"Flüchtlinge": Österreichische Politiker bekräftigen "Willen zur Abwehr"

Migranten/Flüchtlinge an Bord eines Schlauchboots, angeblich unterwegs von der türkischen Küste nach Lesbos. Bild von 2016: Mstyslav Chernov/Unframe /Lizenz: CC BY-SA 4.0

Kanzler Kurz und Innenminister Kickl machen sich Sorgen über Balkan- und Mittelmeerroute. Sie plädieren für "Dichtmachen" und den "Idealfall Zurückschicken". Frontex soll einen politischen Auftrag bekommen

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Die Empörung über die große Zahl an so genannten "Flüchtlingen", die zwischen Herbst 2015 und dem Frühjahr 2016 größtenteils unkontrolliert bis nach Österreich durchgewinkt wurden, ist eine der hauptsächlichen Ursachen dafür, dass es dort zu einer ÖVP-FPÖ-Regierung kam.

Nun gab es 2017 mit rund 25.000 Asylgesuchen einen starken Rückgang im Vergleich zum Jahr zuvor (42.000), etwa 42 Prozent weniger. Und der Trend setzte sich in den ersten drei Monaten dieses Jahres fort, wie der Standard Anfang Mai berichtete: "Im ersten Jahresdrittel wurden nach Angaben des Innenministeriums 5.011 Ansuchen gestellt. Das ist ein Rückgang um rund 40 Prozent gegenüber den ersten vier Monaten 2017."

Aber eine gewisse Unruhe ist geblieben, wie man etwa daran sieht, dass österreichische Regierungspolitiker am vergangenen Wochenende mit Maßnahmen zur Grenzsicherung auf sich aufmerksam machten. Da die Unruhe gleichwohl auch mit Erregungen verknüpft ist, welche die Koalition erst an die Macht brachte, spielt man beim Thema Migranten eine Rezeptur aus, die die Wahl gewonnen hat. Das ist den Äußerungen des FPÖ-Innenministers Herbert Kickl (FPÖ) deutlich anzumerken ist.

"Dicht machen!"

Kickl zeigt sich besorgt über einen Anstieg der Flüchtlingsbewegung über die Balkanroute und spricht davon, dass er die "Albanien-Route" dicht machen will, überschreibt die österreichische Zeitung Der Standard einen Bericht vom gestrigen Sonntag, der erneut bezeugt, wie sehr die Ankunft der Hundertausenden von Migranten im 2015/2016 die politische Landschaft markiert hat.

"Ein nicht zu bewältigender Flüchtlingsstrom wie 2015 und 2016" dürfe sich nicht wiederholen, wird Innenminister Kickl zitiert, der "dafür alle Vorbereitungen trifft" und "im Fall der Fälle" alle Grenzen zu Österreich dicht machen werde. Es werde auch dann "kein Durchkommen" für Migranten mehr geben, wenn man mit den vorhandenen Möglichkeiten der Grenzkontrollen nicht mehr auskomme. Die Lage werde täglich geprüft und bewertet.

Das ist unüberhörbar nah am militärischen Ansatz. Migranten übernehmen darin die Rolle der Invasoren, wie in den 1980er Jahren in Szenarien der Bundeswehr "die Russen, die kommen". Bei allem Unterschied ist der Sprachgebrauch verwandt.

Die Mittel spielen allerdings im kleineren Format. Laut Zeitungsbericht hat der Innenminister eine "Grenz- und Fremdenpolizeiliche Einheit" in seinem Ressort angesiedelt, die ab Juni bereitstehen soll, mit einer Stärke von 500 bis 600 Beamten, "die wir sofort zum dicht machen der Grenze zum Einsatz bringen", so Kickl. Man sei gerüstet.

Balkan-Route: Neue Route, mehr Ankünfte

Nervös machen ihn die aktuellen Zahlen von Stationen auf der Balkan-Route. Die österreichischen Nachrichtenagentur APA meldet vom gestrigen Sonntag, dass die Ankünfte in Griechenland im Vergleich zur Vorwoche um 45 Prozent angewachsen sind. Es seien nun 1.229 Ankünfte, zuvor waren es 848.

