Flüchtlings-Apartheid: Warum die EU Ukrainer schützt und Syrer abwehrt

Seite 2: Zur Hilflosigkeit verdammt

Während meiner Besuche in Griechenland zwischen 2018 und 2022 habe ich viele Beispiele für die entsetzliche Behandlung von Flüchtlingen erlebt. In einem Lager auf der nordägäischen Insel Samos fand ich mehr als 3.000 Menschen vor, die in Schiffscontainern oder Zelten in und um einen alten Militärstützpunkt lebten, umgeben von Müllbergen, in denen es von Ratten wimmelte.

Sie hatten kein Trinkwasser, die wenigen Toiletten waren kaputt, das Essen meist ungenießbar, und es gab keine Sicherheit für Frauen, Kinder, LGBTQ+-Personen oder andere, die besonders anfällig für Schikanen, Übergriffe oder Vergewaltigungen sind.

Tausende von Asylbewerbern saßen in ähnlicher Weise auf anderen Inseln fest, wo sie nirgendwo hin konnten und nichts zu tun hatten, während andere in griechischen Gefängnissen eingesperrt werden, nur weil sie ihr Recht auf Asyl wahrnehmen wollen. In unserem Buch beschreiben Eyad und ich, wie Menschen verhaftet und eingesperrt werden, da sie ihre Boote nach Griechenland steuern oder aus dem falschen Land kommen.

Absperrungen gegen arabische und afrikanische Flüchtlinge in Griechenland. Bild: Zander / CC BY-NC-ND 4.0

Seit der Machtübernahme durch die Regierung der Nea Dimokratia im Jahr 2019 – also zu Zeiten der einwanderungs- und muslimfeindlichen Regierung unter Donald Trump in den USA, hat die griechische Regierung Misshandlungen von Flüchtlingen aus dem Nahen Osten und Afrika noch weiter verschärft. Eine ihrer ersten Amtshandlungen bestand darin, alle Asylbewerber aus den Unterkünften oder Lagern zu vertreiben und ihnen gleichzeitig jegliche finanzielle Unterstützung zu entziehen.

Auf diese Weise wurden sie in die Obdach- und Arbeitslosigkeit, d. h. in die erzwungene Hilflosigkeit getrieben. Asyl zu erhalten, sollte eigentlich bedeuten, den internationalen Schutzstatus als Flüchtling zu erlangen, aber in Griechenland bedeutet es nun das Gegenteil, nämlich überhaupt keinen Schutz zu bekommen.

Im Juni 2021, kurz vor der Übernahme Afghanistans durch die Taliban, kündigte der griechische Migrationsminister Notis Mitarachi an, dass allen Neuankömmlingen aus Afghanistan, Indien, Pakistan, Somalia und Syrien die Möglichkeit verweigert würde, einen Asylantrag zu stellen, und sie in die Türkei abgeschoben würden, die er als "sicheres Drittland" bezeichnete – ein rechtlicher Begriff für ein Land, das für Asylbewerber sicher ist und Schutz bietet.

Doch wie Menschenrechtsgruppen deutlich gemacht haben, ist die Türkei alles andere als sicher für Menschen, die vor Krieg oder Verfolgung fliehen. Die Türkei weigert sich nicht nur, Syrer als Flüchtlinge anzuerkennen, sondern hat auch nie den Teil der UN-Flüchtlingsrechtserklärung von 1951 unterzeichnet, der die Zurückweisung von Flüchtlingen in ein Land verbietet, in dem ihnen Verfolgung droht. Das bedeutet, dass die Türkei Flüchtlinge rechtmäßig in die Länder zurückschicken kann, aus denen sie geflohen sind, ganz gleich, welche Gefahren dort auf sie warten.

Am 16. April letzten Jahres hat Griechenland seine Verfolgung noch weiter verschärft, indem es die Unterkünfte für schutzbedürftige Personen, also Opfer von Folter, Menschenhandel und Vergewaltigung, schloss und sie in Lager schickte, in denen es keinerlei Sicherheit gibt.

