Libanon als Test für Iran?
US-Journalist Seymour Hersh vermutet hinter dem Libanon-Krieg einen gemeinsamen Plan von Israel und USA, das Ergebnis bislang wäre für die dahinter stehenden Interessen desaströs
Auslöser des Angriffs Israels auf die vermuteten Stellungen und andere Gebäude der Hisbollah im Libanon war die Verschleppung von zwei israelischen Soldaten. Aber es wäre sicherlich naiv anzunehmen, dass das israelische Militär nicht schon zuvor Pläne für einen Angriff auf die Hisbollah ausgearbeitet hat, die nun umgesetzt wurden. Allerdings hatte man zunächst damit gerechnet, dass die Niederschlagung der Hisbollah mittels massiver Bombardierung nur eine Frage von Tagen sein würde und wahrscheinlich ohne Einsatz von Bodentruppen möglich sei, was sich als gefährlicher Irrtum erwiesen hat. Nach Aussagen von Informanten aus der US-Regierung und aus Israel geht der bekannte und in konservativen Kreisen gehasste investigative Reporter Seymour Hersh in seinem neuesten Artikel in der Zeitschrift The New Yorker jedoch davon aus, dass der Angriff auf die Hisbollah auch in Absprache mit der US-Regierung ausgeführt wurde und im Kontext eines möglichen Angriffs auf den Iran steht.
Angeblich sei die Bush-Regierung, vornehmlich Präsident Bush und Vizepräsident Cheney, bei der Planung der israelischen Angriffe auf den Libanon involviert gewesen, schreibt Hersh in Washington’s interests in Israel’s war unter Berufung auf Informanten aus Geheimdiensten und der Diplomatie. Dafür würde sprechen, dass die US-Regierung die Forderung nach einer sofortigen Waffenruhe hinausgeschoben und so Israels Angriff über Wochen gedeckt hat. Deswegen sei es auch erstmals zu ernsthaften Konflikten zwischen Rice und Bush gekommen, hieß es aus konservativen Kreisen, weil die Außenministerin mit der Hinhaltetaktik nicht einverstanden gewesen sei und eher auf Diplomatie gesetzt habe. Nach Hersh habe allerdings Israel bereits vor dem 12. Juli zunächst US-Vizepräsident Cheney wegen eines Luftschlags gegen die Hisbollah konsultiert und von diesem, schließlich auch von Bush und Rice Rückendeckung erhalten. Sie sollte nach der nächsten Provokation der Hisbollah beginnen (vgl. Was steckt hinter dem Libanonkrieg?).
Offiziell, so Hersh, weisen israelische und amerikanische Regierungsangehörige allerdings zurück, dass es sich um eine gemeinsame Aktion gehandelt habe. Israel habe Grund genug, Hisbollah anzugreifen, um die Bedrohung zu beseitigen. Die US-Regierung sei angeblich davon überrascht worden. Hersh zitiert aber einen Experten für den Mittleren Osten, der zu wissen glaubt, dass die Israelis vor dem 12. Juli die US-Regierung über ihren Angriffsplan informiert hatte. Die wiederum habe gewusst, dass die Israelis früher oder später gegen die Hisbollah vorgehen würden. Tatsächlich gab es schon länger Zusammenstöße von beiden Seiten, denn auch die Hisbollah forderte, wahrscheinlich auch auf Druck von Iran, nach den jahrelangen Vorbereitungen eine Eskalierung heraus. Möglicherweise wurde der Überfall und die Gefangennahme von zwei Soldaten von der Hisbollah auch in Kooperation mit der Hamas durchgeführt, die kurz zuvor einen israelischen Posten überfallen und einen Soldaten gefangen genommen hatte. Hersh’ Experte erklärte, Israel habe erfahren, dass die Hisbollah, Hamas und Syrien geplant hätten, den Norden Israels „aufzumischen“. Nasrallah habe in einem abgehörten Gespräch Olmert und Peretz als relativ ungefährlich eingeschätzt und wohl nicht mit einem massiven Angriff gerechnet. Aus einem abgehörten Telefongespräch habe man zudem erfahren, dass die Führung der Hamas nach der Einstellung der Anschläge und nach der Regierungsbildung fürchtete, dass sie dadurch ihren Rückhalt in der Bevölkerung verliere, weswegen sie wieder ihre Angriffe aufnehmen wollte, um Druck auf Israel auszuüben. Aufgrund dieser Informationen hätten Israel und die USA beschlossen, hart gegen die Hisbollah vorzugehen, wenn diese die Aktivitäten der Hamas unterstützt. Just das war denn auch geschehen, als die Hisbollah kurz nach der Hamas (Gaza-Streifen abgeriegelt) ebenfalls zuschlug (Die Lage im Nahen Osten eskaliert weiter).
