Justizministerin kämpft gegen die Entrechtung der Kreativen
Die Bundesregierung will die Stellung der Freiberufler gegenüber der Medienindustrie stärken
Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin hat gestern in Berlin den Entwurf für ein Urhebervertragsrecht vorgestellt, der die Stellung der Kreativen gegenüber den Verwertern ihrer Werke stärken soll. "Kreativität muss sich lohnen", betonte die SPD-Politikerin immer wieder auf der Bundespressekonferenz. Daher will sie die "strukturelle Unausgewogenheit" zwischen freien Urhebern wie Künstlern, Autoren, Übersetzern, Journalisten oder Fotografen auf der einen und Verlegern, Filmproduzenten und -verkäufern oder anderen Abnehmern auf der anderen Seite "rechtsstaatlich ausgleichen".
Kern des Entwurfs, der laut Däubler-Gmelin die "lange versprochene und von Gerichten angemahnte" Ergänzung des aus der Mitte der 60er Jahre stammenden Urheberrechtsgesetzes (UHG) darstellt, ist die Verankerung des gesetzlichen Anspruchs der Kreativen auf eine angemessene Vergütung ihrer Arbeit in Paragraph 32, Absatz 1. Die sei in den meisten Berufsgruppen und auch bei vielen Freiberuflern wie Rechtsanwälten oder Architekten "längst selbstverständlich" und teilweise sogar gesetzlich geregelt, stellte die Ministerin klar. Es sei daher überfällig, dass auch die rund 250.000 Kreativen in Deutschland von einer verbindlichen Vergütungsregelung profitieren.
Was genau unter der angemahnten angemessenen Vergütung zu verstehen ist, sollen die einzelnen betroffenen Branchen nach Vorstellung der Bundesregierung selbst in Gesprächen mit Verbänden von Journalisten oder Übersetzern aushandeln. "Branchenüblich" soll sie sein, so die Justizministerin, die sich ein "Optimum an Flexibilität" von dieser Form der Selbstregulierung verspricht.
Dem vorgeschlagen § 36 liegt die Erwartung zugrunde, dass es den Vertragspartnern über ihre Verbände gelingen wird, für beide Seiten befriedigende Vergütungsmodelle zu entwickeln. Die könnten aufgrund der Sachnähe zur Vielfalt der Bereiche und den unterschiedlichen Strukturen und Größen der Unternehmen in der Kulturwirtschaft Rechnung tragen und so die Akzeptanz unter den Betroffenen besser sicherstellen als gesetzliche Regelungen, heißt es im Erläuterungstext zu dem Entwurf.
Ganz zahnlos will der Gesetzgeber die Auflage zur gütlichen Einigung in tarifvertragsähnlicher Form allerdings nicht lassen. Wenn sich die Parteien nicht einigen können, müssen sie sich über ein Schiedsgericht - dabei kommt etwa das Deutsche Patent- und Markenamt in Frage - verständigen. Bis ein Schlichtungsspruch vorliegt, könnten notfalls auch Richter entscheiden, was unter "branchenüblich" zu verstehen sei, erläuterte die Justizministerin.
Sittenwidrige Verträge
Mit ihrem Vorstoß möchte Däubler-Gmelin alle Beteiligten dazu bringen, endlich darüber zu reden, wie viel Geld beispielsweise mit der Mehrfachverwertung von Inhalten über verschiedene Medienformate wie Film, Buch, CD und Online hinweg verdient wird. Bisher gehe dabei der eigentliche Urheber häufig leer aus. Die Ministerin zitierte dazu aus einem Honorarvertrag, mit dem sich ein Unternehmen aus der Medienindustrie mit der Bezahlung eines Hungerlohns die Rechte für die gesamte Verwertungskette zu sichern versucht.
Einer derartigen "vollständigen Entrechtung der Kreativen" will die SPD-Politikerin einen Riegel vorschieben. "Jede Nutzungsart - sei es nun in Form einer CD-Rom, eines Buches oder im Internet - muss selbstverständlich angemessen vergütet werden", betonte Däubler-Gmelin. Um diesen Anspruch geltend zu machen, seien "Verhandlungen auf gleicher Augenhöhe" notwendig. Die sollen mit Hilfe der Freien-Verbände ermöglicht werden.
