Folge des Handelskriegs: Investoren verlassen China
Abfluss ausländischer Investitionen erreicht Rekordwerte. Gleichzeitig steigen Chinas Investitionen im Ausland an. Was hat der Trend zu bedeuten?
Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt erlebt derzeit einen bisher noch nicht gekannten Abfluss an ausländischem Kapital. Wie die Asia Times unter Berufung auf neue Zahlen der Finanznachrichtenagentur Bloomberg berichtet, könnte die Volksrepublik China dieses Jahr erstmals einen Nettoabfluss ausländischer Direktinvestitionen erleben.
Gleichzeitig verzeichnet das Land einen Anstieg seiner eigenen Direktinvestitionen im Ausland.
Rekordtief bei den Zuflüssen
Wie die State Administration of Foreign Exchange (SAFE) mitteilte, sind Chinas Direktinvestitionsverbindlichkeiten (ein Indikator für den Zufluss ausländischer Investitionen) im zweiten Quartal dieses Jahres um 14,8 Milliarden US-Dollar gesunken. Der Rückgang setzt den Trend der ersten sechs Monate fort, in denen bereits ein Minus von 4,5 Milliarden US-Dollar zu verzeichnen war.
Bloomberg prognostiziert, dass bei einer Fortsetzung dieses Trends in der zweiten Jahreshälfte erstmals seit Beginn vergleichbarer Daten im Jahr 1990 ein jährlicher Nettoabfluss ausländischer Investitionen aus China zu verzeichnen wäre.
Handelskrieg: China investiert mehr selbst im Ausland
Demgegenüber stiegen die chinesischen Direktinvestitionen im Ausland um 16,6 Prozent auf 72,62 Milliarden US-Dollar. Dies steht im Einklang mit der Strategie vieler westlicher Länder, die ihre Unternehmen dazu ermutigen, eine "China plus one"-Strategie zu verfolgen, um das Risiko einer zu starken Abhängigkeit von China zu verringern und ihre Geschäftstätigkeit auf andere Länder zu diversifizieren.
Der Wandel vollzieht sich vor dem Hintergrund des laufenden Handelskonflikts mit den USA und Europa. Nach den Vereinigten Staaten hat auch die Europäische Union im letzten Jahr Maßnahmen ergriffen, um die Abhängigkeit von chinesischen Importen zu reduzieren.
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Als Reaktion auf den sich zuspitzenden Konflikt haben einige ausländische Unternehmen beschlossen, ihre Investitionen in China zu reduzieren oder das Land ganz zu verlassen. Einige chinesische Hersteller haben zudem damit begonnen, Fabriken in Europa zu errichten, um möglichen Zöllen zu entgehen.
China sieht es gelassen
In China sieht man die aktuelle Entwicklung indes weitgehend gelassen.
Ein Sprecher des Handelsministeriums erklärte, dass der Rückgang der Direktinvestitionen im vergangenen Jahr einem natürlichen Trend entspreche, da die Zuflüsse über das letzte Jahrzehnt hinweg stetig gestiegen waren.
Guan Tao, Chefökonom der Bank of China International Holdings Co, wies in einem Kommentar vom 18. Juli darauf hin, dass die Struktur ausländischer Investitionen in China ständig optimiert werde und dass China bereits Maßnahmen zur Förderung ausländischer Direktinvestitionen ergriffen habe.
Mao Zhenhua, Gründer und Präsident der China Chengxin Credit Management Company und Co-Direktor des Economic Research Institute der Renmin University in Beijing, äußerte am Montag zu der Debatte, die in der Volksrepublik gerade zu dem Thema läuft. Er betonte, dass ausländische Investoren nach wie vor eine wichtige Rolle in China spielten, da das Land weiterhin auf westliche Hochtechnologie angewiesen sei.
"Es gibt in der Gesellschaft die Meinung, dass Menschen, die für ausländische Unternehmen arbeiten oder ausländische Waren kaufen, keine Patrioten seien", stellte er fest. "Des weiteren gibt es Ansichten, die Chinas Exporte fälschlicherweise als Gefallen für andere Länder interpretieren, insbesondere für die USA", so Mao.
Keine Momentaufnahme mehr
Dennoch: Chinas Wirtschaft ist nicht mehr in der besten Verfassung, wozu auch der Abfluss von Investitionen beiträgt. So sind viele gut ausgebildete Facharbeiter, die ihre Angestellung bei Joint-Ventures verloren haben, inzwischen gezwungen als Essenslieferanten zu arbeiten.
Chinas Unternehmen profitieren zwar einerseits vom Rückzug der ausländischen Firmen, indem sie ihren Marktanteil vergrößern können – allerdings reduziere dies auch die Anreize für mehr Wettbewerb, was wiederum schlecht für Verbraucher sei, erklärte der Wirtschaftskolumnist Mingcheng auf dem Nachrichtenportal des Suchmaschinenanbieters Baidu.
Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Entwicklungen auf die langfristige Stabilität der chinesischen Wirtschaft und die globalen Wertschöpfungsketten auswirken werden.
Fest steht jedoch, dass der Wandel in Chinas Investitionsstruktur inzwischen mehr als eine Momentaufnahme ist, sondern den Beginn eines langfristigen Trends markieren könnte.