Frag den Mufti

Aufklärung über Islam-Online: Wie human ist der "sanfte" Dschihad?

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Die arabische Sprache sei eine besonders anspruchsvolle Geliebte, sagte mir einmal ein grinsender Assistent des Instituts für Semitistik, der den Humor und den Hang zu anschaulichen Bildbeispielen mit den Arabern teilte, die er aus dem Studium vorislamischer Schriften kannte. Wer sich auch nur einen Tag lang nicht um die Geliebte sorge, dem wende sie alsbald den Rücken zu. Würde der Schönen auch am zweiten Tag keine Aufmerksamkeit zuteil, bereite sie schon alles für den Auszug vor. Bei fortwährendem Liebesentzug am dritten Tag sei sie auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Wie der Großteil der Seminarbesucher, die am ersten Tag noch beinahe siebzig Köpfe zählten und am Ende des Semesters nur noch eine Handvoll.

Der Erwerb der arabischen Sprache ist mühsam und zeitaufwendig. Das entsprechende Studienfach galt bis vor kurzem noch als wenig aussichtsreiches Exotenfach für einen kleinen Haufen bemitleidenswerter, lebensferner Studenten. Selbst wenn das Interesse an der Sprache seit dem "Kampf der Kulturen" gestiegen sein dürfte, die Anzahl derer, die hierzulande diese Sprache beherrschen, ist nicht groß. Leichtes Spiel also für alle möglichen berufenen wie unberufenen Aufklärer des Islam, zentrale Schlüsselbegriffe nach persönlichem Gutdünken auszulegen - hervorragendstes Beispiel: der Dschihad.

"When will fear, killing, destruction, expulsion, orphaning and widowing remain only limited to us while security, stability and happiness remains only limited to you? This is an unfair allotment. The time has come to share in these matters equally.

Just like you kill, you will be killed. And just like you bombarded, you will be bombarded. Be prepared to receive the glad tidings of what will be bad for you.

By the grace of Allah, the Islamic Ummah (nation) has started to fire at you with its sincere youth, who have promised Allah to continue Jihad with words and swords, in order to defend the truth and to extinguish the falsehood till the last drop of blood.

Finally, I ask Allah to provide us with support in order to defend His religion and to continue on the path of Jihad for His Sake so that when we meet Him, he is pleased with us. He is the only One capable of that and our last supplications shall be that All Praise is to Allah, Lord of the Worlds." (Aus der angeblich von Usama bin Ladin stammenden Rede, die al-Dschasira am 12.11. gesendet hatte.)

Geistige Anstrengung oder heiliger Kampf

Die Unbedarften, so die Unterstellung vieler Islamkundiger gegenüber westlichen Medien, übersetzen den Begriff allzu leichtfertig und vorschnell mit "heiliger Krieg" - und stehen damit immerhin im Einklang mit verschiedenen terroristischen Vereinigungen, die eben diese martialische Auslegung auf ihr Kampfbanner geschrieben haben. Das arabische Wörterbuch von Hans Wehr, die Referenz für alle deutschsprachigen Übersetzer, tut dies genauso: "Kampf; heiliger Krieg (gegen die Ungläubigen als relig. Pflicht)" ist dort zu lesen.

Nein, nicht ganz richtig heißt es in vielen Gegendarstellungen von gelehrter Seite. Der Begriff lasse sich so nicht verkürzen. Der Wurzel des Wortes (j-h-d) verweise auf eine Anstrengung, auf Mühe und Bemühung, einen geistigen und gesellschaftlichen Einsatz für den Islam schlechthin. Also eher eine spirituelle, religiöse Haltung.

Die Philologen und Korankenner führen an, dass in diesem Wortstamm und im ersten Erscheinen von Dschihad im heiligen Buch kein Bezug auf das "Töten" (Wurzel hier vielmehr: q-t-l) gegeben sei. Von Anhängern des "sanften" Islam - oft mit ausgesprochener Sympathie für die Sufis und den spirituellen Kern des Islam - bekommt man alle Tage genau dieses Argument zu hören: Der Westen (die westlichen Medien) würde(n) den Dschihad, eine geistige Anstrengung, zu einem blutrünstigen Kampfbegriff herabwürdigen und damit die ganze Religion als im Kern aggressiv denunzieren.

Wie vielleicht vielen anderen auch, wäre es mir sehr lieb, wenn der "Heilige Krieg" sich einzig auf eine seelisch-geistige Anstrengung konzentrierte, weshalb ich sehr neugierig wurde, als die New York Times kürzlich eine islamische Website vorstellte und einer der dort Beteiligten seine Mitarbeit stolz als einen "Akt des Dschihad" bezeichnete, selbstverständlich im Sinne eines "spirituellen Kampfes".

Die Medienaufklärung geht von Katar aus

Die Site Islam-Online zählt mit täglich mehr als 250.000 Zugriffen zu den meist besuchten islamischen Seiten im Netz, deren Popularität sie vor allem der englisch-sprachigen Ausgabe verdankt: nur eine Minderheit der weltweiten Muslim-Gemeinschaft kann arabisch lesen, die meisten aber englisch.

Islam-online gibt es seit drei Jahren. Gegründet wurde die Site in Katar, dessen Herrscher Scheich Hamad bin Khalifa al-Thani für fortschrittliche Medienpolitik bekannt ist - auch al-Dschasira ist in Katar zuhause (Al-Dschasira und die Rache der älteren Schwester). Wie bei al-Dschasira heißt der spiritus rector hinter den Kulissen Scheich Yussuf Abdullah al-Qarawadi, ein prominenter Name in der islamischen Geistlichkeit, der aufgrund seiner antiamerikanischen Äußerungen und zugleich seiner entschiedenen Verurteilung der Selbstmordattentate wegen - insbesondere der Anschläge vom 11.September - verschiedene Male auch in westlichen Medien erwähnt wurde.

