilantrag gegen eine solche Hausordnung wurde vom Verwaltungsgericht Mannheim abgelehnt.
Für die Durchsetzung der Hausordnungen in den Einrichtungen sind oft private Sicherheitsdienste zuständig, die damit Polizeiaufgaben wahrnehmen. Was nach Meinung vieler Kritiker jetzt noch ungesetzlich ist, könnte durch die geplante Reform des Sicherheitsdienstleistungsgesetzes legalisiert werden. Wie schnell mitten in Deutschland auch Notstandszonen geschaffen werden können, zeigt die Situation in der Erstaufnahmeeinrichtung Suhl zu Beginn des Corona-Lockdowns.
Die Einrichtung sei schon von der Polizei abgeriegelt worden, bevor die Qurantänemaßnahmen in Kraft traten, so die antirassistischen Kritiker. Sie monieren, dass viele Migranten die Begründung für die Maßnahmen gar nicht kannten. Sie wurden daran gehindert, die Einrichtung zu verlassen - und wenn sie es doch taten, zwangsweise zurückgebracht. Obwohl Teile der Maßnahme von Gerichten für unrechtmäßig erklärt wurden, gab es keine politische Aufarbeitung, so die Kritik antirassistischer Initiativen. Auch hier zeigt sich: Die Festung Europa rüstet sich weiter aus im Innern und an den diversen Grenzen. Auch wenn Höcke und Co. es nicht wahrhaben wollen: Dafür werden sie gar nicht gebraucht.
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