Franchise-Bands und Regressionshymnen

Neue Alben von Art Brut und Camera Obscura

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Art Brut gehören zu den sichtbarsten Protagonisten einer Gegenentwicklung zur Eigentlichkeit des letzten Jahrzehnts, die vom Deutschrap bis zu den Auswahlshows mit ihren tätowierten Sandsäcken und Pisaopfern ging, denen jeder Abstand zu vorgegebenen Regeln fremd war. Songs wie Formed a Band oder Good Weekend machten dagegen dem Bandnamen alle Ehre und erinnerten teilweise an Brian Wilson zu der Zeit, als sein Manager-Psychiater ihn zwang, Stücke darüber zu schreiben, wie er sich Toast macht.

Vor drei Jahren erregten Art Brut über das Popgeschehen hinaus Aufsehen, als sie ihr musikalisches Projekt als Franchise-Unternehmen deklarierten und Fans dazu aufriefen, Bandfilialen zu gründen. Anders als Coverbands mussten Franchise-Bands nicht wie Art Brut klingen. Dafür erhielten sie Nummern, ausgehend von Art Brut 0 (AB0) für die eigentliche Band. Die selbst recht bekannten We Are Scientists laufen beispielsweise als Art-Brut-Franchise-Band unter AB47. Treten AB-Gruppen zusammen auf, werden die Zahlen multipliziert.

Eddie Argos, der Sänger und Texter der AB0, ist eine Art Kreuzung aus Jonathan Richman und Mark E. Smith - optisch mit etwas Susan Boyle angereichert, aber keineswegs im Habitus. Der Mann mit dem bürgerlichen Namen Kevin Macklin pflegt jenen Teil der Popmusik, der die Literatur beerbte. Art Brut Stücke bieten einen Zugang über die Texte. Das war bereits auf dem ersten Album so und das ist auch auf dem jetzt erschienenen dritten, Art Brut vs. Satan, nicht anders. Diesmal geht es unter anderem um das Arbeitsleben ("Oh yeah, I'm so laissez-faire, sometimes I'm not even there"), Pop und Politik ("If we can't change the world let's at least get the charts right") und darüber, wie unglaublich schade es ist, die Replacements erst so spät im Leben entdeckt zu haben.

Bestes Stück auf dem Album ist die Regressionshymne DC Comics and Chocolate Milkshake, von der vorab erschienenen Single Alcoholics Unanimous bleibt dagegen wenig im Gedächtnis. Mit Twist And Shout und The Passenger pflegt die Band den Running Gag, Titel von Klassikern für völlig andere neue Songs zu verwenden. Überhaupt findet sich auch auf diesem Album kaum eine Aussage ohne popmusikalische Bezugnahme. Schlachtete Argos auf Bang Bang Rock'n'Roll noch auf verblüffend einfache Weise Velvet Underground (reimt sich auf "I can't stand the sound"), so werden nun in Am I Normal die Teenagerträume der Rolling Stones auf den Boden der hormonell-sozialen Tatsachen zurückgeworfen ("I can't get no satisfaction, I've got an itch I can't stop scratching") und aus Rockabilly-Rebellion wird eine Schilderung der angeblich fatalen Wirkungen einer Kombination aus Allergiemedikamenten, Alkohol und Ibuprofen ("I can't remember anything I've done, I fought the floor and the floor won").

Genre-referentielles ist auch eine Spezialität von Camera Obscura, einer Band, die überwiegend aus fetten alten Schotten besteht. Der Pop, den Camera Obscura zustandebringen, erzeugt dabei einen noch größeren Gegensatz zum Äußeren der Band als bei den Pet Shop Boys. Ein verwirrender Effekt, den sich die Gruppe in ihrem ebenenbrechenden Antwortstück auf Lloyd Coles Are You Ready to be Heartbroken zunutze machte. Dort springen zuerst ein junger Mann und ein Mädchen durch das Bild, bis schließlich die unglaublich schlechtgelaunte Visage von Tracyanne Campbell erscheint und der Zuschauer überrascht feststellt, dass sie die eigentliche Sängerin ist.

Das neue, vierte Album, My Maudlin Career, ist in einiger Hinsicht besser, in anderer aber auch schlechter als die vorhergehenden: Schlecht ist beispielsweise das Aquarellcover - allerdings hat die Band hier mit dem bebrillten Teddybären auf Underachievers Please Try Harder Maßstäbe gesetzt, die sie selbst kaum jemals mehr einholen kann. Textlich gibt es unter anderem im Titelstück einige durchaus rührende Momente, an anderer Stelle aber auch enttäuschend Uninspieriertes.

Musikalisch pendelt man weiterhin zwischen klassischen nordbritischen Gitarrenpop und Phil Spector, dessen Einfluss vor allem in French Navy hörbar wird, einer der besten Camera Obscura Singles seit Eighties Fan und ein Stück, das bereits vor Erscheinen des Albums kostenlos erhältlich war, weil die Band ein offenbar realistischeres Geschäftsmodell pflegt als manch andere: "We're super generous and don't you forget it [...] The deal is; you all come from miles, counties, countries and continents around to fill the shows."