Darf der Boss wissen, wer geimpft ist?

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Die aktuelle Debatte um den Impfstatus für Beschäftigte und die Arbeitergesundheitsbewegung. Kommentar

Immer mehr öffentliche Einrichtungen gewähren Zutritt nur für Genesene und Geimpfte. Da ist es nicht verwunderlich, wenn jetzt auch darüber diskutiert wird, dass Unternehmer das Recht bekommen, ihre Mitarbeiter nach dem Corona-Impfstatus zu fragen. Bisher ist das gesetzlich nicht möglich.

In der Arbeitsschutzverordnung des Bundesarbeitsministeriums (BMAS) heißt es:

Bei der Festlegung und der Umsetzung der Maßnahmen des betrieblichen Infektionsschutzes kann der Arbeitgeber einen ihm bekannten Impf- oder Genesungsstatus der Beschäftigten berücksichtigen.

BMAS

Bisher gilt eine Befragung nach dem Impfstatus als Datenerhebung und da sind recht strenge Grenzen gesetzt. Manche wollen diese in Zeiten von Corona aufweichen.

In der Sendung "Hart aber fair" hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn angeregt, das Gesetz zumindest befristet zu ändern, damit Chefs oder andere Personen der Verwaltung die Mitarbeiter nach dem Impfstatus fragen können. Damit nimmt Spahn eine Forderung aus dem Unternehmerlager auf.

Bundesarbeitsminister Heil von der SPD ist nicht grundsätzlich gegen diesen Vorstoß, verlangt aber von Spahn, er sollte einen rechtssicheren Weg nennen, wie er eine solche Gesetzesveränderung umsetzen will, ohne später von einem Gericht bescheinigt zu bekommen, dass sie nicht verfassungsgemäß ist. So kann man schon mal festhalten, dass die SPD selbst im Wahlkampf die SPD nicht einmal Opposition gegen eine Abfrage des Impfstatus durch die Bosse simuliert.

DGB gegen Auskunftsbegehren beim Impfstatus mit Ausnahmen

Der Deutsche Gewerkschaftsbund äußert sich vordergründig ablehnend gegen gesetzliche Versuche, die die Abfrage des Impfstatus der Beschäftigten ermöglichen sollen. Die Gewerkschaften verteidigen das aktuelle Prozedere. Dort heißt es: unter der Frage: "Schulde ich meinen Arbeitgeber eine Auskunft darüber, ob ich geimpft bin?":

Nein, diese Auskunft schulden Sie Ihrem Arbeitgeber in der Regel nicht. Von der gesetzlich geregelten Masernimpfpflicht abgesehen - diese gilt seit dem 1. März 2020 für die Beschäftigten zum Beispiel in Kitas und Schulen - ist Impfen Privatsache der Beschäftigten.

DGB

Allerdings könnte diese scheinbar klare Haltung des DGB gegen eine Auskunft über den Impfstatus bald bröckeln. Die Ausnahmefälle wurden dort schon benannt:

Ausnahmsweise könnte eine Auskunftsverpflichtung bestehen, wenn die Impfung eine zwingende Voraussetzung für die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit darstellt, etwa wenn bei einer unabdingbaren Auslandsdienstreise der Impfschutz gegen bestimmte Krankheiten zwingende Voraussetzung darstellt, um in das jeweilige Land einzureisen - das gilt etwa für die Gelbfieber-Impfung in einigen Ländern Zentralafrikas. Ob diese zwingende Voraussetzung aber auf die Corona-Schutzimpfung übertragen wird, ist derzeit schwer einzuschätzen.

DGB

Einerseits haben wohl die DGB-Juristen, die ja vor einer solchen Formulierung konsultiert werden, Zweifel, ob die Regelungen für die Gelbfieberimpfungen einfach auf die Immunisierung vor Corona übertragen werden können. Andererseits werden jedoch keine Argumente dagegen vorgebracht. Eher wird nahelegt, dass man in bestimmten Fällen nach dem Modell Gelbfieber verfahren könnte, also dann eine Auskunftspflicht zum Impfstatuts bestehe. Auch hier gilt, eine grundsätzliche Opposition sieht anders aus.

