Flygskam - Scham und Schande für das Fliegen mit dem Flugzeug
Seite 3: Die Umweltfolgen von Urlaubsreisen
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Die Studie trifft auch dezidiert Feststellungen zu den Energieverbräuchen und CO2-Emissionen bei den im vorliegenden Zusammenhang interessierenden Urlaubsreisen. Das nachfolgende Diagramm zeigt milieuspezifisch die Mittelwerte der auf die längste Urlaubsreise im Bezugsjahr entfallenden Energieverbräuche und CO2-Emissionen (also nicht alle Reisen und damit nicht die tatsächlichen absoluten Werte!). Dabei wurde in der Studie nur der Verbrauch auf der Reise gemessen, nicht der für Unterkunft und dergleichen. Vor allem Einkommen und Bildung stellen auch hier zentrale Treiber für den Ressourcenverbrauch bei Urlaubsreisen dar.
Die sozialen Milieus weisen auch speziell bei Urlaubsreisen deutlich unterschiedliche Werte auf: Die höchsten Werte (für die längste im Jahr unternommene Reise) liegen in den finanziell sehr gut gestellten gehobenen Milieus vor (1.215 kWh im Jahr pro Person und 514 kg CO2 im Jahr pro Person). Aber schon an zweiter Stelle stehen die relativ sehr hohen Werte der kritisch-kreativen Milieus mit den vergleichsweise sehr hohen Werten für die von ihnen unternommene längste Reise (806 kWh im Jahr pro Person und 321 kg CO2 im Jahr pro Person).
In den einfachen, prekären Milieus ist der Energieverbrauch deutlich niedriger. Ihr Energieverbrauch beträgt mit 281 kWh/a/p weniger als ein Viertel des der gehobenen Milieus und auch nur ein Drittel des der kritisch-alternativen Milieus.
Die CO2-Emissionen für Urlaubsreisen des prekären Milieus von 110 kg/a/p bilden nur ein Fünftel des der gehobenen Milieus und ein Drittel des der kritisch-alternativen Milieus. Auch die traditionellen und jungen Milieus liegen deutlich unter den zwei Milieu-Spitzenvertretern.
Hinzu kommt, dass es in den gehobenen Milieus zudem viel mehr Personen gibt, die zwei oder drei Urlaubsreisen im Jahr machen. Auch in den kritisch-kreativen Milieus liegt die mittlere Zahl der Urlaubsreisen pro Jahr über dem Bevölkerungsdurchschnitt. In den einfachen, prekären Milieus und den jungen Milieus hat im Untersuchungsjahr dagegen nur etwa jeder Zweite eine Urlaubsreise gemacht.
Berücksichtigt man die Anteile der jeweiligen Milieus (Studie S. 36) bei einer Bevölkerung von 69,2 Mio. Menschen ab 18 Jahren, so sind die rd. 20 Mio. erwachsenen Menschen (29%) aus den gehobenen und kritisch-alternativen Milieus auch bei Urlaubsreisen die größten Energieverbraucher und CO2-Emittenten. Die Gruppe der jungen, traditionellen und prekären Milieus, die mit 32 Mio. Menschen fast die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung bildet (46%), verursacht die vergleichsweise geringsten Energieverbrauchs- und CO2-Emissionswerte bei Urlaubsreisen.
Bevölkerung ab 18 Jahren (in Mio.) | |
Gesamt | 69,2 |
Bürgerlicher Mainstream: | 17,3 |
Junge Milieus: | 11,2 |
Gehobene Milieus: | 11 |
Traditionelle Milieus: | 10,4 |
Einfache, prekäre Milieus: | 9,9 |
Kritisch-kreative Milieus: | 9,4 |
Bahn predigen, Business fliegen oder anders gesagt: Vielflieger und Vielversprecher
Die Forschungsgruppe Wahlen befragte am Jahresanfang Bürger nach ihrer Einstellung zu Flugreisen: Danach sind die Grünen-Wähler mit Abstand diejenigen, die am häufigsten fliegen. 49 Prozent von ihnen gaben an, mindestens einen Flug in den letzten zwölf Monaten unternommen zu haben. Von den Wählern der Linken waren dies 42 Prozent. Deutlich weniger Wähler von CDU/CSU und SPD waren mit dem Flugzeug unterwegs: 36 und 32 Prozent.
Die Grünen-Wähler sind jünger, gebildeter und verdienen besser als der Durchschnitt - typische Merkmale, die mit einer häufigen Nutzung des Flugzeugs assoziiert werden. Den grünen Vielfliegern fehlt keinesfalls das kritische Bewusstsein. Gerade Grünen-Wähler, auch das zeigt die Umfrage, kennen die Klimafolgen des Flugverkehrs sehr genau, besser als die Wähler der Christ- oder Sozialdemokraten. Angesichts der oben beschriebenen Verhältnisse ist es nicht überraschend, dass Grünen-Wähler überwiegend gleichzeitig finden, es sei nicht gut, "dass sich so viele Menschen heute leisten können zu fliegen". Auch hier lagen sie deutlich vor anderen Parteianhängern. Man nimmt also selbst Dinge in Anspruch, die man anderen eher nicht gönnt.
Das urbane kritisch-alternative und grüne Milieu, bestens versorgt mit einer milliardenschweren öffentlichen Verkehrsinfrastruktur, sollte sich angesichts eigener Sünden beim sonstigen Ressourcenverbrauch, insbesondere auch bei den geschätzten Flugreisen, nicht moralisch über andere Bevölkerungsgruppen und deren Mobilitätsverhalten erheben. Dazu bieten die vorgestellten Daten nun überhaupt keinen Anlass. Anlass der Gelbwesten-Bewegung in Frankreich war die Verteuerung von Sprit bei gleichzeitigem Abbau von öffentlicher Verkehrsinfrastruktur wie Bahnhofsstilllegungen oder reduzierte Abfahrtzeiten.
Gerade die untere Mittelschicht in ländlichen Regionen, die deshalb elementar auf die Nutzung des PKW angewiesen ist, reagierte allergisch auf die Benzinpreiserhöhung. Vor allem sie, die ähnlich wie in Deutschland im Vergleich zu den anderen Milieus und Schichten ohnehin den geringsten Energieverbrauch und die geringsten CO2-Emissionen vorweisen, sollen am stärksten durch die Umweltschutzmaßnahmen (Benzinpreiserhöhung) belastet werden. Ein Paradox, das zu den bekannten Konsequenzen führte.
Der Unterschied zwischen Reden und Handeln, zwischen Ächtung der Dieselfahrer und Akzeptanz eigener Flug- und sonstiger Umweltsünden sollte Anlass sein, gerade im kritischen, linken und grünen Milieu den Diskurs neu aufzulegen: Er sollte geführt werden mit Realitätsbezug, ohne Stigmatisierung einzelner nicht selbst genutzter Mobilitätsformen, unter Beachtung des bereits bestehenden Umweltbelastungsgrades durch die verschiedenen Milieus und der sozialen Auswirkungen von Einschränkungen der Mobilität und sonstiger Lebensbereiche auf diese.