Frankreich: Apathisches Wahlvolk, überschätzter Macron…

Seite 2: Macron und der Krieg

Dies kam einem Staatspräsidenten natürlich nicht grundsätzlich abgestritten werden, diente Macron jedoch monatelang als Generalentschuldigung, sich jeglicher politischer Zukunftsdebatte im Zusammenhang mit seinen Wahlkonkurrenten zu entziehen – während er in seiner Funktion als Staatschef zugleich Ankündigungen zu Themen wie Industriepolitik und Atomenergie tätigte und dadurch gewissermaßen Fakten schuf.

Ab dem Zeitpunkt, an dem die Spannungen zwischen Russland und der Ukraine ins Extreme anstiegen, steigerte sich auch dieses Herangehen Emmanuel Macrons. Am 07. und 08. Februar dieses Jahres reiste er nach Moskau und Kiew und hatte Unterredungen mit beiden dortigen Amtskollegen, vermochte es offenkundig jedoch nicht, Wladimir Putin von seinen aggressiven Vorhaben abzubringen.

Seitdem verhandelter er anderthalb Dutzende Male mit dem Präsidenten der Russischen Föderation direkt am Telefon, oft stundenlang. Nur stand er in entsprechendem Ausmaß für die innenpolitische Kontroverse nicht zur Verfügung.

Bislang schien ihm dies jedenfalls ein Teil des französischen Publikums nicht krummzunehmen, sondern stattdessen seine Bemühungen in der schweren internationalen Krise zu honorieren. Kriegssituationen begünstigen oftmals Amtsinhaber bei nationalen Wahlen, zeigt sich doch ein Teil der Wählerschaft beunruhigt über die Vorstellung, "mitten im Sturm den Kapitän zu wechseln".

Den entsprechenden politischen Effekt bezeichnet man in Frankreich auch als légitimisme, also Zur-Fahne-Gehen hinter den jeweils Regierenden. Macrons Wiederwahl schien nicht ernsthaft gefährdet.

Nun stellt sich die Frage, ob sich dies bis zum nun nahe bevorstehenden Wahltermin doch noch rächt. In den letzten Wochen bauten Emmanuels Unterstützungswerte in Umfragen, die kurz nach dem Ausbruch des Ukrainekriegs Höchstwerte bis zu gut 33 Prozent erreichten (gegenüber gut 25 Prozent vor Kriegsbeginn), kontinuierlich ab und gingen wieder ungefähr auf den Ausgangsstand zurück.

Die große Show

Macron und sein Umfeld setzten dabei fast ausschließlich auf einen Wahlkampf "von oben", also aus dem Präsidentenamt heraus, mit der durch die Amtsführung bedingten Medienpräsenz. Die einzige Ausnahme dabei bildete die Großveranstaltung am zurückliegenden Samstag (02. April) in der meist für Sportveranstaltungen genutzten Arena-Halle, die auf halbem Wege zwischen dem Pariser Geschäftsviertel La Défense mit ihren monumentalen Banken- und Konzernsitzen und der Trabantenstadt Nanterre liegt.

Die Räumlichkeiten bieten 30.000 bis 40.000 Sitzplätze, relevante Teile scheinen jedoch leer geblieben zu sein – jedenfalls posteten kritische Journalisten entsprechende Aufnahmen.

Drinnen gab es eine Moderation, die jener bei einem Rugby-Pokalspiel nachempfunden war, und Saalpyrotechnik. Inhalte jedoch weniger. Auch ein bürgerlicher und Macron-freundlicher Fernsehsender wie BFM TV merkte in einer Sendung zum Ereignis an, in Sachen Umweltpolitik sei keine neue Ankündigung erfolgt. Umwelt- und Klimaaktivisten vermochten es, die Veranstaltung kurzzeitig zu stören.

Ob das auf Dauer gut geht und ein breiteres Publikum zufriedenstellt – unter Besserverdienenden verfügt Macron durchaus über eine Basis, aber auch in der jüngeren Generation, die am Anfang ihres Berufslebens steht und sich noch weniger Sorgen um materielle Absicherung macht -, muss vorläufig dahingestellt bleiben.

