Freie Hand für den Krieg
Immer unverhohlener übt die US-Regierung Druck auf die UN aus und gefährdet deren Glaubwürdigkeit so womöglich stärker als der Irak, Pentagonberater Perle fordert den Rücktritt von Schröder wegen seiner Kritik an der US-Regierung und Bush-Sprecher Fleischer ruft zum Mordanschlag an Hussein auf
Heute wird der von den USA und Großbritannien formulierte Resolutionsentwurf im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen diskutiert werden. Er soll es ganz offenkundig ermöglichen, die Hand frei zu haben, um mit Rückendeckung des Sicherheitsrates militärisch gegen den Irak vorzugehen. Die Waffeninspektionen und selbst das Thema der Entwaffnung erweisen sich immer ungeschminkter als bloße Rechtfertigung für das eigentliche Ziel des "Machtwechsels". Mittlerweile aber sind aufgrund des ihres Vorgehens die USA selbst zur primären Bedrohung für die Vereinten Nationen geworden.
Während Präsident Bush Zuhause unmissverständlich deutlich macht, dass ihm durch eine Irak-Resolution des Kongresses die Hände nicht gebunden werden sollen, droht die US-Regierung dem Sicherheitsrat mit einem Veto, wenn die geforderte scharfe Resolution, die den USA die Tür zum Militärschlag öffnet, nicht vor der Einreise der Waffeninspektoren in den Irak verabschiedet wird.
In Wien haben sich die UN und der Irak gestern auf die Wiederaufnahme der Waffeninspektionen auf der Grundlage der bestehenden Resolutionen grundsätzlich geeinigt. Den UN-Inspektoren werden auf vier CD-ROMs Dokumente über alle Anlagen übergeben, mit denen sich auch Waffen herstellen ließen, damit ein Überblick über das, was seit den letzten Inspektionen 1998 dort geschehen ist, möglich wird. Die irakische Regierung garantiert den UN-Inspektoren ungehinderten Zugang zu allen Orten, wie UN-Chefinspektor Hans Blix mitteilte. Eine Ausnahme stellen die sogenannten 8 weitflächigen Präsidentenpaläste dar, die nach einem Abkommen vom Februar 1998 nur unter bestimmten Bedingungen mit Vorankündigung und in Begleitung von Diplomaten besichtigt werden dürfen. Das Abkommen war eine Folge der berechtigten Vermutung, dass die Inspektorenteams durchsetzt waren mit amerikanischen und britischen Geheimdienstagenten. 1998 erfolgten Inspektionen aller dieser Orte, wobei man nichts Verdächtiges gefunden hatte. Allerdings hat man zuvor vieles weggeschafft, angeblich, so die irakische Regierung damals, wegen der drohenden Angriffe.
Die Übereinkunft zwischen UN und dem Irak, die das Entsenden der ersten Inspekteure noch Mitte Oktober ermöglicht, durchkreuzt allerdings die amerikanische Strategie, die auf eine neue Resolution setzt. Sie soll selbst bei kleinen Verstößen ein militärisches Vorgehen ermöglichen. Amerikaner und Briten verlangen nicht nur völlig ungehinderten Zutritt zu allen Orten, sondern an den Kontrollen sollen neben den UN-Mitarbeitern auch britische und amerikanisches "Experten" teilnehmen. Überdies soll jedes ständige Mitglied des UN-Sicherheitsrats Empfehlungen aussprechen können, welche Orte inspiziert werden sollen. Mit beiden Möglichkeiten hätten die britische und amerikanische Regierung jederzeit die Möglichkeit, Verstöße zu provozieren, um einen Militärschlag auszulösen. Zudem würden die UN-Kontrolleure nicht mehr unabhängig arbeiten.
Die Reaktion auf die Einigung zwischen UN und dem Irak war denn auch die Androhung eines Sprechers des US-Außenministeriums, die Inspektionen im Sicherheitsrat mit einer Vetopolitik zu behindern, sollten sie vor der neuen Resolution bereits starten. Ähnlich äußerte sich Außenminister Powell. Damit nimmt die US-Regierung in Kauf, dass sie selbst die durch ihren Druck zustande gekommene Wiederaufnahme der Inspektionen blockiert. Deren Missachtung hatte sie gerade dem Irak vorgeworfen und daraus abgeleitet, dass die UN aus Gründen ihrer Glaubwürdigkeit den Irak zur Einhalt der Verpflichtungen zwingen müsse. Das taktisch inszenierte, aber leicht durchschaubare Spiel mit Waffeninspektionen und Entwaffnung des Irak, während es ihr unverhohlen um den Sturz der Regierung geht, kann das Ansehen der US-Regierung auch nicht fördern.