Die Bombardierung der Hisbollah sei zudem im Interesse der US-Regierung gewesen. Sie sei davon ausgegangen, dass damit die Position der libanesischen Regierung gestärkt würde, weil sie die Kontrolle über den von der Hisbollah beherrschten Süden des Landes erlangen könnte.
Das Weiße Haus war stärker darauf ausgerichtet, der Hisbollah ihrer Raketen zu berauben. Wenn es nämlich eine militärische Option gegen die nuklearen Einrichtungen des Iran geben soll, dann dürfte die Hisbollah keine Raketen haben, die sie dann in einem potenziellen Gegenschlag gegen Israel einsetzen könnte. Bush war hinter dem Iran als einem Teil der Achse des Bösen und seinen Nuklearanlagen her, und er war an einer Bekämpfung der Hisbollah als Bestandteil seines Interesses an der Demokratisierung interessiert, da der Libanon eine der Kronjuwelen der Demokratie im Mittleren Osten ist.
Test für einen Luftangriff auf den Iran
Ein ehemaliger hoher US-Geheimdienstmitarbeiter habe zudem Hersh berichtet, dass die israelischen und amerikanischen Militärplaner im Frühjahr begonnen hätten, über ihre normale Kooperation hinaus einen Angriffsplan auf die iranischen Nuklearanlagen zu entwickeln (s. a. Kriegspläne gegen Iran). Schon lange üben Israelis Druck auf die USA aus, gegen eine mögliche nukleare Aufrüstung Irans vorzugehen (Gewitter über dem Land der Mullahs). Für einen Luftangriff sei die israelische Luftwaffe der engste Partner des Pentagon. Eine Überlegung sei gewesen, erst einmal diese die von der Hisbollah mit iranischer Hilfe angelegten Bunker und Tunnels im Südlibanon anzugreifen, um die entwickelten Taktiken zu überprüfen. Das wurde Hersh auch von anderen Informanten bestätigt. Der Plan sah vor, Stellungen der Hisbollah, den Flughafen, Straßen und Brücken zu bombardieren, um einerseits zu verhindern, dass die Hisbollah weiterhin Nachschub an Waffen erhält, und um andererseits die nicht-schiitische Bevölkerung durch die Zerstörung der Infrastruktur gegen die Hisbollah aufzubringen. Nach dem ehemaligen Geheimdienstoffizier habe dies genau den Plänen entsprochen, wie das Pentagon den Iran angreifen wollte. Cheney meinte angeblich, dass man für einen möglichen Angriff auf den Iran vom israelischen Vorgehen gegen die Hisbollah lernen könne.
