Freie Software Rechtlich sicher?
Freie Lizenzen Juristisch wasserdicht, aber auf das amerikanische Recht zugeschnitten
Es ist erstaunlich, mit welchem Gottvertrauen europäische Risikokapitalgeber und Softwarefirmen viele Millionen Mark in den neuen Markt der Freien Software pumpen, ohne sich über die Rechtssicherheit im Umgang mit GNU/Linux und den anderen Freien Programmen zu sorgen. Man scheint sich sicher zu sein, dass die Verfasser der GNU General Public License, des Free BSD Copyright und der Mozilla Public License ihre Arbeit gewissenhaft erfüllt haben, so dass die Freiheit der Nutzung und Weiterentwicklung der Software in rechtlicher Hinsicht auf festem Boden steht. Dies hat zwar bislang kein Gericht der Welt bestätigt. Aber es wird schon gut gehen.
Fakt ist, dass die wichtigsten Freien Lizenzen in der Tat nach allen Regeln der Kunst juristisch wasserdicht konstruiert worden sind, dies gilt in besonderem Maße für die GNU General Public License, die für den gesamten Markt des Betriebssystems GNU/Linux die relevante Lizenz darstellt. Leider wird dabei nur allzu häufig übersehen, dass die Lizenz auf das US-amerikanische Recht zugeschnitten ist. Im europäischen Recht gehen die Uhren anders. Was jenseits des Atlantik in einer Lizenz in wirksamer Weise vereinbart werden kann, muss in Europa noch lange nicht genau so reibungslos funktionieren.
In juristischen Fachkreisen wird die Wirksamkeit der Lizenzen in Deutschland und Europa deshalb lebhaft diskutiert. Überwiegend werden die zentralen Bestimmungen als rechtlich bindend bewertet. In Einzelfragen bestehen aber durchaus Unstimmigkeiten zwischen dem Konzept der Freien Software und den Schutzvorschriften zugunsten des Urhebers, die sich im deutschen Urheber- und Vertragsrecht finden.
Amerikanisches und Europäisches Urheberrecht basieren auf unterschiedlichen Philosophien. Nach amerikanischer Lesart stellt das Urheberrecht ein Wirtschaftsgut dar. Es herrscht der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Wenn der Urheber seine Rechte an einem Werk vollständig übertragen möchte, so ist dies möglich.
In Europa stellt man sich das Urheberrecht zwar als Wirtschaftsgut, zugleich aber als Persönlichkeitsrecht des Urhebers vor, vergleichbar dem Recht am eigenen Bild oder der Privatsphäre. Deswegen finden sich im deutschen und im französischen Recht Vorschriften, die eine völlige Veräußerung des Rechts an einem Werk für unzulässig erklären. Schließt ein Urheber einen solchen Vertrag, so ist dieser ohne rechtliche Wirkungen. Verträge im Bereich des Urheberpersönlichkeitsrechts sind nur unter engen Voraussetzungen möglich. Die für alle Freien und Open Source Lizenzen typische Freiheit der Nutzer, die Software wie es ihnen beliebt umzugestalten, stellt ein solches Rechtsgeschäft über das Urheberpersönlichkeitsrecht dar. Hier bestehen Reibungspunkte zwischen den Lizenzen und dem europäischen Urheberrecht.
Gesetzentwurf pro Freie Software
Die Vertragsfreiheit in Europa ist jedoch noch aus einem weiteren Gesichtspunkt eingeschränkt. Das Urheberrecht verfolgt den Grundgedanken, den Urheber vor zu weitgehenden, nachteiligen Verträgen zu schützen. Bereits das gegenwärtige Recht ist durchsetzt mit Regelungen, die pauschale Übertragungen der vermögenswerten Rechte über das Werk einschränken. Der jetzt vom Bundeskabinett verabschiedete "Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern" ist in diese Tradition einzureihen (Justizministerin kämpft gegen die Entrechtung der Kreativen).
