Forencheck: Corona-Reinfektionen, Sterbezahlen und das Versagen der Luca-App

Drei Fragen aus dem Forum. Eine Wochenkolumne

Check 1: Statistik zu Reinfektionen

Zwei Fragen in Bezug auf den Text Deutschland: "Impfturbo definitiv abgeflaut" lautet:

Gibt es inzwischen verlässliche Statistiken, wie viele der in 2020 an Corona erkrankten Menschen in 2021 zum zweiten Mal erkrankt sind?

Dann würde mich noch interessieren, warum immer noch nur ein positiver PCR-Test zum Nachweis als Genesener zu gelten notwendig ist.

Schaut man sich Beiträge über Antikörpertests an, kann man diese Einschränkung kaum nachvollziehen. https://www.aerzteblatt.de/archiv/214379/COVID-19-Was-Antikoerper-aussagen-koennen: User kid1212

In Bezug auf die erste Frage lässt sich antworten, dass es keine umfassende Statistik zur Zahl von Reinfektionen, also nachweisliche Neuinfektionen nach bereits durchgemachter Infektion gibt. Wohl aber gibt es verschiedene Studien zur Wahrscheinlichkeit, dass sich Menschen nach einer ersten Infektion mit Sars-CoV-2 erneut anstecken und erkranken.

Erkrankt eine Person ein zweites Mal symptomatisch, dürfte die Reinfektion noch einfach festzustellen sein. Es ist aber auch gut möglich, dass eine der beiden Infektionen symptomlos oder mit sehr schwachen Symptomen verläuft und daher gar nicht bemerkt wird.

Das Robert-Koch-Institut unterscheidet diesbezüglich zwischen sicheren, wahrscheinlichen und möglichen Reinfektionen.

>Das Deutsche Ärzteblatt berichtet über mehrere Studien zu Reinfektionen, die in den USA, Großbritannien und Dänemark durchgeführt wurden.

Sie stimmten darin überein, dass Genesene zu rund 80 Prozent vor einer Reinfektion geschützt waren. Bei den erneut Infizierten war die zweite Infektion in der Regel von kürzerer Dauer und sie verlief mit milderen Symptomen oder symptomlos.

Bei älteren Menschen scheint der Schutz durch die Immunantwort nach Infektion geringer zu sein oder schneller nachzulassen - was ja auch in Bezug auf die Impfungen gilt.

Der dänischen Studie zufolge lag der Schutz vor einer Reinfektion bei den über 65-Jährigen nur noch bei 47 Prozent.

Bezüglich der zweiten Frage lohnt sich ein Blick in den angeführten Artikel im Ärzteblatt. Dieser erläutert die Unsicherheiten der verfügbaren Antikörpertests auf Sars-CoV-2.

Demnach könnte ein solcher Antikörpertest auch dann positiv ausfallen, wenn die Person Kontakt mit einem anderen humanen Coronavirus hatte (also beispielsweise einem gewöhnlichen Erkältungsvirus).

Auch kann die Anzahl von gebildeten Antikörpern unterschiedlich ausfallen, so dass nicht alle, die einen positiven PCR-Test hatten, auch unbedingt einen positiven Antikörpertest aufweisen werden. Sprich: Antikörpertests können sowohl falsch positiv als auch falsch negativ ausfallen und bieten daher nicht genug Sicherheit, um zu sagen, ob eine Person wirklich Covid-19 durchgemacht hat. Sie sind aber ein brauchbares Mittel, um abzuschätzen, welcher Anteil einer Bevölkerung bereits Kontakt zu Sars-CoV-2 hatte.

Check 2: Auswirkung der Coronapandemie auf die Lebenserwartung in Deutschland

Mit dieser Frage beschäftigen sich zwei Kommentare auf den Artikel Darf der Boss wissen, wer geimpft ist?.

Während der erste Kommentar lautet …

Das durchschnittliche Sterbealter ( Männer und Frauen zusammen) ist in Deutschland im Jahr der tödlichen Pandemie sogar um 0,31 Jahre angestiegen ! Wieviele davon welches Testergebnis bei welchem Test haben ist unerheblich.

User Analysr

… antwortet ein weiterer Kommentator:

Ohne Pandemie wäre das durchschnittliche Sterbealter ( Männer und Frauen zusammen) sogar um 2,54 Jahre angestiegen!

User Tincan

Am 9. Juli gab das Statistische Bundesamt bekannt, dass die durchschnittliche Lebenserwartung nach der aktuellen Sterbetafel 2018/2020 gegenüber der Sterbetafel aus dem Vorjahr 2017/2019 nahezu unverändert bleibt.

Bei neugeborenen Jungen stieg die Lebenserwartung demnach um 0,01 Jahre bei Mädchen um 0,04 Jahre. Neugeborene Jungen würden demnach durchschnittlich 78,64 Jahre Leben, Mädchen 83,4 Jahre.

