Fool me once, fool me twice
Mit dem Ablauf des Ultimatums des UN-Sicherheitsrates für Iran gelangt der "Atomstreit" in die nächste Runde - eine Woche nachdem der Geheimdienstausschuss des US-Repräsentantenhauses die bisherigen Fakten des iranischen Nuklearprogramms neu aufgemischt und Iran weiterhin zur strategischen Bedrohung für die USA stilisiert hat
"There's an old saying in Tennessee - I know it's in Texas, probably in Tennessee - that says, fool me once, shame on - shame on you. Fool me - you can't get fooled again. You've got to understand . . . ." (George W. Bush, 17.9.2002)
"Ich weiß, Sie alle glauben, wir kämpfen gegen die Hisbollah. Doch klar ist: der Staat Israel kämpft gegen Iran und Syrien, die die Hisbollah benutzen, um Israel vom Norden her anzugreifen." Ehud Olmert, 8. August 2006
Wie hier bereits mehrfach analysiert wurde (Was steckt hinter dem Libanonkrieg? oder Libanon als Test für Iran?) war eine der Motivation der Regierungen Israels und der USA, einen Präventivkrieg gegen Iran zu führen. Oder, wie es Anthony Cordesman in seiner jüngsten Studie vom 17. August 2006 Preliminary "Lessons" of the Israeli-Hezbollah War formulierte, der Versuch, das iranische Militärkommando auszuschalten, bevor es zu einem militärischen Schlagabtausch über das iranische Nuklearprogramm kommen könnte.
Irans Regime hat die vom UN-Sicherheitsrat geforderte Beendigung seines Anreicherungsprogrammes nicht Folge geleistet und wird dies höchst wahrscheinlich auch nicht tun. Die Konfrontation geht also in die nächste Runde. Militärische Zwangsmaßnahmen sind nach der bisherigen Resolution 1696 ohnehin nicht vorgesehen, und es ist äußerst zweifelhaft, ob sich unter den permanenten Sicherheitsratsmitgliedern ein diesbezüglicher Konsens erzielen lassen wird. Rein wirtschaftliche Sanktionen werden Iran wenig beeindrucken. Wie also wird es weiter gehen? Wird es zu einer militärischen Eskalation seitens der USA kommen?
Spätestens seit Beginn des Jahres 2006 ist von militärischen Eventualplänen die Rede, die weit über Routineplanungen hinausreichen. In akademischen Außenpolitikkreisen ist seit Wochen davon die Rede, dass Bush eine binäre Entscheidung vorgelegt werden würde, die keinerlei Spielraum mehr enthält, sondern nur eine Entscheidung zwischen Nicht-Handeln und einem Militärschlag gestatten würde.
Iran als strategische Bedrohung für die USA?
Der Geheimdienstausschuss des US-Repräsentantenhauses hat in seinem Bericht soeben abermals Iran als strategische Bedrohung für die USA bezeichnet und durch Zuspitzungen und zahlreiche Auslassungen den Eindruck erweckt, Iran stünde womöglich bereits kurz vor der Herstellung von Kernwaffen. Wie sowohl die New York Times als auch das Time Magazin berichteten, erweckte der Bericht Erinnerungen an die vor dem Irak-Krieg fabrizierte und politisch beabsichtigte "intelligence" über nicht-existente irakische Massenvernichtungswaffen. Die NYT schreibt:
Aber noch beunruhigender ist, dass der Bericht darauf angelegt zu sein scheint, den Geheimdienstkreisen zu signalisieren, dass die republikanische Führung eine furchterregendere Einschätzung wünscht, die eine stärker auf Konfrontation ausgerichtete Politik gegen Teheran rechtfertigt. Es war nicht das Werk eines Geheimdienstes oder des ganzen Geheimdienstausschusses, auch nicht einmal das des Unterausschusses, der ihn offenbar formuliert hat. Die Washington Post berichtete, dass er vor allem von einem früheren Geheimdienstmitarbeiter geschrieben wurde, der für seine Ansicht bekannt ist, dass die Beurteilungen des Iran nicht düster genug sind.
Auch wenn der Bericht keine neue Information enthält, so tischt er düster klingende Beschuldigungen auf, die meist den Eindruck hinterlassen, dass der Iran Nuklearwaffen schneller entwickelt, als die Geheimdienste den Mut haben einzuräumen. Er schüttelt auch einige Verschwörungstheorien durcheinander, beispielsweise die unbewiesene Behauptung, der Iran habe den Krieg zwischen Israel und der Hisbollah fabriziert. Und er beklagt, dass die amerikanischen Geheimdienste zu vorsichtig sein, dass sie "vor provokativen Schlussfolgerungen zurückscheuen". Newt Gingrich, der frühere Sprecher des Repräsentantenhauses, sprach dies noch deutlicher aus, als er die Unzufriedenheit einiger Republikaner mit den CIA-Berichten über den Iran so darstellte: "Die Geheimdienste widmet sich der Vorhersage der Welt, die am wenigsten gefährlich ist."
Das alles ist eine abschreckende Erinnerung an das, was geschah, als Geheimdienstanalysten Vizepräsident Dick Cheney berichteten, sie könnten nicht beweisen, dass der Irak eine Atomwaffe entwickelt oder Verbindungen zu al-Qaida hat. Er fragte sie, ob sie das wirklich meinen - bis die CIA den Hinweis verstand.