Der Deutsche Journalistenverband (DJV) und die Abteilung IG Medien des Gewerkschaftskonglomerats ver.di begrüßten in einer ersten Stellungnahme den Referentenentwurf, den das Bundeskabinett angenommen hat, als "Sieg der Vertragsfreiheit der Kreativen über die seit Jahrzehnten geübte Praxis der Verwerter, einseitig Vertragsbedingungen zu diktieren". Endlich werde die Position der Urheber nachhaltig gegen "zum Teil sittenwidrige Verträge" der Verwerter geschützt.
Verlegerverbände sind empört
Die Verlage und die Filmgesellschaften hatten dagegen mit Hilfe ihrer Verbände den "Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern", wie er in voller Schönheit heißt, schon im Vorfeld heftig kritisiert. Wird der Entwurf wie geplant nach der Debatte im Bundestag Ende des Jahres oder Mitte 2002 Gesetz, müssen sie viele ihrer bisher geübten Praktiken umstellen. So übernehmen zahlreiche Verleger beispielsweise die für ein Zeilenhonorar für ihre Print-Publikationen erstandenen Texte der Freien einfach in ihre Online-Ausgaben, auf CD-Rom oder in Datenbanken. Derlei Nutzungsarten werden dabei häufig nicht gesondert bezahlt.
Einen Gegenvorschlag hatten der Bundesverband der Deutschen Zeitungsverleger (BDZV sowie der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) zusammen mit dem Börsenverein des deutschen Buchhandels und mehreren Fernsehsendern daher bereits Mitte April erarbeitet und direkt an Bundeskanzler Gerhard Schröder geschickt. Darin wehrten sich die Medienverbände gegen "Eingriffe in die Vertragsfreiheit und den Zwang zum Abschluss von Kollektivverträgen" (Der Streit um die Autorenrechte verschärft sich). Däubler-Gmelin wies dagegen heute darauf hin, dass "Vertragsfreiheit nur unter der Voraussetzung gleicher Stärke denkbar ist."
Sonderregelung für Open Source
Eine Ausnahmeregelung (Absatz 4 Satz 1) vom gesetzlichen Vergütungsanspruch lässt der Entwurf dann zu, wenn der Urheber jedermann pauschal unentgeltlich ein einfaches Nutzungsrecht einräumt. Die aufgenommene Einschränkung beugt damit nach Ansicht des Justizministeriums einer befürchteten Rechtsunsicherheit für "Open Source"-Programme und anderen "Open Content" vor. Im Bereich von Lizenzbeziehungen, bei denen der Urheber sein Werk der Allgemeinheit unentgeltlich zur Verfügung stellt, könne keine zu Lasten des Urhebers gestörte Vertragsparität und daher auch keine Missbrauchsmöglichkeit vorliegen.
Zur Frage, inwieweit das deutsche Urheberrecht die von Freeware-Lizenzen verlangte Freiheit zur Fortentwicklung eines Programms beeinträchtigen könnte, wollte sich Däubler-Gmelin nicht äußern. Sie habe nicht mit dem Vertragsrecht, sondern mit dem Persönlichkeitsschutz des Urheberrechts zu tun.
Der Gesetzgeber trägt sich bereits seit mehr als drei Jahrzehnten mit dem Gedanken, eine gesetzliche Regelung des Urhebervertragsrechts umzusetzen. Vor einem guten Jahr hatten im Mai 2000 fünf anerkannte Wissenschaftler auf dem Gebiet des Urheberrechts - die Professoren Adolf Dietz, Ulrich Loewenheim, Wilhelm Nordemann und Gerhard Schricker sowie der Richter Martin Vogel - einen ersten Entwurf vorgelegt, der die Basis der Gesetzesgrundlage bildete. Die im "Professorenentwurf" vorgesehene Schadensersatzregelung für die widerrechtliche Verletzung des Urheberrechts wollte die Bundesregierung allerdings nicht übernehmen.