Fracking-Rodeo

Mischapparatur von Halliburton in North Dakota für das Beimischen der Fracfluide zum Wasser vor dem Einpressen in das Bohrloch. Bild: Joshua Doubek/CC-BY-SA-3.0

Der Fracking-Boom in den USA stolpert über billiges Öl. Ist die viel zitierte Energie-Unabhängigkeit des Landes in Gefahr?

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Unabhängigkeit vom fremden Öl. Es ist ein großes Versprechen, dass US-Präsident Barack Obama seinem Land nicht müde wird, auch im siebten Jahr seiner Amtszeit mitzuteilen. Er ist auch nicht der erste Präsident, der Auswege sucht, um nicht mehr von der Gnade der OPEC abhängig sein zu müssen. Richard Nixon startete als Antwort auf das Öl-Embargo 1973 "Project Independence", durch das im eigenen Land nach alternativen Energiequellen gesucht werden sollte.

Das Projekt war ambitioniert, bereits 1980 sollte die Energie-Unabhängigkeit der USA ausgerufen werden. Vierzig Jahre später ist es tatsächlich so weit: Bis 2035 könnten die USA Energieautark sein, analysierte die International Energy Agency (IEA) vor gut zwei Jahren in ihrem World Energy Outlook (WEO). Vor allem, so heißt es, dank der Wunderwaffe des Fracking, dessen erneuerte Technik auch bisher unerreichbare Gas- und Ölvorkommen anbohren kann. Die Förderart habe enorme Folgen für die globale Wirtschaft und Geopolitik, sagte Fatih Birol, Chefökonom bei der IEA

Die USA als Selbstversorger und oberster Energie-Exporteur? Für die OPEC und Saudi-Arabien als bisherige Nummer 1 ist die drohende Neugestaltung des Energiehandels eine beunruhigende Aussicht. Den besten Kunden, die eigene Marktstellung und im Falle von Saudi Arabien wichtigen politischen Einfluss zu verlieren, war Antrieb genug für das Kartell, im Herbst aktiv zu werden: Es legte fest, die eigene Fördermenge trotz Marktsättigung nicht zu beschneiden. Seitdem sinken die Preise. Von 107 US-Dollar auf 45 US-Dollar innerhalb von sieben Monaten. Seit kurzem steigt der Preis zwar wieder minimal, eine Erholung auf die alten Werte aber wird es wohl so schnell nicht geben: Saudi Arabien will seine "Strategie nicht ändern", erklärte kürzlich Suhail al-Mazrouei, Energieminister des Königreichs. Sehr zum Leidwesen der Fracking-Industrie.

Lebensdauer von Fracking-Quellen

Denn die Unternehmen benötigen wegen der kostenintensiven Art ihrer Förderung einen Preis von 60 bis 100 US-Dollar pro Fass, um ökonomisch zu sein, analysiert das Climate News Network. Aber Fracking ist nicht nur teuer. Die Industriebranche reagiert auch deutlich sensibler auf Preisschwankungen als jene von konventionellem Öl. Der Grund: Konventionelle Ölquellen sind langlebig, unkonventionelle Fracking-Quellen nicht. Erstere geben über 20 Jahre Öl bei gleichzeitig minimalem Förderrückgang (zirka 2 Prozent pro Jahr). Fracking-Formationen wie Bakken in North Dakota und Montana- die Boom-Formation neben Eagle Ford, Permian und Haynesville in Texas - könnte dagegen bereits innerhalb von drei Jahren um die Hälfte leer gesaugt sein, berichtet das Wirtschaftsmagazin Forbes (s. a.: Fracking Wells Lack Staying Power).

Gas-Bohrung von Halliburton in der Bakken-Formation in North Dakota. Bild: Joshua Doubek/CC-BY-SA-3.0

Aktienkurse auf Talfahrt

Bei einem so kurzfristig angelegten Rendite-Zeitraum, ist die Rechnung einfach: Sinkt die Aussicht auf Profite, wird eine Investition massiv risikoreich und der Markt reagiert entsprechend: Die Aktienkurse von erfolgreichen US-Fracking-Unternehmen wie Pioneer Natural Resources oder Apache Corp. fielen mit Beginn der Öl-Talfahrt im vergangenen Jahr innerhalb von nur vier Monaten um über 25 Prozent. Um besser dazustehen, veräußerte PNR sogar ihr Pipeline-Geschäft in Eagle Ford.