Bemerkenswert ist, dass der Entwurf die Gelegenheit wahrgenommen hat, die Konfliktflächen zwischen europäischem Urheberrecht und "Copyleft" nicht noch weiter zu vergrößern. Der Kabinettsbeschluss stellt den ersten Gesetzentwurf in Deutschland dar, der sich den Sorgen und Einwendungen der Freien Software-Szene angenommen hat. Bei den augenblicklichen Mehrheiten im Parlament erscheint eine Verabschiedung als durchaus wahrscheinlich.
Was sieht der Entwurf im Einzelnen vor? Zentral ist die in § 32 UrhG (Entwurf) vorgeschlagene Regelung. Danach soll der Urheber künftig einen gesetzlichen Anspruch auf "angemessene Vergütung" gegenüber all denjenigen haben, die sein Werk nutzen. Dieser Anspruch ist im Grundsatz als unverzichtbar ausgestaltet. Es ist unerheblich, wie nachteilig die Vertragsbedingungen im Einzelnen auch sind, die dem Urheber aufgenötigt werden. Sein Anspruch auf angemessene Vergütung ist durch gegenteilige Verträge nicht tangiert.
Die ursprüngliche Fassung des Gesetzentwurfs hatte keine Ausnahmen von der Vergütungspflicht vorgesehen. Für Freie Softwarelizenzen hätte dies zu erheblicher Rechtsunsicherheit geführt. Auch wenn die Verfechter der Freien Software nicht müde werden zu erklären, dass Freie Sofware mehr als "Gratissoftware" bedeutet, so muss doch festgehalten werden, dass der Verzicht der Urheber auf Lizenzgebühren eine der zentralen Eigenschaften und Erfolgsmotoren der Freien Software darstellt. Was nun aber wenn ein Programmierer seine Software einer Freien Lizenz unterstellt, um dann später seinen "gesetzlichen Vergütungsanspruch" gegen Distributoren und Nutzer geltend zu machen? Die Folgen wären fatal, das Modell Freier Software insgesamt in Frage gestellt.
Diese Gefahren hat man auch im Bundesjustizministerium gesehen und sich zu einer Ausnahmevorschrift für Freie Software durchringen können. In den Gesetzentwurf wurde eine Ausnahme vom gesetzlichen Vergütungsanspruch für Freie Software und sonstigen "Open Content" aufgenommen: "Auf den Anspruch auf angemessene Vergütung kann im voraus nicht verzichtet werden, soweit der Urheber nicht jedermann unentgeltlich ein einfaches Nutzungsrecht einräumt." Die Formulierung geht auf eine Stellungnahme (PDF-Datei) des Instituts für Rechtsfragen der Open Source Software zurück. Erfasst sind dadurch alle Freien und Open Source Lizenzen. Der Fortbestand der Lizenzgebührenfreiheit ist scheint einstweilen gesichert.
"Deutsche GNU General Public License"?
Hat diese Initiative des Gesetzgebers Modellcharakter, werden dann weitere Anpassungen des Urheberrechts an die besonderen Anforderungen Freier Lizenzmodelle durchzusetzen sein? Dies ist zwar möglich, aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt wenig wahrscheinlich. Das Freie Software-Lager wäre deswegen schlecht beraten, sich zurückzulehnen und dem Gesetzgeber die Verantwortung für die Beseitigung der restlichen Unstimmigkeiten zu zuschieben.
Auf der Seite der Free Software Foundation findet sich seit kürzerer Zeit die Ankündigung, man werde in Zukunft die Erstellung von speziellen Versionen der GNU General Public License, die auf die Bedürfnisse eines Landes zugeschnitten sind, unterstützen. Diese Lizenzen sollen in der jeweiligen Landessprache eine behutsame Anpassung der Lizenzvorschriften an die Regelungen des jeweiligen nationalen Rechts mit sich bringen. Die Initiative ist wichtig, ließen sich doch durch eine bindende deutschsprachige Version mit einigen, unvermeidlichen Anpassungen an das hiesige Recht die bestehenden Reibungen weitgehend beseitigen.
Die Free Software Foundation Europe hat in Frankreich mit den Arbeiten an einer solchen Lizenz bereits begonnen. Am 4. Juli findet in Bordeaux ein Treffen französischer und amerikanischer "Copyleft"-Juristen statt, um über den gegenwärtigen Stand der Arbeiten zu verhandeln.