Dafna Linzer weist schließlich darauf hin, dass es sich beim hauptverantwortlichen Autor um Federick Fleitz handelt: "Ein ehemaliger CIA-Mitarbeiter, der ein Sonderbeauftragter von John R. Bolton war, der ehemalige leitende Mann für Iran des Außenministeriums. Bolton hatte großen Einfluss auf die Ausarbeitung einer harten Politik, die Gespräche mit Teheran ablehnte."
Mit anderen Worten. Wieder einmal hat ein ausgewiesener Neocon einen Mitarbeiter so positioniert, dass dieser Druck auf die Geheimdienstkreise ausüben kann, unter dem Motto: "Wir wissen, dass der Iran Nuklearwaffen anstrebt. Wenn ihr nicht in der Lage seid, das entsprechend zu untermauern, dann müsst Ihr euch einfach noch ein wenig mehr anstrengen." All dies ähnelt frappant den Manipulationen des Materials über irakische "Massenvernichtungswaffen" im letzten halben Jahr vor dem Angriff im März 2003. Die Auslassungen und Übertreibungen sind u. a. folgende:
- Iran stellt keine strategische Bedrohung für die USA dar. Daran ändert auch die Vernichtungsrhetorik gegenüber den USA und Israel nichts.
- Der Bericht spricht permanent von einem Nuklearwaffenprogramm, anstatt von einem (durchaus auf dual-use angelegten) Nuklearprogramm. So, als handelte es sich bei einem Nuklearwaffenprogramm bereits um eine Tatsache und nicht um eine Vermutung.
- Es wird unterstellt, Iran besitze das zahlenmäßig größte Arsenal von ballistischen Raketen im Nahen Osten. Diese Behauptung ist äußerst zweifelhaft. Die Shahab-3 Raketen, die eine Weitentwicklung der sowjetischen Scud-Raketen aus den 1960er Jahren sind und eine Reichweite bis etwa 1.300 km haben, gelten als unzuverlässig und ungenau. Der Bericht spricht, was diese Kategorie von Raketen anbelangt, lediglich von "some". Allein Israel dürfte über mehr als 50 (nuklear bestückbare) Mittelstreckenraketen verfügen und Saudi-Arabien etwa über die gleiche Anzahl konventioneller Mittelstreckenraketen.
Diese Auslassungen und Übertreibungen dieses Berichtes nehmen sich jedoch vergleichsweise harmlos aus gegenüber den wenige Tage später (27.-30. August 2006) lancierten Falschmeldungen in den überregionalen Tageszeitungen der USA über die Inbetriebnahme eines nuklearen Schwerwasserreaktors im Iran.
Falschmeldungen über einen iranischen Schwerwasserreaktor in Arak
Ein Reaktor, der als Kernbrennstoff und -Brutstoff Natururan (0,7% U235 und 99,3% U238) verwendet und als Moderator "schweres Wasser" D2O, ist neben der Anreicherung von Uran der zweite Königsweg zur Nuklearwaffe. Durch Neutroneneinfang verwandelt sich das Uran238 in Plutonium239, das danach mit chemischen Mitteln (Wiederaufarbeitung) abgetrennt werden muss. Die Inbetriebnahme eines Natururan-Schwerwasserreaktors hätte in der Tat auf eine noch größere Nähe zu einem Nuklearwaffenprogramm hingewiesen, als die ohnehin schon im Testbetrieb befindliche Urananreicherung.
Was war geschehen? Irans Regime verkündete im staatlichen TV medienwirksam die Inbetriebnahme einer Produktionseinrichtung für schweres Wasser. US-Medien jedoch berichteten, Iran hätte einen Natururan-Schwerwasserreaktor in Betrieb genommen, was jedoch keineswegs den Tatsachen entspricht.
Die NYT berichtete jedoch unter dem Titel "Iran Opens a Heavy-Water Reactor" am 27. August:
On Saturday, President Mahmoud Ahmadinejad made a provocative, if symbolic, gesture by formally inaugurating a heavy-water reactor. The Iranians say the plant would be used for peaceful power generation. But nuclear experts note that heavy-water facilities are more useful for weapons because they produce lots of plutonium the preferred ingredient for missile warheads.
Ebenso liest man noch im Christian Science Monitor am 30. August 2006:
In the days leading up to the ultimatum, Iran’s leaders have fired a broadside of defiant statements. Iran’s predictably provocative president, Mahmoud Ahmadinejad, pointedly inaugurated a new heavy-water reactor over the weekend as a rebuff to those who want his country to stop its uranium processing.
Mr. Ahmadinejad says the reactor will be used only for peaceful purposes. Given Iran’s long record of duplicity about its nuclear ambitions, Western European nations and the US believe it will be used to produce nuclear weapons.
Wozu sollte man noch "intelligence" faken, wenn es auch so geht?
Der weitere Zeitplan zur Eskalation wird davon abhängen, ob sich die Necons und Alarmisten durchsetzen werden, denen schon die technologische Beherrschung der Urananreicherung ein Dorn im Auge ist und die nach wie vor auf einen Regime-Wechsel in Teheran setzen. Wie viel Druck Israel diesbezüglich auf die Bush-Regierung ausüben wird. Welche Rolle die Kongresswahlen im November 2006 spielen werden. Einzig klar dürfte sein, dass es wohl kaum mehr zu einer diplomatischen "Lösung" der iranischen Nuklearkrise kommen wird.
Georg Schöfbänker ist Politikwissenschafter und betreibt das Österreichische Informationsbüro für Sicherheitspolitik und Rüstungskontrolle in Linz.