Flüchtlingssituation in Bayern "außer Kontrolle"
Unkontrollierte Grenzübertritte und überforderte Erstaufnahmeeinrichtungen - CSU-Chef Seehofer übt Druck auf Merkel aus und kritisiert Österreichs Grenzpolitik
Als ob die Beteiligten dem Plan, den der kleine EU-Sondergipfel am Sonntagabend ausgearbeitet hat (EU-Sondertreffen: Kleinere Maßnahmen gegen ein zu großes Problem), vorführen wollten, wie so ganz anders die Wirklichkeit aussieht. Wobei: Wenn man es genau nimmt, ist die "Politik des Durchwinkens", die EU-Präsident Juncker beenden wollte, tatsächlich einer anderen Politik gewichen: der des "Weiterschiebens". Zumindest für die letzte Etappe der sogenannten Balkan-Route, für die Grenzübergänge zwischen Österreich und Deutschland, lässt sich das behaupten.
Im Raum Passau seien am Montag 8.000 Migranten angekommen, zählt die Bundespolizei.
Im bayrischen Markt Wegscheid, an der Grenze zu Oberösterreich, haben gestern Abend 2.000 Flüchtlinge die grüne Grenze überquert. Die Polizei auf der anderen Seite war angeblich machtlos. Sie konnte die Menge nicht mehr zurückhalten und an einer unkontrollierten Einreise hindern. Nur mit Mühe und nach ein paar Stunden, so der Bayerische Rundfunk sei es gelungen, "die Menschen wieder einzusammeln und zu einer Halle zu bringen, die als Notunterkunft zur Verfügung steht".
Zur Situationsbeschreibung gehört, dass die Notunterkunft-Halle "hoffnungslos überfüllt" ist. Hunderte Flüchtlinge, darunter viele Kinder, hätten im Freien campieren müssen.
Als Grund für die außer Kontrolle geratenen Zustände nennt der BR-Bericht, die vielen Busse aus Österreich, die Asylbewerber an die Grenze gebracht hatten. "Die Österreicher suchen sich die Grenze mit dem wenigsten Widerstand und da werden die Flüchtlinge dann abgeladen."
Laut CSU geschieht dies ohne Rücksicht auf die Überforderung auf der anderen Seite der Grenze und entgegen aller Absprachen.
"Merkel ans Telefon"
"So kann und darf man nicht miteinander umgehen", empört sich Regierungschef Horst Seehofer (CSU). Er verlangt, dass die Kanzlerin in Berlin wegen des "unkoordinierten Zustroms" über die bayerische Grenze umgehend mit Wien telefoniert.
Schließlich habe ein Telefonat zwischen Merkel und Faymann auch die Politik der offenen Grenzen eingeleitet. Bis zum 1. November, kündigt Seehofer an, werde er noch abwarten. Sollte bis dahin die Forderungen nach "Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung" in Berlin keinen Erfolg habe, ja dann?
"Dann müssen wir überlegen, welche Handlungsoptionen wir haben." Die Äußerung wird in den Medien als Anspielung auf die "Notwehrmaßnahmen" verstanden, die Seehofer früher andeutete. Wie sie genau aussehen, weiß keiner. Gegen Grenzzäune, wie dies Seehofers Budapester Freund Orban vorgeführt hat, gibt es viele Widerstände auch in der eigenen Partei und unter Regionalpolitikern, auf die der CSU-Chef achtet. Grenzschließungen dürften schwierig sein.
So lässt der Ministerpräsident zunächst mal alle Warnlämpchen blinken: "Wenn die Asylpolitik nicht korrigiert wird", dann gehe das "an die Existenz von CDU und CSU".
Der Befund der Landkreise, formuliert vom Präsident des Landkreistages, Reinhard Sager, unterstützt die Forderungen aus dem Grenzland Bayern. Der Zustrom von Flüchtlingen müsse sofort spürbar verringert werden, sonst drohe ein Kollaps unseres Systems.
Erstaufnahmeeinrichtungen überlastet
Aus der Erdinger Erstaufnahmeeinrichtung, Camp Shelterschleife, ein erst kürzlich umfunktionierter ehemaliger Flughafen, wohin Busse Flüchtlinge von den Landesgrenzen bringen, wird gemeldet, dass 580 Neuankömmlinge verschwunden seien, statt sich registrieren zu lassen.
Viele Flüchtlinge versuchen, zunächst per S-Bahn nach München zu kommen. Von einer DB-Mitarbeiterin erfuhr unsere Zeitung, "dass sie täglich dutzendfach Karten an Flüchtlinge verkauft". Bekanntlich wollen viele gar nicht hier registriert werden, sondern erst dort, wo bereits Angehörige leben.Camp-Leiter Heiko Werner sagte, diese Zahl könne er sich nicht erklären. Er sei zwei Tage nicht da gewesen. Es gebe aber durchaus Weitertransporte ohne Registrierung. "Vielleicht war das hier der Fall."
Merkur
Der bayerische Innenminister Hermann kündigte angesichts der außer Kontrolle Situation an Österreich gerichtet an, falls sich dies nicht grundlegend ändere, "dann müssen wir in der Tat, auch zum Schutze der Bundesrepublik Deutschland, auch zum Schutz unserer inneren Sicherheit, an der Grenze noch wesentlich restriktiver verfahren".