Keine dieser Maßnahmen gilt für Ukrainer.

Auf dem Meer ist die Lage noch schlimmer. Die griechischen Behörden und Frontex, die europäische Grenz- und Küstenwache, drängen die Flüchtlinge zurück aufs Meer, anstatt sie zu retten. Sie haben Familien und Kinder auf seeuntüchtigen Flößen, Schlauchbooten oder winzigen Inseln ohne Unterbringung und Lebensmittel zurückgelassen. Während der Pandemie behandelten Griechenland und Frontex etwa 40.000 Flüchtlinge auf diese Weise, wobei mindestens 2.000 ertranken – ein Missbrauch, der von Menschenrechtsgruppen gut dokumentiert wurde. Der griechische Einwanderungsminister hat jedoch bestritten, dass so etwas passiert ist.

Nicht weniger schockierend ist die Art und Weise, wie Griechenland die Rettung von Flüchtlingen auf dem Meer kriminalisiert hat. Freiwillige Helfer, die die gekenterten Boote verzweifelter Einwanderer suchen und retten, werden verhaftet und wegen Menschenhandels angeklagt. Sara Mardini, eine syrische Profischwimmerin, die in dem neuen Netflix-Film "The Swimmers" porträtiert wird, ist eine von ihnen. Bei einer Verurteilung drohen ihr zwanzig Jahre Gefängnis.

Es ist schwer zu begreifen, dass die Rettung von Ertrinkenden illegal sein soll. Aber Griechenland ist nicht der einzige Staat, der sich in dieser Weise verhält. Vor kurzem haben sich Italien, Malta und Zypern mit Griechenland zusammengetan, um die Europäische Union (EU) aufzufordern, Maßnahmen gegen zivile Seenotretter zu ergreifen. Natürlich werden die Zugführer und Flugzeugpiloten, die die Ukrainer ins übrige Europa bringen, nie in ähnlicher Weise ins Visier genommen.

Die griechische Regierung rechtfertigt die ungleiche Barmherzigkeit auf unbarmherzige Weise, indem sie die Ukrainer zu "echten Flüchtlingen" und alle anderen zu "illegalen Migranten" erklärt. In diesem Sinne zwangen die griechischen Behörden letzten Monat Afghanen in einem Lager außerhalb Athens, ihre Wohnungen an Ukrainer abzutreten und stattdessen in schmutzigen und heruntergekommenen Schiffscontainern zu leben.

Minderjährige Flüchtlinge auf einer im Lager Vial aufgestellten Schaukel. Das Camp befindet sich auf der griechischen Insel Chios. Bild: Mstyslav Chernov / CC BY-SA 4.0

Die griechische Regierung behauptet seit langem, sie sei nicht schuld an der schlechten Behandlung der Flüchtlinge. Ihr fehle es an Geld und Personal, um derart viele aufzunehmen. Doch als die 21.000 Ukrainer ankamen, sahen sich dieselben Beamten plötzlich in der Lage, doch zu helfen.

Griechenland trägt nicht die alleinige Schuld an solchen Verstößen gegen das Völkerrecht, denn die EU steckt letztlich dahinter, die seit 2016 Geld in das Land pumpt, um Flüchtlinge von Westeuropa fernzuhalten. Kürzlich zahlte die EU beispielsweise 152 Millionen Dollar an die griechische Regierung, um fünf abgelegene Gefängnisse für Asylsuchende zu bauen.

Den Prototyp dafür habe ich auf der Insel Samos gesehen: Camp Zervou, eine Ansammlung von weißen Metallcontainern auf einem kahlen Fleckchen Land mitten im Nirgendwo, umgeben von zwei Stacheldrahtzäunen, überwacht von Kameras. Der Ort ist hässlich, unwirtlich und heiß. Solche Gefängnisse werden natürlich keine Ukrainer aufnehmen.

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