Franziska Giffeys Putsch gegen die Wähler

Bild: Sandro Halank, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0

Eigensinn statt Gemeinsinn: Verhindern die Mitglieder noch die Selbstzerstörung der Berliner SPD? Kommentar.

Die CDU passt nicht zu Berlin und nicht zur SPD.

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Es war einer der treffendsten Schlagzeilen der letzten Wochen: "Die Sarah Wagenknecht der SPD" – lassen wir einmal dahingestellt, inwieweit dies der Politikerin der Linken gerecht wird.

Aber was der taz-Autor Uwe Rada damit sagen wollte, ist klar: Bei Franziska Giffey handelt es sich um eine Politikerin, der ihre Karriere, ihr eigenes Ego und der Narzissmus der öffentlichen Aufmerksamkeit wichtiger ist als politische Positionen und das Wohl der Partei und des Landes. Im Gegenteil nimmt Franziska Giffey zurzeit sehenden Auges den Untergang der Berliner SPD im Kauf.

Die neue Koalition repräsentiert weniger Wähler als die alte

Für viele Berliner Wähler und manche politische Beobachter ist die kommende Große Koalition in Berlin ein Putsch gegen die Wähler. Denn das Ergebnis der Berliner Wahl vom 12. Februar ist keineswegs so eindeutig, wie es Giffeys SPD und viele der politischen Kommentatoren vorgeben.

Nach der Wahl lautetet der Medien-Tenor: Rot-Rot-Grün sei abgewählt, Wahlsieger sei der Spandauer Versicherungskaufmann Kai Wegner, der im Wahlkampf noch über den "Mehltau" der SPD gesprochen hatte.

Denn genau genommen haben 49 Prozent (18,4; 18,4; 12,2) der Wähler für die Fortsetzung von Rot-Rot-Grün gestimmt und nur 28,2 Prozent, also ein gutes Viertel der Wähler, für die CDU und einen neuen Bürgermeister Wegner. Die Mehrheit der neuen Regierung ist knapper als die Mehrheit, die eine Fortsetzung von Rot-Rot-Grün haben würde. Die neue Koalition repräsentiert weniger Wähler als die alte.

Man wird in der Bundesliga auch nicht deshalb schon Meister, weil man im Vergleich zur Vorsaison ein paar Punkte gegenüber dem FC Bayern aufgeholt hat. Genau so aber argumentieren seit der Wahl die Kommentatoren interessierter Verlagshäuser und die Öffentlichkeit schluckt es kritiklos.

Giffeys Prinzipienlosigkeit, Helmut-Kohl-Platz und Religionsunterricht für Berlin

Ohne Frage hat die SPD manchmal ein Problem mit Politikern, die Realitätsbezug haben und flüchtet sich, solange es geht, gern in plumpen Utopismus. Doch es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen einem Realpolitiker wie Olaf Scholz und einer Karrieristin wie Franziska Giffey. Er lautet: Giffey verliert Wahlen, weil ihr der Karrierismus allzu sehr anzusehen ist. Scholz gewinnt Wahlen, weil er für Prinzipien steht und im Gegensatz zu Giffey auch für eine ruhige Hand zwischen den Ideologen seiner Ampelkoalitionspartner.

Das Ergebnis von Giffeys Prinzipienlosigkeit steht jetzt im Koalitionsvertrag: Wichtige Dinge wie ein Helmut-Kohl-Platz und Religionsunterricht für Berlin, einen "Tag gegen Muslimfeindlichkeit", mehr Überwachung, mehr Autoverkehr, Fahrradwege werden nicht mehr ausgebaut und die bisherige Regelbreite von 2,30 m wird abgeschafft – mit anderen Worten: Fahrradfahrer, von denen es viele in Berlin gibt, haben es mit ständig verstopften Straßen und dem ausfallenden ÖPNV zu tun; all diese Fahrradfahrer leben in Zukunft gefährlicher.

Vor allem für die bislang fortschrittliche Berliner Verkehrspolitik ist der schwarz-rote Koalitionsvertrag ein Desaster.