Besonders günstig für das Image der US-Regierung dürfte auch nicht sein, dass Ari Fleischer, der Sprecher des Weißen Hauses, gestern eine Ermordung des irakischen Präsidenten zumindest gebilligt, wenn nicht dazu aufgerufen hat. Die USA hätten nichts dagegen, wenn das irakische Volk den Machtwechsel selbst besorgen würden, zumal die Kosten einer Kugel sehr viel günstiger wären als ein Krieg. Auf die Frage, ob er damit im Namen der Regierung zu einem Anschlag auf Hussein aufrufen will, sagte er lediglich: "Jeder Form des Machtwechsels ist willkommen."
Präsident Bush hingegen setzte noch einmal auf Druck, nachdem er bereits in seiner Rede vor der UN deutlich gemacht hatte, dass die US-Regierung mit oder ohne Unterstützung der Staatengemeinschaft gegen den Irak vorgehen werde. Diese Erpressung ließ er gestern noch einmal anklingen:
"Die UN müssen zeigen, dass sie ein Rückgrat haben. Und wir werden mit den Mitgliedern des Sicherheitsrates zusammenarbeiten, um ein wenig Kalzium in das Rückgrat zu bringen, so dass diese Organisation eher den Frieden wahren kann, wenn wir weiter gehen."
Rückgrat müsste nun an erster Stelle der Sicherheitsrat gegenüber der US-Regierung zeigen, um nicht in dem Sinne zu einem Papiertiger zu werden, dass er nicht nur als Vollstreckungsorgan für die amerikanischen Interessen auftritt. Gäbe der Sicherheitsrat der Forderung nach einer neuen Resolution uneingeschränkt nach, die der US-Regierung freie Hand für eine fast beliebig konstruierte Rechtfertigung zu einem Militärschlag bietet, so würde die UN zumindest auf absehbare Zukunft völlig unglaubwürdig. Gut wird der UN und damit der Sache des internationalen Rechts, des Friedens und der Demokratisierung auch nicht unbedingt tun, wenn der Widerstand neben Frankreich ausgerechnet auf Russland und China angewiesen ist.
Dass die gegenwärtige Regierung der Supermacht, die internationale Abkommen und Institutionen nur anerkennt, wenn es den eigenen Interessen entspricht, ihre Interessen immer weniger diplomatisch maskiert mit ihrer Macht durchsetzt, zeigt sich an der Forderung von Richard Perle, dass Bundeskanzler Schröder zurücktreten müsse, um das deutsch-amerikanische Verhältnis wieder herzustellen. Die Chance Deutschlands, einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat zu erhalten, sei "für eine Generation" zurückgeworden worden, sagte er dem Handelsblatt..
Perle, Vorsitzender des Defense Policy Board, der das Pentagon berät, kommt wie viele andere der Bush-Regierung aus der Zeit des Kalten Krieges, in der er bereits als Staatssekretär im Verteidigungsministerium in der Regierung von Ronald Reagan gewesen ist und für dessen "Abrüstungspolitik" zuständig war (vielleicht rührt seine Aversion aus der damaligen Zeit, als die Friedensbewegung in Deutschland noch stärker war). Er ist gilt als einer der schärfsten Falken, der für den Kriegskurs gegen den Irak steht und auch mit den entsprechenden Think Tanks vernetzt ist. Im Juli erregte ein Bericht des Defense Policy Board Aufsehen, in dem Saudi-Arabien als "das Zentrum des Bösen, die primäre Ursache, der gefährlichste Gegner" im Mittleren Osten bezeichnet wurde.
Schröder habe durch seinen Wahlkampf, so sagte Perle, "das Verhältnis zu einem engen Verbündeten so schnell und so schwer beschädigt", wie er dies noch niemals erlebt habe. Beschädigt heißt hier, dass Schröder zusammen mit Fischer abgelehnt hatte, dass sich Deutschland an einem Waffengang gegen den Irak militärisch beteiligt. Diese Kritik aus den Reihen der einst "uneingeschränkten Solidarität" kam natürlich dem Wahlkämpfer Bush, der mit seiner auf militärische Macht und auf Krieg setzenden Politik im eigenen Land und außerhalb auf wachsende Ablehnung stößt, nicht zupass. Perle spricht als seine "Privatmeinung" vermutlich nur aus, was man in der US-Regierung auch denkt, nämlich dass in der Entweder-Oder-Politik der Supermacht Diskussion und Kritik oder gar abweichende Positionen eigentlich nicht vorgesehen sind und sofort als unpatriotisch bzw. anti-amerikanisch disqualifiziert werden (was natürlich ebenso die Kritiker in den USA betrifft).
Perle macht ganz deutlich, wie strategisch diese Identifizierung der Kritik mit einem Anti-Amerikanismus eingesetzt wird, wenn er mehr oder weniger explizit die ewige Treue, Unterordnung und Kritiklosigkeit Deutschlands fordert. Schröder habe, so der Vorwurf, die Rolle der USA bei Befreiung Deutschlands von Adolf Hitler ebenso vergessen wie deren Hilfe beim Wiederaufbau und bei der Wiedervereinigung. Vasallentreue also ist gefordert.