Nun könnte man argumentieren, aus hygienischen Gründen wäre eine Auskunft über den Impfstatus am Arbeitsplatz sinnvoll und würde vielleicht auch manchen die Angst vor Ansteckung nehmen. Diese Argumentation ist nicht grundsätzlich von der Hand zu weisen.

Doch der Widerstand gegen ein Auskunftsrecht für Bosse ist trotzdem sinnvoll, weil eben hier deutlich wird, dass es sich da um unterschiedliche Interessen handelt. Informationen für die Unternehmerseite können den Beschäftigen Nachteile bringen. Es ist gut, dass zumindest in Spurenelementen noch dieses proletarische Wissen vorhanden scheint.

Datenschutzverordnungen haben liberales Leitbild

Das bedeutet allerdings nicht, das hohe Lied des Datenschutzes mit anzustimmen. Zumal die Datenschutzverordnungen das Leitbild des isolierten Individuums pflegen, der nicht kollektiv handeln und agieren. Daher sollte man genau überlegen, wann man diese Datenschutzpolitik taktisch verteidigen sollte. Beispielsweise als Abwehrrecht gegen Zumutungen des Staates oder auch von Unternehmen.

Aber es sicher auch Situationen, wo man die Datenschutzverordnungen kritisieren muss. Darauf hat der seit Jahrzehnten in der Arbeitergesundheitsbewegung aktive Wolfgang Hien in einen längeren Beitrag unter der Überschrift "Corona-Schutz im Betrieb - eine ebenso verzwickte wie tragische Situation" hingewiesen: Er kritisiert, dass aus Datenschutzgründen keine Zahlen über die Corona-Ansteckungen in den Betrieben erhoben werden. Zudem weist er auf eine Praxis der Arbeitergesundheitsbewegung hin, die auch im Umgang mit Corona nützlich sein könnten.

Alle Versuche, Konzept und Konkretisierung von Schutzmaßnahmen in einem partizipativen Prozess, erfahrungsnah und unter Einbeziehung der Beschäftigten zu entwickeln, wurden von den Unternehmerverbänden, aber auch von mächtigen Betriebsratsoligarchien torpediert. Betriebliche Gesundheitszirkel, die im Ansatz so etwas hätten voranbringen können, wurden gerade immer dann, wenn sie "ans Eingemachte" gingen, d.h. an betrieblichen Strukturen rüttelten, eingestellt.

Eine breite gewerkschaftliche Bewegung für einen partizipativen und effektiven Gesundheitsschutz ist ausgeblieben.

Wolfgang Hien, Corona Schutz im Betrieb

Solidarisches Handeln ohne Datenschutz

In diesem Beitrag blitzt die Utopie eines Umgangs mit der Gesundheit am Arbeitsplatz auf, die auch zu einer Selbstermächtigung der Beschäftigten führen kann und das eigene Wohlbefinden über die Belange der Profitmaximierung zu stellen. Das war der Impetus der Arbeitergesundheitsbewegung. In einem solchen kollektiven, partizipativen Prozess sollten auch Datenschutzregelungen infrage gesellt werden.

Denn dann verstehen sich die Beschäftigten eben nicht als liberale Monaden, deren individuellen Daten niemand anders, vor allem nicht die eigenen Kolleginnen und Kollegen, erfahren sollen, wie es jetzt teilweise bereits schon beim Verdienst praktiziert wird. Das ist Gift für ein solidarisches Handeln. In einem kollektiven Prozess ist es sinnvoll, die Daten über Lohnhöhen, aber eben auch Gesundheitsdaten zu teilen.

Das macht deutlich, dass Datenschutz vor dem Unternehmerlager verteidigt werden; aber durchaus infrage gestellt werden sollte, wenn es einen kollektiven Prozess der Beschäftigten hinderlich ist. Allerdings hat Wolfgang Hien mit seiner Kritik an den Betriebsratsoligarchien schon darauf hingewiesen, dass ein solches solidarisches Handeln auch voraussetzt, dass Betriebsräte nicht, wie oft in Deutschland, als Co-Manager agieren, sondern die Interessen der Beschäftigten gegen die Kapitalmacht verteidigen.