Frankreich: Nationalversammlung stimmt für Gesetzentwürfe gegen "Fake News"
Kritiker fürchten unangemessene Zensur und Unterlassung legitimer Äußerungen aus Angst
Heute früh stimmte die Präsidentenmehrheit in der französischen Nationalversammlung in erster Lesung für zwei Gesetzesentwürfe der Regierung zur Bekämpfung falscher Nachrichten - auf Französisch "fausses nouvelles" - in Wahlkämpfen. Konkret erzeugen diese "Gesetze für die Vertrauenswürdigkeit und Verlässlichkeit der Information" eine neue Rechtsgrundlage, mit der politische Parteien oder einzelne Kandidaten in den letzten drei Monaten vor einer Wahl Eilklagen gegen Verantwortliche in Unternehmen oder Einzelpersonen einlegen können, denen sie vorwerfen, Unwahrheiten zu verbreiten. Gibt ein Gericht so einer Eilklage statt, droht einem Beklagten eine höchstens einjährige Freiheitsstrafe und eine Geldstrafe in Höhe von bis zu 15.000 Euro.
Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hatte das im Februar erstmals vorgestellte Vorhaben bereits im Januar angekündigt. Aus dieser Ankündigung ging hervor, dass ihm die Gesetze auch ein persönliches Anliegen sind, weil während seines Präsidentschaftswahlkampfs unter anderem über ein dem französischen Fiskus verborgenes angebliches Konto auf den Bahamas und eine von ihm ebenso dementierte heimliche Homosexualität berichtet wurde. Es könne, so Macron damals, "nicht angehen, dass Propaganda über tausende von Konten in sozialen Netzwerken in allen möglichen Sprachen verbreitet wird, darunter Lügenmärchen, die Politiker, Prominente oder Journalisten in den Schmutz ziehen" (vgl. Macron bläst zum Angriff gegen Fake-News im Wahlkampf).
Bisherige Tatbestandsvoraussetzung Störung des öffentlichen Friedens
Einen bereits seit dem 29. Juli 1881 gültiger Artikel 27 des französischen Pressefreiheitsgesetzes (loi sur la liberté de la presse), der falsche Tatsachenbehauptungen aktuell mit 45.000 Euro Strafe bedroht, sahen Macron und seine Regierung dazu nicht als ausreichend an. Er enthält nämlich die Tatbestandsvoraussetzung, dass durch die falsche Behauptung der "öffentliche Friede gestört wird" (vgl. Frankreich: Neues Gesetz gegen Fake News).
Kritiker der neuen Gesetze, die ohne diesen Tatbestand auskommen, sehen in der geplanten geänderten Rechtslage keinen "Schutz der Demokratie" (mit dem die französischen Kulturministerin Francoise Nyssen das Vorhaben begründete), sondern eine Gefahr, die zu unangemessener Zensur und zur Unterlassung legitimer Äußerungen aus Angst führen wird, weil die Definition einer falschen Nachricht als "jede unzutreffende oder irreführende Behauptung oder Beschuldigung, die im Wahlkampf verbreitet wird" sehr umfassend ist.
CSU könnte ARD verklagen
Wären entsprechende Gesetzentwürfe beispielsweise in Bayern am Sonntag in Kraft gewesen, und würden sie nicht drei, sondern vier Monate vor einer Wahl abdecken, dann könnte die CSU den ARD-aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke verklagen, weil dieser in den Tagesthemen einen bloß angedrohten Rücktritt des CSU-Vorsitzenden und Bundesinnenministers Horst Seehofer wie eine bereits vollzogene Tatsache darstellte. Auch andere ARD-Verantwortliche wären potenziell von so etwas betroffen, weil sie kurz vorher von angeblichen Migrationsabkommen Angela Merkels mit Tschechien, Ungarn und Polen berichtet hatten, die von diesen Ländern nacheinander dementiert wurden.
Andererseits haben Gerüchte tatsächlich das Potenzial, Schaden anzurichten, wie aktuell mehrere Fälle von Lynchjustiz in Indien zeigen, bei denen unwahre Behauptungen über angebliche Kindesentführer eine zentrale Rolle spielten. Diese Behauptungen wurden über WhatsApp verbreitet - einen Dienst, der in der ehemaligen britischen Kolonie über 200 Millionen angemeldeten Nutzern hat. Die Facebook-Tochter kündigte wegen dieser Lynchmorde heute an, künftig enger mit den indischen Behörden zu kooperieren und im Bedarfsfall das Weiterleiten von Nachrichten in WhatsApp-Gruppen zu unterbinden.
Allerdings haben Gerüchte diese Macht nicht erst, seit es Social-Media-Dienste gibt. Das fiel dem griechischen Philosophen Hesiod bereits im 7. Jahrhundert vor Christus auf, weshalb er meinte, auch ein Gerücht könnte ein "Gott" sein (vgl. Die Magie der Bewerbung).
Außer dem Anti-Fake-News-Gesetzentwurf ließ der französische Ministerpräsident Édouard Philippe noch einen Anti-Hate-Speech-Gesetzentwurf ausarbeiten. Für ihn, so Philippe dazu, müsse nämlich alles, was in Frankreich verbreitet wird, "den Gesetzen der Republik gehorchen" (vgl. Frankreich: Mit schärferen Gesetzen gegen Hass im Netz). Auch damit bekämen deutsche Akteure womöglich Probleme. Zum Beispiel der christdemokratische Stuttgarter Landeslandwirtschaftsminister Peter Hauk, der dem christsozialen Bundesinnenminister Horst Seehofer im SWR vorwarf, "einen Sparren weg" zu haben.
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