Französische Krankenhausärzte: "Schlimmer als während der Zeit der Terroranschläge"
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Bild: Pixabay License
Die Corona-Krise im Nachbarland trifft Macron "ins Herz". Die Fallzahlen klettern in die Höhe und das Statistikamt meldet eine Übersterblichkeit für das Jahr 2020
Die deutsche Kanzlerin Merkel verabschiedet sich im Herbst. Der französische Präsident Macron will bleiben, er will im April 2022 wiedergewählt werden. Das ist ein Unterschied. Gleich ist in beiden Ländern der Alarmzustand angesichts steigender Corona-Fallzahlen.
Macron steht mit dem Rücken zur Wand, seine aktuellen Umfragewerte sinken weiter, sogar unter Anhängern seiner Partei verliert er an Sympathie. Insgesamt sind laut Ifop 60 Prozent unzufrieden mit seiner Krisenbewältigung. "Macron ist in der Gefahrenzone", wird kommentiert.
Das Prestige, das seinem Amt zukommt, helfe ihm nicht mehr gegen die Ablehnung seines Krisenmanagements, stellt ein Ifop-Chef fest: "Von nun an wird er ins Herz getroffen". Macron verfolgt die Presse sehr genau, wie ein Hintergrundartikel berichtet. Dort geht es um Veränderungen der Besitzverhältnisse wichtiger französischer Medien und darum, wie es um die Einflussmöglichkeiten und Macrons steht.
Rechtsruck
Bemerkenswert ist daran nicht nur, inwieweit Milliardäre eine bedeutende Hintergrundposition in den französischen Medien einnehmen, was sich durchaus in der Berichterstattung zum Präsidenten widerspiegelt, das ist auch in der deutschen Öffentlichkeit bekannt. Weniger deutlich ist hierzulande, dass sich in den Medien ein Trend nach rechts, französisch "Droitisation", abzeichnet. Wie wird sich Macron darauf einstellen?
Sowohl in seinen innenpolitischen Marken, die er zuletzt gesetzt hat, dem "Kampf gegen Islamismus" und der Verstärkung der inneren Sicherheit, wie auch bei der Besetzung seines Kabinetts mit Sarkozy nahen Ministern, steuert auch Macron politisch nach rechts. Damit gerät er ins Revier seiner großen Konkurrentin Marine Le Pen, die derzeit leichteres Spiel hat. Auch Frankreich schneidet bei der Organisation des Impfens schlecht ab und die Anti-Corona Regelungen sind mindestens so unübersichtlich wie in Deutschland.
Der auffallende Unterschied zu Deutschland besteht darin, dass soziale Proteste im Nachbarland ziemlich schnell eine andere Dimension gewinnen können, die den Präsidenten ins Wackeln bringen können.
Neueste Meldungen zur Reform der Arbeitslosenversicherung, die eine Million Arbeitslose betreffen könnte, wie auch das viel debattierte Gesetz zur Reform der Inneren Sicherheit lassen erahnen, dass da mit den wärmeren Tagen neue Unruhe auf den Straßen entstehen könnte, größere Demonstrationen, die Medienaufmerksamkeit bekommen. Wie wird Macron politisch damit zurechtkommen, ohne Le Pen, die den Finger auf das Missmanagement legt, weitere Sympathien zuzuschanzen?
Gesundheitssystem: Versprechen, die nicht gehalten werden
Unter den Demonstranten fanden sich auch regelmäßig Pflegerinnen und Pfleger, Angestellte des Gesundheitssystems, die die Härte der Polizei ebenfalls zu spüren bekamen. Die Privatisierung des Gesundheitssystems ist auch in Frankreich durch die Corona-Krise zu einem Aufreger-Thema geworden, das auch konservative Medien skandalisieren.
Vor einiger Zeit veröffentlichte der Figaro einen Artikel neu, der ursprünglich im Oktober letzten Jahres erschien und aufzeigte, dass das Versprechen der Regierung, für mehr Intensivbetten zu sorgen, null eingehalten wurde. Geäußert wurde das Versprechen zum Höhepunkt der ersten Corona-Welle, die Frankreich härter traf als Deutschland. Dass die Anzahl der Betten aber nicht erhöht wurde, war dann in der zweiten Welle zu lesen.
Alarm im Großraum Paris
Jetzt in der dritten Welle äußern sich Vertreter von Krankenhäusern im Hochkrisengebiet Île-de-France, dem Ballungsraum Paris, alarmiert. Die Betten reichen nicht. Im Großraum Paris wird von einer Auslastung der Intensivbetten von 127,7 Prozent berichtet (FAZ).
"In unserer Notlage sind wir gezwungen, zwischen Patienten auszuwählen, um so viele Menschenleben wie möglich zu retten" heißt es in einem veröffentlichten Hilferuf von Krankenhausärzten in der Hauptstadtregion.
"1465 Covid-19-Patienten werden auf den Intensivstationen behandelt, in ganz Frankreich sind es insgesamt 4872 Patienten. Die Zahl der Infektionen steigt ununterbrochen, in den vergangenen 24 Stunden wurden 37.014 Neuinfektionen gemeldet", berichtete die FAZ gestern. Im Journal du Dimanche, das zur regelmäßigen Lektüre Macrons gehört, war ein drastischer Vergleich zu lesen, den die 41 Krankenhausärzte in ihrem Hilferuf äußerten. Sogar die ferne Hindustan Times nahm dies auf:
"Eine solche Situation haben wir nicht einmal während der schlimmsten Zeit der Terroranschläge erlebt."
Steigende Fallzahlen, Anstieg der Todeszahlen im Jahr 2020
Heute Morgen berichten die Gesundheitsbehörden von 4.974 Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen, womit der Gipfel der zweiten Welle im Herbst überschritten werde und von einer Inzidenz von 640 Fällen pro 100.000 Einwohner im Großraum Paris. 57 von insgesamt 101 Départements haben eine Inzidenz von über 250, die als Schwelle für den "maximalen Alarm" gelten. Am zehnten März zählte man noch 23 Départements über dieser Schwelle. 28.322 Corona-Infizierte sind derzeit in Krankenhäusern.
In der vergangenen Woche bewegte sich die Zahl der Infizierten zwischen 40.000 und 50.000. Gemeldet wurden in der vergangenen Woche 2.000 Corona-Tote in den Krankenhäusern und den Altenheimen (alle Angaben nach Informationen von Ouest-France, das sich auf amtliche Informationen beruft).
Das nationale Statistikamt Insée berichtete gestern davon, dass im Jahr 2020 in Frankreich 669.000 Personen gestorben sind und damit mehr als 9,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Einen solchen Anstieg habe es seit 70 Jahren nicht mehr gegeben.
Macron muss sich jetzt als Krisenmanager beweisen. Laut seiner engeren Umgebung hat er sich in den letzten Wochen das Wissen eines Epidemiologen angelesen (Covid-19 : Emmanuel Macron, le " président épidémiologiste").
Bislang ist das Land noch nicht in einem neuen Lockdown. Die Bremsen werden regional gezogen. Man wartet darauf, wie sich Macron entscheiden wird. Der Druck darauf, wieder einen Lockdown zu beschließen, ist beträchtlich.