Weitere am Fracking beteiligte Firmen wie Royal Dutch Shell, ConocoPhillips und Occidental Petroleum Corp. wollen bereits geplante Ausgaben in der Größenordnung von 20 Milliarden US-Dollar in diesem Jahr einsparen. Auf 30 bis 40 Prozent, verglichen zu 2014, schätzt die Ratingagentur Moody's den Investitionsrückgang von US-Mineralölunternehmen (E&P Companies) in diesem Jahr, wenn der Ölpreis unter 60 US-Dollar pro Fass bleibt, um 20 Prozent bei 75 US-Dollar. Das Ergebnis: Über 90 US-Bohrplattformen schlossen laut Baker Hughes-Index alleine in der letzten Januar-Woche 2015, seit Januar 2014 sind es insgesamt 315.

"Die Umstände werden brutal werden", prophezeit ein Analyst der Vermögensverwaltungs-Firma Cowen Group dem Houston Chronicle. Bis Endes des Jahres könnten von jetzt 1.543 Bohrplattformen 1.000 verschwinden. Der Fracking-Geist sei aus der Flasche, glaubt auch Fadel Gheit, Geschäftsführer der Investmentfirma Oppenheimer & Co: "Das letzte Mal, dass ich so etwas ähnliches sah, war 2008, als der Aktienmarkt zusammenbrach."

"100 Jahre"-Mythos Fracking

Ist Obamas Traum also ausgeträumt, bevor die USA überhaupt richtig anfangen konnten, von der "Energy-Independence" zu träumen? "Hundert Jahre" werde das Gas aus der Fracking-Methode reichen, sagte Obama in seiner State-of-the-Union-Ansprache 2012. Tatsächlich ist es eher so, dass die Unabhängigkeit von fremdem Öl durch Fracking alleine schlicht nicht machbar ist.

Die optimistischen Angaben zu Erdgas, über ein Produktionswachstum von "locker" 56 Prozent zwischen 2012 und 2040, stammen aus Berechnungen der US-Energy Information Administration (EIA). Genau an diesen Angaben aber haben Forscher der Universität Texas mittlerweile Zweifel angemeldet. Sie untersuchten die vier größten Formationen der USA, die zusammen Zweidrittel des Erdgas-Ertrages ausmachen, mit einem 20-mal genauerem Rasterverfahren als die Berechnung der EIA. Das Ergebnis: Der Spitzenwert der Erdgas-Produktion wird nicht 2040 erreicht sein, wie die EIA annimmt, sondern 2020. Zudem lag die von den Wissenschaftlern ausgerechnete Produktionsmenge an Erdgas 2030 gerade einmal bei der errechneten Hälfte der Energy Information Administration. Das sei die "geologische Realität" des Fracking-Booms, schreibt der National Geographic.

Schlussendlich wird nicht den Ausschlag machen, ob die Ölpreise steigen oder fallen. Entscheidend sind die niedrigen Reserven der Gas- und Öl-Formationen. Freilich wird das die Fracking-Industrie, die sich dann gesund geschrumpft haben dürfte, nicht davon abhalten, erneut massiv zu investieren, sobald die Ölpreise wieder auf die 100 US-Dollar Marke oder sogar darüber hinaus ansteigen.

Arctic National Wildlife Refuge

Inmitten der Fracking-Euphorie gelang es Barack Obama unterdessen einen kleinen Sieg für die Umwelt einzuholen: Vor einigen Tagen entschied er, fast 50.000 Quadratkilometern des Naturschutzgebiets Arctic National Wildlife Refuge (ANWR) vor künftigen Ölbohrungen zu schützen. Dazu will er diesen Sommer strengere Regulierungen für den industriellen Ausstoß von Methan erlassen, das vor allem während des Fracking-Prozesses austritt und bis zu 25 Mal gefährlicher ist als CO2. Die Emission soll bis 2025 um 45 Prozent (Ausgangswert 2012) verringert werden.

Allerdings gilt die Vorgabe nicht für existierende Bohrplattformen, sondern nur für neue. Da anzunehmen ist, dass der von Republikanern dominierte US-Kongress diesbezüglich ein Wort mitreden würde, plant die Obama-Administration diesen durch den Clean Air Act und mit Hilfe der US-Umweltbehörde zu umgehen, um das Gesetz durchzusetzen.