Inwieweit die Informationen der Quellen von Hersh tatsächlich zutreffen, ist eine Sache, zumal auch die Hisbollah, Iran oder Syrien Interesse an der Zuspitzung des Konflikts gehabt haben dürften, um ihre Position zu stärken, während die USA durch den Irak und Afghanistan geschwächt und in Israel mit der neuen Regierung der Einfluss der Falken geringer geworden zu sein schien. Gleichgültig, ob gemeinsam von Israel und den USA geplant oder nicht, so hat der Krieg bislang gezeigt, dass selbst eine so kleine Organisation wie die Hisbollah in einem kleinem Land mit vier Millionen Einwohnern nicht mit massiver Bombardierung und selbst mit dem Einsatz von Bodentruppen so schnell, wie ursprünglich gedacht, zerschlagen werden kann. Auch nach über vier Wochen Bombardierung kann die Hisbollah weiterhin Raketen nach Israel feuern. Und die Zerstörung von Hisbollah-Stellungen schloss nicht nur Häuser und Wohnungen, sondern auch Stiftungen, Krankenhäuser, Schulen und Mediengebäude ein. Die Hisbollah waren nicht nur eine bewaffnete oder auch Terrorgruppe, sondern auch eine Organisation, die für die Grundversorgung von Menschen sorgte. Solche „dual-use“-Gruppen sind noch schwieriger zu bekämpfen als reine Terrorgruppen wie al-Qaida. Zudem haben die großen Zerstörungen im Libanon, die alle betreffen, die vielen toten Zivilisten und die Hunderttausenden von Flüchtlingen dafür gesorgt, dass der Hisbollah als dem Gegner der Israelis größere Sympathien zugewachsen ist.
Für einen möglichen Angriff auf den Iran wäre der bisherige Verlauf des Krieges zwischen Hisbollah und Israel auf jeden Fall eine deutliche Warnung, zumal zusätzlich das Ansehen auch der US-Regierung noch weiter gesunken ist, was auch der intendierten Stärkung der Demokratisierung in der Region nicht förderlich ist. Gerade die Bombardierung des multikulturellen und multiethnischen Libanon, das wieder einen Schritt im Hinblick auf eine Festigung der Demokratie unternommen hat, und die dadurch erfolgte Stärkung der islamischen Fundamentalisten muss eigentlich als Desaster gesehen werden. Zudem scheinen die Israelis keine wirklich guten Informationen über die Stellungen und Strategien der Hisbollah gehabt zu haben. Ähnlich soll es bei den Amerikanern im Hinblick auf den Iran aussehen.
Die Hisbollah jedenfalls kann den möglichen Waffenstillstand, sollte er aufgrund der UN-Resolution erfolgen (Skepsis über die Umsetzbarkeit), als Erfolg für sich bewerten, wenn die Israelis nicht in letzter Sekunde noch militärisch entscheidende Erfolge erzielen. Glück hatte das israelische Militär, da es offenbar zwei weitere Drohnen der Hisbollah über Israel abschießen konnte, bevor diese, beladen mit Sprengstoff, in ihr Ziel rasen konnten. Man munkelt auch, dass Hisbollah Kommunikation des israelischen Militärs belauschen konnte. Die Hightech-Armee Israels hat sich im asymmetrischen Krieg als ebenso wenig erfolgreich erwiesen wie die Streitmacht der USA im Irak. Das könnte allgemein die Konflikte zwischen Palästinensern und Israelis anfachen.
Die libanesische Regierung, der zwei Hisbollah-Minister angehören, hat zwar wie die israelische die UN-Resolution angenommen. Uneinigkeit herrscht aber darüber, ob die Hisbollah südlich des Flusses Litani entwaffnet werden soll, ganz zu schweigen davon, wie dies gehen könnte. Vor allem aber dürfte auch die iranische Regierung ihre Schlüsse aus dem Stellvertreterkrieg gezogen haben. Offenbar sind die unterirdischen Stellungen geschickt angelegt gewesen, um auch einer starken Bombardierung standzuhalten. Auch wenige Tausend Kämpfer können einer Übermacht effektiven Widerstand leisten, wobei im Iran die Unterstützung durch die Bevölkerung noch stärker als im Libanon sein dürfte. Und auch die Reaktion der internationalen Gemeinschaft auf den von den USA gedeckten Angriff hat gezeigt, dass im Falle einer Bombardierung Irans die US-Regierung nicht mit großer Unterstützung rechnen kann. Aus all dem könnte sich die Position des Iran weiter stärken, auf den Druck und die Angebote nicht einzugehen, die nukleare Aufrüstung einzustellen, sondern diese nun erst recht zu forcieren. Das wäre genau das Gegenteil dessen, was Israel und die USA politisch und möglicherweise auch jetzt mit dem militärischen Vorgehen gegen die Hisbollah erreichen wollten.