Ziel: islamische Renaissance

Entsprechend hochgesteckt sind die Ambitionen von Islam-online: Man will einen kohärenten und lebendigen Islam präsentieren, der mit den modernen Zeiten Schritt hält - Stichwort: islamische Renaissance - auf der Grundlage festgelegter Prinzipien des islamischen Gesetzes. Die Redaktion wurde nach Kairo verlegt, Sitz der berühmten al-Asar-Universität, ein Standort, der es u.a. ermöglicht, die besten und fortschrittlichsten Experten aus geistlichen und weltlichen (Wirtschaftswissenschaften, Soziologie, Medien, Technologie, Kunst usf.) Bereichen an Bord zu holen.

Das Spektrum von Islam-online umfasst News, Ansichten - Essays z.B. über Feminismus im Islam, das Problem der Historisierung des Islam und damit eingehender Relativierung von grundlegenden Traditionen, das Wort Gottes, der Koran, ist ja zeitlos gültig - und vor allem und genau hier sollen die Glaubensgrundsätze lebendig werden und der annoncierte Gegenwartsbezug realisiert: eine Fatwa-Rubrik, wo Fragen an eine ausgewiesene islamische Autorität gestellt und beantwortet werden. Erwähnenswerterweise u.a. auch in ökonomischen Angelegenheiten, da Zinsprofite im Islam verboten sind, was im derzeitigen globalen Geschäftsverkehr große Komplikationen mit sich bringt. Häufig werden Fragen gestellt, wie sich muslimische Grundsätze mit modernen Fortpflanzungstechniken oder der Anwendung stimulierender Mittel wie etwa Viagra vereinbaren lassen. Die Antworten sind z.T. sehr viel flexibler, offener und liberaler als etwa katholische Ansichten.

"Ist es erlaubt, einen Juden außerhalb von Palästina zu töten?"

So weit so schön, lehrreich und lesenswert, wenn auch bei der News-Auswahl selbstverständlich, was den Nahost-Konflikt angeht, eindeutig die Position der Palästinenser repräsentiert wird. Größere Irritationen entstehen aber, wenn man im Fatwa-Archiv Fragen und Antworten zum Dschihad bezogen auf den israelisch-palästinensischen Konflikt sucht:

Frage: Ist es erlaubt, einen Juden außerhalb von Palästina zu töten?

Antwort: Im Namen Allahs,.. Es ist nicht erlaubt, einen Juden außerhalb Palästinas zu töten, weil das Schlachtfeld auf das palästinensische Land begrenzt ist. Darüber hinaus ist ein Jude außerhalb Palästinas kein Usurpator unseres Landes und kämpft nicht direkt gegen uns, selbst wenn er Israel unterstützt... Es ist uns nicht gestattet, solche Leute zu attackieren.

Was aber ist mit denjenigen, die Pizza essen auf dem Territorium, das von der arabischen Seite "Palästina" genannt wird. Gehört das Bombenlegen in Pizzerien auch zum Dischihad, ist es also legitim nach Auffassung des islamischen Rechtsgelehrten?

Im Namen Allahs.... Was aber die Juden anbelangt, die innerhalb unserer besetzten Gebiete leben und die israelische Staatsangehörigkeit besitzen, so nehmen sie teil an der Aggression gegen unsere palästinensischen Brüder. Unser Ziel sollte das Militärpersonal sein, nicht die Zivilisten, solange Israel nicht unsere Zivilbevölkerung angreift. Aber wie wir heutzutage sehen, verletzen sie das Leben aller Palästinenser, Zivilisten wie Nicht-Zivilisten. In ihren Angriffen machen sie keine Unterschiede zwischen einem Kleinkind und einer älteren Person...Wir dürfen demnach auf die selbe Art zurückschlagen, wie wir angegriffen werden...Folglich haben wir keine andere Möglichkeit, als so mit ihnen umzugehen, um sie abzuschrecken. Folglich ist es uns erlaubt, jeden (!) Israeli (!) zu töten, bis sie mit der Massentötung und ihrem Heidentum (!) aufhören. Nur dann können wir unsere Attacken auf israelische Zivilisten beenden, unser Dschihad aber gegen das Militär wird erst aufhören, wenn sie unser Land verlassen.

Scheich Faisal Maulawi

Dass sich die Ulama, die Gemeinschaft der Islamgelehrten, zur Frage, wie denn die Siedler zu behandeln seien, noch drastischer zu legitimen Racheakten äußert - "..jedoch im Falle, dass der Feind unsere Kinder abschlachtet, haben wir ihn im selben Maße zu behandeln..", wundert nun nicht mehr.

So respektabel sich die ständigen Appelle auf Islam-online zum Gewaltverzicht als dem einzig richtigen Weg zur Förderung der Ziele des Islam ausnehmen, so bodenlos werden sie, sobald die Sprache auf den zentralen Konflikt zwischen den Arabern und Israel kommt. Die eben zitierten Aussagen, die von namhaften Vertretern der Ulama gemacht wurden, sind derart grob, roh und apodiktisch gegen das einzelne Leben gerichtet, im Wortlaut wie in ihrer schablonenhaften Deduktion und Zuspitzung, dass es einem schwer fällt, an eine islamische Renaissance zu glauben, in deren Mittelpunkt eine "Humanitas" stünde, der man gerne sehr viel Interesse und Aufmerksamkeit entgegenbringen würde. Aber diese Zuwendung für eine so schwierige Geliebte in einer alten muffigen scholastischen Kampfmontur?