...und die Sozialpolitik

Zumal Macrons Umgebung, als dann doch noch ein Minimum an Wahlprogramm vorgelegt werden musste – was am 17. März erfolgte - sich dafür entschied, ausgerechnet einige potenziell besonders polarisierende Aspekte herauszustreichen. Dies betrifft zunächst die drei R: also Renten"reform" und RSA (also Sozialhilfe).

Dazu zählt eine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters auf 65; es betrug seit den frühen achtziger Jahren mehrere Jahrzehnte lang sechzig und wurde seit der inzwischen bereits vor-vorletzten "Rentenreform" unter Nicolas Sarkozy 2010 auf mittlerweile 62 angehoben.

Dies bedeutet jedoch nur, dass man unterhalb dieser Schwelle nicht oder nur mit Strafbeträgen in Rente gehen darf. Da daneben aber auch eine stetig wachsende Zahl an Beitragsjahren (bis in den neunziger Jahre: 37,5 und derzeit 42,5) erforderlich ist, wird de facto länger arbeiten, wer aufgrund fehlender Beitragsjahre mit Abzügen rechnen muss.

Unklar bleibt bei Macrons letzter Ankündigung, auf welche Zahl er die abgeforderten Beitragsjahre anheben will. Bei der 2019/20 kurz vor ihrer Einführung stehenden "Reform", gegen die sich massive Streiks richteten und die letztlich lediglich wegen des Beginns der Corona-Pandemie aufgegeben wurde, war eine Anhebung des Eintrittsalters auf 64 (jetzt ist gar von 65 die Rede) und die der Zahl an Beitragsjahren auf 44 geplant.

Es ist eindeutig, dass auch der jetzt im Wahlkampf angesprochene, mit Ausnahme der Zahl "65" weitgehend verklausuliert bleibende Plan ausgesprochen unpopulär ist. Mitte März dieses Jahres erklärten sich 69 Prozent der Befragten dagegen.

Gegenleistung für Sozialhilfe?

Eine weitere Maßnahme, die Macron zugleich ankündigte, ohne ihren Inhalt näher auszuführen, beinhaltet die Einführung einer Zahl gemeinnütziger Arbeitsstunden für Empfänger/innen des RSA, also der französischen Sozialhilfe; Macron nannte zunächst 15 bis 20 Wochenstunden als "Gegenleistung". (Bislang handelte es sich um einen Rechtsanspruch, sofern die Voraussetzungen für die Gewährung vorlagen, welcher nicht an Gegenleistungen gekoppelt war.)

Dies klang zunächst, während die genaueren Modalitäten weitgehend umwölkt blieben, stark nach der Einführung eines französischen Äquivalents zum deutschen System der Ein-Euro-Jobs für Hartz-Betroffene. Zwischenzeitlich war auch von einer Bezahlung bei sechs bis sieben Euro pro Stunde die Rede.

Aufgrund der negativ geprägten Reaktionen stellte Macron jedoch daraufhin klar, "nein, nein", er denke in Wirklichkeit an eine Bezahlung aller geleisteten Arbeitsstunden "nach dem gesetzlichen Mindestlohn" (jener beträgt zwischen zehn und elf Euro brutto), und er fügte hinzu, er sei "nicht für Sklaverei".

Dann würde es sich allerdings eher um die Vermittlung in Teilzeitarbeitsplätze denn um obligatorische Arbeitsstunden als Gegenleistung für Sozialhlfe handeln. Insgesamt klingt dies alles bislang lediglich nach taktischem Herumeiern in Zeiten unmittelbarer Wahlvorbereitung.

Nicht auszuschließen ist, dass sich dies noch rächt, wenn vor allem im Hinblick auf die Stichwahl eine Verbreiterung über Macrons Besserverdienenden-Basis hinaus erforderlich wird. Zumal die McKinsey-Affäre, ein Skandal, bei dem es um die zunehmende Auslagerung politischer Entscheidungen im Staatsapparat auf fürstlich vergütete private Beraterfirmen mit ihren technokratischen Rentabilitätskriterien geht, noch ihre Nachwirkungen zeitigen dürfte.

Ein Artikel eines französischen Wochenmagazins bezeichnete ihre politische Wirkung auf die Macron-Kampagne in diesen Tagen als "schleichendes Gift".