Die sogenannte "Mobilitätswende" wird zwar mit engeren Takten und neuen Schienenstrecken für den ÖPNV garniert, auch neue Radwege werde es geben. Aber: "Wir wollen aber auch dafür sorgen, dass Menschen mit dem Auto auch noch in dieser Stadt ihren Platz haben", so Wegner.

Dazu kommen selbstverständlich Milliarden für den Klimaschutz, selbstverständlich Milliarden für den Wohnungsbau bzw. dessen Beschleunigung und für den Rückkauf von Wohnungen durch die Stadt, selbstverständlich eine Verwaltungsreform, sogar als Chefsache. Die kann Wegner in den kommenden dreieinhalb Jahren bis zur nächsten Berlin Wahl vorantreiben. Und immerhin wird es ein dauerhaftes 29-Euro-Ticket für den städtischen Nahverkehr geben.

Berlin ist ohnehin schon pleite, da kann man auch noch ein paar Schulden mehr machen, Krise ist in Berlin immer und die Rechnung bezahlen im Zweifelsfall die Parteien, die dann in dreieinhalb Jahren die Wahl gewinnen und Wegner zurück in seinem Spandauer Schrebergarten schicken.

Berlin ist vermüllt, unsicher, verstopft

"Beste Wünsche für Berlin" ätzte selbst die grundsätzlich erfreute FAZ, die aus ihrer ganz eigenen Perspektive vor allem die Finanzierung der vielen Koalitionspläne nicht sichergestellt fühlt.

Denn viele der echten Probleme bleiben auf der Strecke: Berlin ist vermüllt, Berlin ist unsicher, der Verkehr ist verstopft, in jeder Ecke gibt es Baustellen, manche von ihnen sind seit Jahren offen, und nichts davon wird angegangen.

In ihrem machtpolitischen Ehrgeiz tritt Franziska Giffey im Übrigen auf, wie eine Elefantin im Porzellanladen. Ihre Abrechnung mit Grünen und Linken, ihre folgenlosen und sinnlosen Polemiken gegen die alten Koalitionspartner werden die SPD noch einmal teuer zu stehen kommen, wenn Giffey längst als Innenministerin für Nancy Faeser ins Scholz-Kabinett aufgerückt ist.

In der neuen GroKo tun sich zwei Verlierer zusammen. Die CDU wird ihr Image einer piefig konservativen Spießer-Partei nicht ablegen können, weil sie gerade in Berlin eben genau das ist. Zudem ist die CDU innerlich zerstritten, was nur im Augenblick, angesichts der vor allem durch Franziska Giffey zerstrittenen rot-rot-grünen Koalition nicht weiter auffällt.

Die Berliner SPD zieht es vor, fünf Senatorenposten zu bekommen und dafür auf das Amt des Regierenden Bürgermeisters erstmals seit über 20 Jahren zu verzichten. Auch davon wird nur der politische Gegner profitieren.

Nur die SPD Mitglieder können Giffey und ihre Koalition noch stoppen: Es gibt Alternativen

Jetzt kann man nur noch auf die SPD Mitglieder hoffen. Nur sie können Giffey und ihre Koalition noch stoppen. Und es gibt Alternativen.

Inhaltlich die Fortsetzung von Rot-Rot-Grün oder der Weg in die Opposition. Und auch personell: Die SPD könnte mit einem klaren Votum gegen Franziska Giffey die tricksende Karrieristin aus dem Amt kegeln.

Mögliche Führungsfiguren der Zukunft wären zum Beispiel Eva Högl, die augenblickliche Wehrbeauftragte des Bundestags, langjährige Abgeordnete für Berlin-Mitte und erklärte Gegnerin der Berliner GroKo.

Die eigentlich beste Lösung aber liegt auf der Hand: Sie lautet Kevin Kühnert. Gerade er könnte glaubwürdig ein rot-rot-grünes Bündnis verkörpern und inhaltlich mit Leben füllen.