Frankreich: Säkularismus schlägt Separatismus?
Seite 2: Das Gesetz gegen den Separatismus
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Dieser hörte zunächst auf den Arbeitstitel "Gesetz gegen den Separatismus", womit sinngemäß das Streben nach im Deutschen so bezeichneten Parallelgesellschaften gemeint war. Diese Vorstellung kam im Laufe des Oktober ins Gerede, als Innenminister Gérald Darmanin in Reaktion auf den dschihadistisch motivierten Mordanschlag auf den Lehrer Samuel Paty der Öffentlichkeit mehr oder minder kuriose Vorschläge unterbreitete, im Namen des Ansinnens, solch "separatistische Tendenzen" zu bekämpfen.
Dazu zählte, dass er in einem TV-Interview vier Tage nach dem Mord kritisierte, dass es "eigene Abteilungen in Supermärkten für Halal- und für koschere Speisewaren" gebe - was erst einmal in keinem Zusammenhang zu von Dschihadisten ausgeübter Gewalt steht. Zu den ungelösten Widersprüchen gehörte dabei, dass Darmanin diese Warenagebote im Namen einer vorgeblichen Vorstellung von Universalismus angriff; doch als Lösung eigene, getrennte Geschäfte für Halal- und Koscher-Essen favorisierte.
Seitdem wurde der Projektname "Gesetz gegen den Separatismus" offiziell aufgegeben und durch den neuen Titel "Gesetz zur Bestärkung republikanischer Grundsätze" ersetzt. Eine rein formale Änderung, die wiederum sogleich von rechter Seite angegriffen wurde, wo man sich beeilte, dem Regierungslager vorzuwerfen, es weiche dem Feind gegenüber bereits symbolisch zurück.
Aber was enthält der Gesetzentwurf denn nun eigentlich genau?
Grundsätzlich kann man ihn als Kraut-und-Rüben-Text bezeichnen, indem unterschiedliche Aspekte miteinander vermengt werden. Einige von ihnen antworten auf durchaus reale Probleme, manche könnte man - getrennt vom Rest - sicherlich auch sinnvoll diskutieren. Andere wiederum gehorchen innenpolitischen, wahlpolitisch motivierten, ideologischen und auf "Bedrohungsgefühle" in der Stimmbevölkerung antwortenden Motiven.
Zu den wichtigsten Weichenstellungen zählt eine stärkere staatliche Aufsicht über das Vereinswesen, wobei die "associations" im französischen Recht im Deutschen einem gemischten Spektrum aus Berufs- und Freizeit-Vereinen, Bürgerinitiativen, Sport- oder Kulturvereinigungen und ähnlichen Strukturen entsprechen würden. Künftig müssen diese sich dem Staat gegenüber auf den "Respekt republikanischer Werte" verpflichten; darauf baut auch die eingangs zitierte Kritik etwa der Freidenkervereinigung auf.
Eine entscheidende Frage wird dabei jedoch auch sein, was man nun genau unter die zu respektierenden "Wertvorstellungen" fasst. Zählt man dazu ausschließlich Grundprinzipien wie den Schutz der Menschenwürde, könnte man daran zunächst keinen Anstoß nehmen. Die Befürchtung lautet jedoch, dass Regierung und Behörden auch andere, viel weitergehende Vorstellungen mit darunter packen, die darauf hinauslaufen würden, zivilgesellschaftliche Strukturen auf Staatstreue einzuschwören.
Zum Vergleich: Im französischen Arbeitsrecht sind Gewerkschaften seit dem Tarifgesetz vom 20. August 2008 nunmehr ihrerseits zum "Respekt republikanischer Werte" verpflichtet. Prompt kam es vor Arbeitsgerichten zu Versuchen etwa von Arbeitgeberseite, linke Basisgewerkschaften wie SUD, die eine Art von Selbstverwaltungssozialismus (keineswegs stalinistischer Bauart) anstrebe oder die kleinere anarcho-syndikalistische CNT mit dem Vorwurf mangelnder Republiktreue zu disqualifizieren und dadurch vom Verhandlungstisch zu verbannen.
Bislang drangen solche Versuche auf juristischer Ebene nicht durch. Nichts garantiert jedoch, dass eine autoritärere Auffassung vom Respekt republikanischer Werte die Oberhand gewinnt und ihrerseits zum Ausgrenzungsinstrument wird.
Im Visier: Der Heimunterricht
Ein zweiter wichtiger Aspekt betrifft das öffentliche Schulwesen. Dabei geht es nicht etwa darum, das - überwiegend katholisch ausgerichtete, und tatsächlich erhebliche Privilegien genießende und zahlungspflichtige - Privatschulwesen, das von circa zwanzig Prozent der französischen Schülerinnen und Schüler eines Jahrgangs besucht wird, einzuschränken. Dieses steht vielmehr außer Frage und, auch wenn das geplante Gesetz allgemein formuliert wurde, um Diskriminierungsvorwürfe zu vermeiden, so zielt es doch de facto ausschließlich auf muslimische Einflüsse.
Im Visier steht hier konkret der Heimunterricht, den rund 0,5 Prozent der französischen schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen in ihren Familien erhalten. Die Ausgangsgründe dafür sind vielschichtig. Dazu zählen die beispielsweise die Situation von Heranwachsenden mit körperlichen oder gesundheitlichen Beschwerden, diejenige von Familienmitgliedern der Zirkusmitarbeiter und anderen reisenden Berufsgruppen, die Situation der intensiven Hochleistungssport betreibenden Jugendlichen - bei denen der Tagesablauf nicht mit einem regulären Schulbetrieb zu vereinbaren wäre -, aber sicherlich machen auch Anhänger beispielsweise christlich-fundamentalistischer Sekten von dieser Möglichkeit Gebrauch.