Als Tendenz wird beobachtet, dass immer mehr Migranten die sogenannte südliche Balkan-Route über Bosnien-Herzegowina wählen, statt die Route über Serbien. In diesem Jahr sind nach Informationen des ARD-Studio Wien/Südosteuropa bereits 4.500 Flüchtlinge in Bosnien-Herzegowina angekommen. Nicht nur der österreichische Innenminister wird da hellhörig.

Aus dem ARD-Studio wird übermittelt, dass diese Entwicklung den serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic regelrecht in Panik versetze. Vucic befürchtet eine "neue Migrantenwelle" und "eine ernsthafte Gefahr für Europa".

Der österreichische Kanzler Kurz sprach anlässlich einer Klausurtagung seiner Regierung am Wochenende von insgesamt 18.000 Flüchtlingen, die in diesem Jahr in Griechenland gelandet seien. Das sei eine Steigerung von 150 Prozent gegenüber dem Vorjahr und eine "sehr, sehr hohe Zahl".

Kurz sprach von einer Route mit den Stationen Albanien, Montenegro, Serbien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Slowenien und dann "weiter nach Westeuropa". Auch Kurz will "nicht noch einmal eine Situation wie 2015 entstehen lassen".

Unklar ist, welche Rolle Serbien spielt. Bei Kurz ist das Land weiterhin Station der Balkanroute; die Karte des ARD-Studios Südosteuropa für die "südliche Balkanrote" zeigt eine dick markierte Route von der Türkei über Griechenland nach Albanien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina, Slowenien und Österreich. Und doch ist Vucic in Panik? Der erwähnte Standard-Artikel liefert dazu folgendes Bild:

Von den rund 700 vergangene Woche an der Grenze von Bosnien-Herzegowina aufgegriffenen Migranten kamen an die 70 Prozent über die serbische Grenze. Dennoch ist laut der aktuellen Aufstellung ein "Abfluss" aus Serbien nach Bosnien-Herzegowina zu verzeichnen. Derzeit halten sich dort rund 4.000 Flüchtlinge auf. In Serbien waren Anfang des Jahres rund 4.300 Migranten in staatlichen Unterkünften, vergangene Woche waren es nur mehr rund 2.800. (…).

Der Standard

Zudem wird berichtet, dass aus Serbien zwölf Prozent mehr aufgegriffene Migranten an den Grenzen gemeldet wurden. Der Leiter des UNHCR Österreich Christoph Pinter sprach im Gegensatz zu den genannten Politikern davon, dass die Zahlen noch auf einem "sehr sehr moderaten Niveau" seien.

Kurz: "Frage des Wollens"

Für den österreichischen Kanzler Kurz, der sich demnächst mit Vertretern der Länder auf der Balkanroute besprechen will, steht die "Frage des Wollens" im Mittelpunkt, wie in der österreichischen Presse analysiert wird. Gemeint ist die Bereitschaft, Migrationsrouten bereits an den Außengrenzen zu stoppen.

Das machte Kurz gegenüber der Zeitung Die Welt am Sonntag deutlich. Beachtenswert sind Kurz Äußerungen dazu auch deshalb, weil Österreich ab Juli den EU-Vorsitz übernimmt.

Kurz Vorschlag besteht darin, die Grenzschutzagentur Frontex möglichst schnell - und nicht wie vorgesehen erst 2027 - auf 10.000 Mann aufzustocken und Frontex mit einem "klaren politischen Mandat" auszustatten, das es den Frontex-Mitarbeitern erlaubt, "effektiv gegen illegale Migranten" vorzugehen. Was konkret damit gemeint ist, erklärt der österreichische Kanzler in der Printausgabe der WamS vom 27. Mai so:

Sie sollen illegale Migranten an den Außengrenzen stoppen, versorgen und dann im Idealfall unverzüglich in das Herkunfts- oder Transitland zurückschicken. Das neue politische Mandat sollte Frontex zudem erlauben, in Drittstaaten unter Einverständnis der dortigen Regierung tätig zu werden, um das schmutzige Geschäftsmodell der Schlepper zu beenden und um zu verhindern, dass sich Schlepperboote überhaupt erst auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer machen.