Hauptgrund für die nahezu stagnierende Entwicklung sind die außergewöhnlich hohen Sterbefallzahlen zum Jahresende 2020 im Zuge der zweiten Welle der Corona-Pandemie. Zuvor war die Lebenserwartung Neugeborener bei beiden Geschlechtern seit der Berechnung für die Jahre 2007/2009 jeweils um durchschnittlich 0,1 Jahre angestiegen.

Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts

Betrachtet man nur die verbleibende Lebenserwartung älterer Menschen, zeigt sich ebenfalls kaum Veränderung. Bei über 65-jährigen Männern sank sie leicht von 17,94 auf 17,92 verbleibende Lebensjahre, bei über 65-jährigen Frauen stieg sie unwesentlich von 21,11 auf 21,12 Jahre.

Die Zahlen in beiden der oben zitierten Kommentare sind also falsch. Von der Tendenz her ist es richtig, dass die Lebenserwartung ohne Corona-Pandemie deutlicher gestiegen wäre, allerdings nicht um 2,54 Jahre - jedenfalls nicht gegenüber der Vorjahreserhebung.

Deutlich zugenommen haben laut Statistischem Bundesamt die Sterbeziffern bei den Hochbetagten. Die Sterbeziffern drücken die Sterbefallzahl je 1.000 Einwohner:innen aus und werden auch nach Altersgruppen erhoben. Hier stieg die Sterbeziffer bei den 80 - 84-Jährigen um 2,0 (Männer) bzw. 0,4 (Frauen). Bei den über 95-Jährigen stieg sie um 15,5 bzw. 14,6.

Das Statistische Bundesamt weist außerdem darauf hin, dass die Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie dazu geführt haben könnten, dass weniger Menschen an anderen Infektionskrankheiten wie etwa der Grippe verstorben sind, was einen Teil der erhöhten Sterblichkeit aufgrund von Covid-19 ausgeglichen haben könnte.

Checke 3: Hat die Luca-App in keinem Fall versagt? Vom wem kommen Fakten, vom wem Geraune?

Die Macher:innen der Luca-App haben die Berichterstattung auf Telepolis in einem längeren Text kritisiert, mit dem sich Telepolis noch eingehender beschäftigen wird. An dieser Stelle sei daher folgende Position der Luca-Macher:innen betrachtet:

Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Textes (10. August 2021) gibt es keinen einzigen Fall, in dem das luca-System "versagt" hat.

Blogeintrag "Macher der luca App nehmen Stellung: Fakten vs. Geraune"

Von "Versagen" lässt sich wohl sprechen, wenn die App ihrem eigentlichen Zweck, nämlich der Kontaktverfolgung nicht gerecht geworden ist, die Diskussion um Sicherheitslücken soll hier weitgehend außen vor bleiben.

Im April führte Jan Böhmermann das System vor, indem er auf Twitter dazu aufforderte, per Luca-App im Zoo Osnabrück einzuchecken und dort eine Nacht zu verbringen. Woraufhin über 100 Personen virtuell die Nacht im Zoo waren, wie die taz berichtete.

Weiter ist in der taz über einen Versuch des Journalisten Enno Lenze zu lesen, bei dem rund 600.000 Personen über einen auf Twitter verbreiteten QR-Code zu einer vorgeblichen Party einchecken konnten.

Genauso war es möglich, sich mit offensichtlich falschen Namen wie Mickey Mouse anzumelden. Das Problem falscher Personenangaben besteht natürlich auch auf Papierlisten, nur bietet die Luca-App gegenüber den Listen in dieser Hinsicht keine Verbesserung.

Die Möglichkeit sich über abfotografierte QR-Codes an Orten anzumelden, an denen man gar nicht ist, macht die ohnehin komplizierte Kontaktverfolgung nicht einfacher und dürfte nicht zur Entlastung der Gesundheitsämter beitragen.

Der Chaos Computer Club (CCC) forderte am 13. April eine Bundesnotbremse für die Luca-App. Zu den Versuchen von Böhmermann und anderen heißt es:

Der Nutzen der App bleibt dabei fragwürdig und ihre Anwendungsmöglichkeiten begrenzt. Beispiele im 20 Hektar großen Osnabrücker Zoo und verschiedenen IKEA-Filialen erheitern seit Tagen das Netz: Ein sinnvoller Beitrag zur Pandemie-Bekämpfung lässt sich auch mit viel Kreativität nicht konstruieren.

CCC

Vornehmlich kritisiert der CCC diverse Sicherheitslücken, unter anderem folgende:

Bei der Registrierung soll die Telefonnummer per SMS "validiert" werden. Millionen Euro müssen verschiedene Bundesländer für den Versand aufbringen. Eine handwerklich fehlerhafte Implementierung macht die Validierung jedoch unwirksam. Die Folge: Das massenhafte Erstellen von Fake-Accounts ist ebenso einfach wie deren Check-in an beliebigen Orten. Es droht nicht weniger als der Kollaps des kompletten Luca-Systems.

CCC

In diesem Fall torpediert die Sicherheitslücke wiederum den eigentlichen Sinn der App, nämlich die Kontaktverfolgung zu verbessern.

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