Im letzteren Fall ginge es darum, von Elternseite her zu verhindern, dass die Heranwachsenden etwa mit den Inhalten von Sexualkundeunterricht oder Evolutionslehre in Berührung kommen; oder sie sollen dies jedenfalls so spät wie möglich, wenn es Prüfungen vorzubereiten gilt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses eher aus dem freikirchlichen Milieu bekannte Phänomen auch für salafistisch orientierte Eltern von Interesse ist.
Nun wäre nichts dagegen einzuwenden, in solchen Beispielen das Interesse der Kinder über die Ideologie der Eltern zu stellen und darauf zu pochen, dass deren Nachwuchs nicht ihr "Eigentum" ist. Allerdings beschränkt sich die Realität des Heimunterrichtswesen keineswegs auf solche extremen Fälle. Vielmehr fallen zum Beispiel auch Jugendliche, die durch Mobbing oder andere traumatisierende Sozialkontakte beim regulären Schulbesuch beeinträchtigt wurden, darunter; ebenso Kinder und Heranwachsende mit autistischen Tendenzen. Die Regierung bereitet nunmehr, setzt sie ihr Gesetzesvorhaben wie geplant um, einen Kahlschlag auf diesem Gebiet vor.
Nur noch in nachgewiesenen medizinisch indizierten Fällen sowie bei Intensivsportlerinnen sollen Ausnahmen ermöglicht werden. Kinder mit Sozialisierungsschwierigkeiten oder Mobbingproblemen, jedenfalls so lange diese nicht durch Gerichtsurteile anerkannt wurden, dürften dabei außer Betracht bleiben.
Zentralstaatliche Eingriffe
Zum Dritten ermöglicht der Entwurf auch stärkere zentralstaatliche Eingriffe in öffentliche Dienstleistungen, die etwa durch Kommunen erbracht werden. Trifft der zuständige örtliche Dienstleistungsträger Entscheidungen, die als Verstoß gegen republikanische Prinzipien gewertet werden, soll dann künftig der Präfekt (als juristischer Vertreter des Zentralstaats in jedem der 101 Verwaltungsbezirke oder Départements) direkt in die Verwaltung eingreifen dürfen.
Bislang übt er nur eine Rechtsaufsicht aus, die es ihm erlaubt, gesetzwidrige Beschlüsse - liegt etwa eine Veruntreuung öffentlicher Gelder vor - dem Verwaltungsgericht zur Kontrolle vorzulegen. In Zukunft könnte der Repräsentant des Zentralstaats unter Umständen in viel weiter gefächerter Weise in örtliche politische Entscheidungen eingreifen.
Wenn er diese vor einem Verwaltungsgericht anficht, kommt dieser Entscheidung "aufschiebende Wirkung" (un effet suspensif) zu, das bedeutet, die Beschlüsse örtlicher Dienstleistungsträger bleiben bis zu einem rechtskräftigen Gerichtsentscheidung ausgesetzt und finden keine Anwendung.
Frauen im Schwimmbad; Imam-Ausbildung
Als Beispiel zitiert werden Beschlüsse von Kommunen, die in Schwimmbädern für Frauen reservierte Öffnungszeiten zulassen. Dies, so lautet die Argumentation, werde von Islamisten oder konservativen Muslimen als Vehikel genutzt, um eine Geschlechtertrennung einzuführen und keine männlichen Blicke auf Frauenkörper zuzulassen. Zwar werden solche Angebote, wo vorhanden, auch durch konservativ eingestellte muslimische Frauen in entsprechendem Sinne genutzt.
Aber auch durch andere Frauen wird dies mitunter tendenziell als eine Befreiung von störenden Blicken erlebt. In den letzten Jahren wurde dieses Phänomen jedoch in der politischen Debatte meistens, mindestens grob vereinfachend, unter "islamistischen Druck" subsumiert.
Das Regierungslager will auch für eine stärker in Frankreich erfolgende Imam-Ausbildung (statt in den Herkunftsländern vieler muslimischer Migranten) sorgen, eine Ankündigung, die in den letzten anderthalb Jahrzehnten jedoch periodisch von allen aufeinander folgenden Regierungen kam und dann wieder in Vergessenheit geriet. Arabischunterricht für Kinder, in deren Familien arabische Dialekte als Herkunftssprache praktiziert werden, soll stärker an staatliche Schulen verlagert werden, um nicht im unkontrollierten Bereich von Kulturvereinigungen und Koranschulen zu erfolgen.
Letzterer Punkt trägt dem Regierungslager wiederum Druck von rechts ein, wo, wie von dieser Seite zu erwarten war, gebetsmühlenartig der Vorwurf eines Beitrags zur Überfremdung erhoben wird.
Alles in allem sind die Einzelvorschläge in manchen Unterpunkten wohl diskutierbar, es überwiegt jedoch eine repressive Tendenz, die sich in das derzeitige Gesamtklima einfügt. Von dschihadistischen Tätern in den letzten Monaten ausgeübte Gewalt lässt dieses Klima noch aufgeladener wirken, ist jedoch nicht die Ursache dafür; umgekehrt droht es die dschihadistische Ideologie, die sich ja auch darauf beruht, Muslime könnten von Nichtgläubigen keinerlei Solidarität erwarten, weiterhin zu alimentieren.