Frankreich: Apathisches Wahlvolk, überschätzter Macron…

Emmanuel Macron, Marine Le Pen. Bilder: Public Domain

…und Siegeschancen für Madame Le Pen? Am kommenden Sonntag wird gewählt

Stell' Dir vor, es ist Krieg und niemand… geht zur Wahl. Ungefähr so lässt sich, unter Abwandlung eines bereits ziemlich alten Slogans ("…und keiner geht hin") und ziemlich überspitzt, die Auswirkung des Kriegs in der Ukraine und der von ihm ausgelösten internationalen Schockwelle auf die französische Innenpolitik beschreiben.

Frankreich wählt am kommenden Sonntag. Dabei handelt es sich um den ersten Durchgang des im aktuellen politischen System des Landes – dem der 1958 begründeten Fünften Republik – mit Abstand wichtigsten Wahlereignisses in Frankreich, also der Präsidentschaftswahl. Diese fand früher, bis zur Jahrtausendwende, alle sieben Jahre statt. Seit einer 2000/01 verabschiedeten Verfassungsänderung steht sie nun alle fünf Jahre auf dem Programm.

Hauptbeweggrund dafür war die Absicht, die Amtszeit des Staatsoberhaupts an die Dauer der fünfjährigen Legislaturperiode des Parlaments anzupassen – um zu vermeiden, dass ein Staatschef über längere Zeit hinweg mit einer gegnerischen Parlamentsmehrheit leben muss. Dies passierte in der Vergangenheit François Mitterrand gleich mehrfach (ab 1986 und ab 1993) und seinem Nachfolger Jacques Chirac ab 1997, und es schwächte die Stellung des Präsidenten.

Seit 2002 findet nunmehr regelmäßig die Präsidentschaftswahl zuerst, danach ein paar Wochen später, in ihrem Gefolge, auch die Parlamentswahl statt. Letztere wird dadurch, jeweils war es in den letzten zwanzig Jahren so, jeglicher Spannung beraubt und jeglichen Inhalts entleert: Letztlich ging es stets nur noch darum, dem einmal gewählten Präsidenten auch das Regieren zu erlauben, indem man ihn mit einer politisch konformen Mehrheit ausstattet. Sollte es in diesem Jahr anders werden? Abwarten.

Es steht also am Sonntag - und in der Stichwahl vierzehn Tage später - jedenfalls viel, ja das meiste auf dem Spiel, was die künftige politische Ausrichtung Frankreichs betrifft. Keine Wahl ist so entscheidend im französischen politischen System wie diese. Der Rest ist, jedenfalls auf nationaler Ebene, mittlerweile eher schmückendes Beiwerk.

Denn die im Juni stattfindenden Parlamentswahlen werden voraussichtlich nur noch einen Abklatsch der Ergebnisse aus dem April beinhalten; es sei denn, die Präsidentschaftswahl hätte einen besonders überraschenden, umstrittenen und knappen Ausgang, den die Wahlbevölkerung dann korrigieren wollen könnte. Danach sieht es derzeit nicht aus, aber noch ist das Rennen nicht gelaufen.

Das verbreitete Desinteresse

Das herausragende Merkmal des Vorwahlklimas ist das verbreitete Desinteresse, ja, die relative politische Apathie. Die ist nicht total - es wäre überzogen, von einem völligen Wegbrechen der Stimmbeteiligung auszugehen. Aus sogenanntem staatsbürgerlichem Verantwortungsbewusstsein für die einen, aus dem Willen zum Protestieren für die anderen wird es durchaus Wahlteilnehmer/innen geben.

Aber in den letzten Märztagen erklärten sich in einer demoskopischen Erhebung 41 Prozent der Befragten desinteressiert an dieser Wahl und nur 59 Prozent interessiert. Das ist eine Zahl, die gegenüber der vorausgehenden Umfrage (vierzehn Tage zuvor) um drei Prozentpunkte rückläufig war.

