Freies Unternehmertum, zwei Frauenleichen und ein Blumenträger
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An einem einsamen Ort, Teil 2
Teil 1: Der American Dream zwischen Humphrey Bogart und Donald Trump
Heute auf dem Programm: Gloria Grahame wird ihre eigene Schwiegertochter - Mildred Atkinson und die "Schwarze Dahlie" - Captain Lochner moralisiert - Dixon Steele schaut sich Leichenphotos an - Joseph McCarthy entlarvt 205 Subversive - Mr. Baker baut Laurel Gray einen Swimmingpool und Nicholas Ray hängt ihr einen Rivera an die Wand - Henry Fonda spielt Kontrabass - Donald Trump findet einen Mentor - Audrey Hepburn erkennt ihr New York nicht wieder.
Böser Zauber
In a Lonely Place macht ernst mit der alten Weisheit, dass die Komödie die Schwester der Tragödie ist. Der Drehbuchautor Dixon Steele lockt die Garderobiere Mildred Atkinson unter dem Vorwand, dass sie ihm den Inhalt des Romans Althea Bruce erzählen soll, in seine Wohnung, um sie in sein Bett zu kriegen. Die Situation nimmt eine komische Wendung, als der Verführer durch Mildreds Naivität selbst in Bedrängnis gerät und sie lieber wegschickt, als noch mehr Details aus dem Buch hören zu müssen.
Beschwingt und begleitet von heiterer Musik durchquert Mildred den Innenhof der Wohnanlage und geht hinaus in die Nacht, wo der Tod auf sie wartet. Einmal werden wir sie noch sehen, als Leiche auf den Tatortphotos der Polizei. Ray hatte einen mitunter sardonischen Humor. Mit Mildred wird die einzige Figur im Film umgebracht, die Althea Bruce gelesen hat und davon begeistert war. Das ist eine radikale Absage an die Verlogenheit der Schmonzetten, mit denen die Unterhaltungsproduzenten das Eskapismusbedürfnis des Publikums bedienen.
Für Nicholas Ray war die Kamera ein Instrument der Wahrheitsfindung, nicht der Verschleierung. Einer der großen Romantiker Hollywoods war er auch. Bei ihm war die Romantik Teil seiner Kunst und der Hoffnung geschuldet, nicht dem Zynismus der Herz-Schmerz-Industrie. Von den schlechten Geschichten, die diese Industrie bevorzugt, kann ein Fluch ausgehen, sagt sein Film. Mel Lippman, Dix’ Agent, gibt sein Exemplar von Althea Bruce an Mildred weiter. Ihr Schicksal ist damit besiegelt wie im Märchen oder im Horrorfilm, wo einen der Teufel holt, wenn man ein verhextes Stück Papier annimmt.
Bevor wir etwas über den Inhalt des Romans erfahren erhalten wir die Information, dass Mildred den Schluss zuerst gelesen hat. Da stirbt Althea Bruce, als Folge eines Eifersuchtsdramas und einer Liebe, die den Partner ganz besitzen will. Für den weiteren Verlauf des Films ist das ein schlechtes Omen. Für Mildred bedeutet es den Tod. Ein paar Stunden, nachdem sie Steeles Wohnung verlassen hat, um fünf Uhr morgens, klingelt Brub Nicolai an der Tür. Dix wird aus dem Schlaf gerissen und gerät trotzdem in einen Albtraum. Er und Brub sind Kriegskameraden, aber ein Freundschaftsbesuch ist das nicht. Brub ist bei der Mordkommission und soll Dix aufs Revier bringen.
Jemand hat Mildred Atkinson erwürgt. Sie ist so tot wie die Heldin des Romans, den Dix seinem alten Freund beim Anziehen zuwirft. "Kürzlich ein gutes Buch gelesen?", fragt er spöttisch. Dabei wäre das gar nicht so dumm. Brub und sein Vorgesetzter, Captain Lochner, sollten Althea Bruce lesen, weil sie dann das Mordmotiv kennen würden (Eifersucht und die Liebe in ihrer besitzergreifenden Variante) und wüssten, wer der Täter ist. Dix ahnt gleich, dass Henry Kesler, Mildreds Verlobter, der Mörder ist und macht sich über die Polizisten lustig, die nicht genug Filme gesehen haben und darum den Fall nicht lösen können.
Kubus der Umstände
Wer sich jetzt ärgert, weil ich verraten habe, wer Mildred Atkinson getötet hat, darf sich beruhigen. Nicholas Ray interessiert sich so wenig für die Suche nach dem Mörder wie sein Held, der Drehbuchautor Dixon Steele, weil keiner von den beiden die übliche, sich auf ausgetretenen Pfaden bewegende Geschichte erzählen will. Das bedeutet nicht, dass die Charaktere des Films und die des darin nacherzählten Schundromans in gänzlich voneinander getrennten Welten agieren würden, wie schon das Ende von Mildred zeigt. Wer aber denkt, dass die Wirklichkeit eine Schmonzette ist, den bestraft das Leben.