Sebastian Kurz, WamS

Der blinde Fleck im Bild

Kurz hat hier, wie seine Äußerungen nahelegen, die zentrale Mittelmeer-Route und Libyen vor Augen. Dort sieht der von ihm benannte "Idealfall" konkret so aus, dass die libysche Küstenwache im Mittelmeer aufgegriffene Migranten zurück in Lager schickt, die von Brutalität gekennzeichnet sind. Dass Kurz sich im Interview (online hier, allerdings mit Bezahlschranke) mit keinem einzigen Wort dazu äußert, dass zum "Idealfall" auch die Situation der Migranten gehört, ist ein auffälliger blinder Fleck.

Hält man sich an die konkrete Situation in Libyen, so wäre die Verbesserung der Zustände in den Lagern, wohin aufgegriffene Migranten gebracht werden, der erste wichtige Schritt. Würden die Versorgungssuchenden dort gut versorgt und untergebracht statt zusammengepfercht und nicht der brutalen Gewalt und Gier der Milizen ausgesetzt, wäre man einer praktischen und besseren weil menschlichen Lösung schon näher. Der Streit zwischen der libyschen Küstenwache und den NGO-Schiffen hätte den schlimmsten Stachel verloren.

Die Antwort auf die Frage, warum es in Libyen offensichtlich bislang nicht möglich ist, zusammen mit Organisationen wie dem UNHCR für bessere Unterbringungsbedingungen für Migranten zu sorgen, hängt mit der Antwort auf die Frage zusammen, wie leicht oder schwierig es ist, eine Frontex-Truppe mit mindestens mehreren hundert, wenn nicht tausenden Mitgliedern in Libyen agieren zu lassen. Den politischen Willen dazu brauchen nicht nur EU-Länder oder eine von der UN zusammengebastelte Führung in Libyen

Die Antworten auf beide Fragen haben mit libyschen Milizen und deren Einfluss zu tun. Italien hat bislang ziemlich erfolgreich auf eine zum Teil verborgene Zusammenarbeit gesetzt, indem man Milizen, die zuvor Geld mit dem "schmutzigen Geschäftsmodell der Schlepper" (Kurz) gemacht haben, nun gut dafür bezahlt, dass sie auf der Gegenseite tätig sind.

Kritiker halten dieses Modell aus mehreren Gründen für nicht nachhaltig. Dazu gehört neben der Rivaliät der Milizen untereinander und einer möglichen Wechselhaftigkeit in deren Führung hauptsächlich das Argument, dass damit der Einfluss von staatlichen Institutionen kein Land gewinnen kann.

Haftar und Serradsch und italienische Stegreiflösungen

Frankreich lädt nun erneut die beiden prominenten libyschen Politik-Persönlichkeiten zu einem weiteren Gespräch ein, den international anerkannten Regierungschef Serradsch und Feldmarschall Haftar, dem Befehlshaber über Milizen, die sich als libysche Nationalarmee bezeichnen.

Es wäre eine große Überraschung, wenn sich aus diesem Treffen im Unterschied zu früheren etwas ergeben würde, was eine zügige oder baldige Entwicklung hin zu stabilen, irgendwie verlässlichen Verhältnissen in Libyen auch nur andeutet.

Wahrscheinlicher ist, dass es erstmal bei Stegreiflösungen wie beim "italienischen Konzept" für Libyen bleiben wird - und dessen Konsequenz heißt, dass Milizen mächtig bleiben. Und solange sie es sind, wird es in Libyen niemanden geben, der ernsthaft einer Präsenz von EU-Frontex-Grenzschützern zustimmt. Lippenbekenntnisse könnte es vielleicht schon geben, aber eine dazu widersprüchliche Realität vor Ort.