Der Krieg und die internationalen Spannungen sind einer der Gründe dafür. Die Situation in der Ukraine und beim Aggressor Russland zieht einen Großteil des Medieninteresses und der Medienaufmerksamkeit auf sich. Auch ruft dieser Kontext Zukunftsängste hervor, die eher demobilisierend als mobilisierend wirken, was das Einsetzen für kollektive Belange betrifft.

Doch dies ist nicht ist der einzige Grund. Denn bereits Anfang Februar, also noch vor dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine, wurde ein eher geringfügiges Interesse am Vorwahlkampf in der damaligen Phase verzeichnet.

Die Covid-19-Pandemie

Eine der Ursachen dafür liegt auch in den Aus- und Nachwirkungen der Covid-19-Pandemie. Diese ist zwar, medizinisch betrachtet, auch in Frankreich nicht beendet; doch schon seit Anfang/Mitte März weitgehend aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden. Denn fast alle Pandemieschutzmaßnahmen (mit Ausnahme der Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln) wurden bereits mehrere Wochen vor dem deutschen freedom day aufgehoben.

Manche Mediziner und andere böse Zungen vermuteten zwar einen Zusammenhang mit dem heranrückenden Wahltermin und warnten vor einem voreiligen Aufgeben von Maßnahmen aus rein politischen, gar durch Wahltaktik von Regierungsseite diktierten Motiven.

Doch das Thema wurde seitdem weitgehend an den Rand gedrängt. Dies ändert nichts daran, dass die aufeinanderfolgenden Perioden von Lockdowns (ab März 2020 und ab Oktober 2020), später von Ausgangsbeschränkungen und -sperren (ab Dezember 2020) objektiv eine gewisse vereinzelnde oder auf das Familienleben sowie Bildschirme zurückwerfende Wirkung entfaltete.

Der erste, bis dato härteste Lockdown in Frankreich von März bis Mai 2020 hatte zunächst nicht diese Wirkung: Kurz nach dessen Aufhebung kam es zum relativ massiven Aufflammen von Demonstrationen, vor allem im Juni 2020, auch im Zusammenhang mit den Diskussionen über Polizeigewalt in Frankreich nach dem Tod von George Floyd in den USA, und nochmals im Herbst 2020 gegen das französische "Gesetz zur globalen Sicherheit".

Doch infolge der späteren Perioden der Pandemie blieb dieser Effekt aus, und es schien eher ein Zustand der Apathie des kollektiven Engagements einzutreten. Sieht man von den Demonstrationen im Hochsommer 2021 gegen die Einführung des pass sanitaire, d.h. eines ungefähr mit der G3-, später (ab Januar d.J.) mit der G2-Regel in Deutschland vergleichbaren Nachweises des Corona-Status ab. Doch diese wurden weitgehend durch Rechtsextreme wie Florian Philippot sowie Verschwörungsgläubige dominiert. Die Nachweispflicht wurde inzwischen wieder abgeschafft.

Was seit Juni 2020 weitgehend fehlte, waren gewerkschaftliche, soziale oder auch mehr oder minder linke Mobilisierungen zu dieser oder jener gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Auf lokaler Ebene, in den einzelnen Betrieben kam es allerdings (etwa im Herbst 2021) zu einer Welle örtlich und inhaltlich begrenzter Arbeitskämpfe, bei denen es um Lohnerhöhungen zum Ausgleich der seit Monaten steigenden Inflation ging.

Diese wurden allerdings oft durch die Angst um den Arbeitsplatz in Zeiten mit Krisentendenzen ausgebremst oder gar verhindert, und die Lohnerhöhungen blieben vielfach hinter der Preisentwicklung zurück.

Hinzu kommt der Umgang des amtierenden Staatspräsidenten Emmanuel Macron mit den diversen Krisensituationen – vom Covid bis zum Krieg. Er suchte nicht offensiv die Auseinandersetzung mit seinen voraussichtlichen Widersacherinnen und Widersachern bei der Wahl, sondern entzog sich eher der Debatte unter dem Hinweis darauf, er habe Wichtiges zu tun.