Ray hat einen Film gedreht, der den Bereich zwischen Fiktion und Realität erforscht. Dix scheint sich ironischerweise nicht bewusst zu sein, dass sich Handlungselemente des Romans, über den er verächtlich die Nase rümpft, in der Liebesgeschichte spiegeln, die er selbst mit Laurel Gray erlebt, so wie sich Autobiographisches aus dem Leben der Beteiligten in der Filmhandlung widerspiegelt, von Humphrey Bogarts alias Dix Steeles Neigung zu Wutanfällen in Prominentenlokalen bis zum Scheitern von Rays Ehe mit Gloria Grahame, die ihr Echo im Scheitern der Liebesbeziehung zwischen Dix und Laurel fand.
So ist denn auch nicht immer klar, wo die Wirklichkeit aufhört und wo die Fiktion beginnt. Ray wollte einen Film über eine Beziehung machen, die unter äußeren und inneren Zwängen zerbricht. Parallel dazu erreichte die Ehe mit Gloria einen Tiefpunkt. Ray verließ das gemeinsame Haus in Malibu und übernachtete während der Dreharbeiten in einer Garderobe auf dem Columbia-Gelände. Weil niemand von der Ehekrise wissen sollte behauptete er, Probleme mit dem dritten Akt des Films zu haben und lieber im Studio an einer Lösung arbeiten zu wollen als jeden Abend nach Malibu zu fahren.
Die Geschichte ist in verschiedenen Versionen überliefert. Mir persönlich gefällt die am besten, in der Ray in den Kulissen übernachtet, im Schlafzimmer von Dixon Steele. Leider ist das Unsinn (und das Zimmer eine Illusion aus Studiowänden und Montage). Viele Freunde hat die Variante, in der Nick Gloria mit Tony, seinem damals 13-jährigen Sohn aus erster Ehe, im Bett erwischt und daraufhin wieder in sein altes Apartment in der Villa Primavera zieht, das man offenbar in den vergangenen Jahren für ihn freigehalten hatte. Knapp vorbei ist auch daneben. Ray kehrte nicht zurück in die Villa Primavera, sondern ließ sie in den Columbia-Studios nachbauen, damit die Filmfigur Dixon Steele und die von seiner Noch-Ehefrau Gloria Grahame gespielte Laurel Gray dort wohnen konnten.
1960 sorgte Gloria für einen Skandal, als sie einen erfolglosen Schauspieler namens Tony Ray heiratete, ihren ehemaligen Stiefsohn. Von Nick war sie seit 1952 geschieden. Er war jetzt ihr Ex-Gatte und außerdem ihr Schwiegervater, bis sie sich auch von Tony scheiden ließ. Zwischen den Ehen mit Vater und Sohn Ray war sie drei Jahre mit dem Drehbuchautor und Regisseur Cy Howard verheiratet. Howard hatte eine Tochter (Paulette) mit Gloria und verwickelte seine Ex-Frau 1964 in einen Sorgerechtsstreit, den die Presse genüsslich ausschlachtete, mit komplizierten Familienverhältnissen in all ihren Verästelungen.
Howards Anwalt trug vor, dass Paulette in der Schule schlechte Betragensnoten habe, von ihrer Mutter nicht religiös erzogen werde und unter einer "ungesunden häuslichen Atmosphäre" leide, die ein Ergebnis der "ungewöhnlichen und höchst peinlichen ehelichen Beziehung der Beklagten" sei: "Die Beklagte hat wieder geheiratet und lebt derzeit mit ihrem vierten Ehemann, der 15 Jahre jünger ist als sie. Ihr vierter Ehemann ist der Sohn ihres zweiten Ehemanns aus einer anderen Ehe. Ihr vierter Ehemann ist auch der Halbbruder und zudem der Stiefvater eines Jungen, der das Kind aus der Ehe der Beklagten mit ihrem zweiten Gatten ist."
"Wenn Gloria sich nicht von mir hätte scheiden lassen", ergänzte Howard, "wäre sie vielleicht nie ihre eigene Schwiegertochter geworden." Tony verfasste später einen Schlüsselroman, in dem er sich offenbar mit Ödipus verglich, und Gloria mit Phädra und mit Hippolyte, der Königin der Amazonen. Glorias Biograph Vincent Curcio zitiert aus einem Brief, in dem Tony schreibt, die wahre Geschichte hinter dem von den Medien ausgeschlachteten Skandal sei die "von zwei jungen Leuten gewesen, die sich verliebten, während sie in einem ungewöhnlich konstruierten Kubus der Umstände gefangen waren". Das klingt nach Althea Bruce. Vielleicht ganz gut, dass der Roman nie veröffentlicht wurde.
Bilderschauen
Die dominante geometrische Figur in In a Lonely Place ist das Rechteck (weil auch die Leinwand, auf der wir die Einfluss auf unser Leben nehmenden Fiktionen sehen, rechteckig ist). Am auffälligsten ist das im Büro von Captain Lochner. Der Chef der Mordkommission sitzt vor einer mit Tatortphotos dekorierten Wand, angeordnet in Rasterform. Das ist der Ausdruck seiner Art von Kreativität. Der Mann pflegt das Denken in Kästchen. Durch die Kästchen sieht er die Welt - in Ausschnitten, die in einen vorgegebenen Rahmen eingefügt werden.
Neben dem Fenster hängt eine gerahmte Kriminalstatistik. Wenn ich die ansteigenden Kurven und die Kästchen richtig interpretiere wird alles immer schlimmer. Während der Vernehmung bringt Brub die frisch entwickelten Bilder von der toten Mildred Atkinson herein. In diesem Film gibt es Tatortphotos, aber keinen Tatort. Es gibt auch keine Szene mit Lochner außerhalb des Polizeireviers, wo der Ermittler gezwungen wäre, die Statistik und sein gerahmtes Bild von der Welt mit der Realität abzugleichen. Sein einziger Ausflug in die Wirklichkeit führt ihn in den fensterlosen Korridor eines Hospitals.
"Wollen Sie ein paar Bilder sehen?", fragt Lochner und gibt sie an Dix weiter. Ray positioniert die Kamera dabei so, dass wir von oben auf die Photos von der toten Frau blicken können. Der Mörder hat die Tote aus einem fahrenden Auto geworfen. So etwas hatte man bis dahin in einem amerikanischen Film so gut wie nicht gesehen, und schon gar nicht in dieser Länge. Ray lässt uns eine halbe Minute Zeit, um zusammen mit Dix die Bilder zu betrachten. Die tote Frau am Straßenrand erinnert an eine der berühmtesten Leichen der amerikanischen Kriminalgeschichte, an das Opfer im bis heute nicht aufgeklärten Black-Dahlia-Fall.
Im Januar 1947 wurde auf einem unbebauten Grundstück in Los Angeles der nackte, an der Hüfte durchtrennte und verstümmelte Körper von Elizabeth Short entdeckt. Das löste ein enormes Medienspektakel aus, mit ständig neuen Verdächtigen, halbwahren oder frei erfundenen Enthüllungen über das Privatleben des 22-jährigen Opfers und Photos, deren Veröffentlichung kurz zuvor noch schwer vorstellbar gewesen wäre, obwohl zumeist retouchierte, von Polizisten an die Presse weitergegebene Tatortphotos keine Seltenheit mehr waren.
Ein Pionier dieser ganz speziellen Form von Öffentlichkeitsarbeit war J. Edgar Hoover, der Chef des FBI, der William Randolph Hearst seit den frühen 1930ern mit Material für seine Revolverblätter versorgte und sich dadurch eine überaus positive Darstellung seiner Tätigkeit sicherte. Je wüster die Verbrechen, und umso alarmierter die Öffentlichkeit, desto leichter war es, mehr Geld und Kompetenzen für die Polizei- und Überwachungsbehörden zu erhalten. Die im harten Wettbewerb stehenden Zeitungen und Radiosender hatten ihre eigenen Interessen, die Steigerung der Auflage und der Hörerzahlen.
Aus der dunkelhaarigen Elizabeth Short, die ein ziemlich armseliges, unglamouröses Leben geführt hatte, wurde die "Schwarze Dahlie". Der von den Medien erfundene Name geht auf den Film The Blue Dahlia zurück, wo die ehebrecherische Gattin eines Kriegsveteranen ermordet wird und Alan Ladd auf die geheimnisvolle Veronica Lake trifft. Das Kostüm, das Elizabeth Short vor ihrem Verschwinden getragen hatte, verwandelte sich in einen hautengen Rock. Auf den Titelseiten mancher Zeitungen waren Photos von der Leiche abgedruckt, die nach der Bearbeitung durch die Bildredaktion unter einer Decke lag - mit dem Versprechen auf mehr im Inneren.
Sehr hilfreich war eine uralte, bei der Black Dahlia besonders skrupellos eingesetzte Taktik: Man kleidete das Sensationelle in das Mäntelchen der Moral. Die tragische Geschichte der Elizabeth Short wurde zum warnenden Beispiel für alle jungen Frauen umfunktioniert, die, von einer Filmkarriere träumend, nach Los Angeles kamen und sich dort in Gefahr begaben. Das wiederum rechtfertigte eine drastische Berichterstattung, der abschreckenden Wirkung wegen. Für die PR-Abteilungen der Filmstudios war das ein noch größerer Albtraum als die Ermordung Mildred Atkinsons für Dixon Steele.
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