Freies Unternehmertum, zwei Frauenleichen und ein Blumenträger
Seite 4: Kommunistische Unterwanderung
Ray hat da eine elegante Möglichkeit gefunden, eine beim bekennenden Kommunisten Diego Rivera andockende Gesellschaftskritik zu üben. Er war immer dann am besten, wenn er seine Botschaft nicht in klassenkämpferische Dialoge verpackte oder sie mit großen Gesten transportierte, sondern aus subtilen Hinweisen zusammensetzte. Man muss nur genau hinschauen, um sie zu erkennen. Viel mehr wäre 1949 kaum möglich gewesen.
Wir reden hier von einem durch den Production Code reglementierten Film, der zwei Jahre nach der ersten großen Anhörungsrunde des Repräsentantenhauses zur kommunistischen Infiltration in Hollywood entstand. Nach Ansicht mancher Ausschussmitglieder war man als Filmkünstler bereits ein Subversiver, wenn man "verfrüht" gegen Hitler und Franco gewesen war (ein ganz schlimmer "premature anti-Fascist" war Orson Welles) oder ein Anhänger des New Deal, mit dem Roosevelt die Finanzmärkte reguliert, eine moderate Umverteilungspolitik von oben nach unten auf den Weg gebracht und das Fundament für einen (sehr bescheidenen) Sozialstaat gelegt hatte, an dessen Abwicklung der rechte bzw. marktradikale Flügel der Republikanischen Partei seither arbeitet.
Durch das Mittel der Assoziation holt Ray Menschen und Ideen in das Apartment von Laurel Gray, die dort nach landläufiger Meinung nichts zu suchen hatten, weil so etwas in einer von Paranoia und rechtem Populismus geprägten Phase der amerikanischen Geschichte im Ruch der kommunistischen, von Moskau aus gesteuerten Unterwanderung stand. Die Assoziationskette beginnt mit dem schwarzen Blumenverkäufer auf einer Straße in Beverly Hills und endet mit dem mexikanischen Landarbeiter in den im Spanish-Revival-Stil gebauten "Beverly Patio Apartments", im Gemälde von Rivera. Dieser Film hat nicht die Absicht, eine Mauer zu bauen.
Wenn Ray Laurel Gray ein Bild von Diego Rivera in die Wohnung hängt ist das also ein politisches, je nach Zuschauer mehr oder weniger kodiertes Statement, das man im Hollywood der McCarthy-Ära nicht direkt abgeben konnte. Ray propagiert da nicht die kommunistische Weltrevolution, er zeigt sich solidarisch mit den Opfern des Rufmords und der Gesinnungsschnüffelei. Der Blumenträger ist auch in The Prowler zu sehen, einem Anti-McCarthy-Film von Joseph Losey. Sogar in I Married a Communist (1949) taucht er auf, einem berüchtigten antikommunistischen Propagandafilm der RKO.
Das Bild hängt in der Wohnung einer kommunistischen Agentin, aber die Umstände sind verdächtig. Die Historiker, rechten Blogger und republikanischen Politiker aus dem Umfeld der Tea- Party-Bewegung, die seit Jahren an der Rehabilitierung von Joseph McCarthy arbeiten, sollten sich diesen Film genauer anschauen. Wer hat den Blumenträger eingeschmuggelt? Was für ein Abgrund an Landesverrat sich da auftut kann man erst ermessen wenn man weiß, dass I Married a Communist (auch als The Woman on Pier 13 verliehen) der Lackmustest von RKO-Boss Howard Hughes für die rechte Gesinnung seiner Angestellten war.
Kampf gegen den New Deal
Loseys Erinnerung nach war er der erste von 13 Regisseuren, denen Hughes den Film zur Inszenierung anbot, um ihren Patriotismus zu prüfen. Kandidat Nr. 14, Robert Stevenson, nahm das Angebot schließlich an. Ray war einer von den 13 Verweigerern. Er drehte lieber On Dangerous Ground. Robert Ryan, in I Married a Communist von den Roten zur Mitarbeit in einer subversiven kommunistischen Zelle erpresst, spielt da einen brutalen Polizisten, der seine Aggressivität nicht mehr kontrollieren kann und beinahe einen Mann totschlagen würde.
Das war hart an der Grenze zur kommunistischen Propaganda, fanden die McCarthyisten und deren Spitzel. Eine kritische Haltung gegenüber den Polizeiorganen war genauso ein Verdachtsmoment wie die Sympathie für Kriminelle. John Huston wurde als potentieller Staatsfeind denunziert, weil er das Drehbuch zu High Sierra geschrieben hatte (mit einem Gangster als tragischer Figur) und der Regisseur von The Maltese Falcon war (der Privatdetektiv Sam Spade liebt Brigid O’Shaughnessy, obwohl sie seinen Partner erschossen hat).
Beide Charaktere, den Gangster mit der komplexen Persönlichkeitsstruktur und den innerlich zerrissenen Privatdetektiv, spielte Humphrey Bogart. Das war 1941. Als bekannter Liberaler hatte er bereits 1940 vor dem Ausschuss zur Untersuchung unamerikanischer Aktivitäten erscheinen und versichern müssen, weder selbst ein Kommunist noch mit Kommunisten befreundet zu sein. Das House Un-American Activities Committee (HUAC) leitete damals noch Martin Dies, ein erklärter Gegner der Politik seines Parteifreundes Franklin D. Roosevelt. Es war also ein Demokrat und kein Republikaner, der diesen Ausschuss als erster zum Kampfmittel gegen den New Deal machte (und zum Vehikel für die Förderung seiner persönlichen Karriere).
Nach dem Kriegseintritt der USA, mit der Sowjetunion als Bündnispartnerin im Kampf gegen Hitler-Deutschland, dümpelte der Ausschuss vor sich hin, bis 1947 der Republikaner J. Parnell Thomas den Vorsitz übernahm. Für Thomas, von Beruf Börsenmakler, war der New Deal (Börsenregulierung, höhere Steuern für Reiche, Stärkung der Arbeitnehmerrechte, Abbau der Privilegien von Großunternehmen) nichts weiter als eine kommunistisch orientierte Sabotage am kapitalistischen System, die es mit aller Härte zu bekämpfen galt. Das bekam dann auch Hollywood zu spüren, weil man da Filmstars vorladen konnte. Das war viel medienwirksamer als das Aufdecken einer Verschwörung im Kaninchenzüchterverein.
Wahrscheinlich landete Nicholas Ray nur deshalb nicht auf der Schwarzen Liste, weil er Vertragsregisseur der RKO war. Howard Hughes verstand sich als Feind des "Kommunismus", was damals ein genauso dehnbarer Begriff war wie heute der gern mit dem Islam verwechselte "Islamismus", als dessen Agent sogar Barack Obama von den rechten Verschwörungstheoretikern geführt wird. Noch weniger aber mochte er es, wenn sich Dritte in seine Angelegenheiten einmischten. Dadurch, dass er sich den Ruf eines Kommunistenfressers erworben hatte, konnte er jemanden wie Ray, als Künstler mit WPA-Vergangenheit ohnehin als Sicherheitsrisiko gehandelt, besser schützen. Die Wirklichkeit ist kompliziert und paradox.
Paradox ist auch, dass die der Villa Primavera nachgebaute Wohnanlage einerseits ein Gefühl der Paranoia erzeugt und Dix andererseits davor bewahrt, von Captain Lochner, dem Vertreter des Überwachungsstaats, in Gewahrsam genommen zu werden. Einmal beklagt sich Dix darüber, dass Laurel von ihrem Apartment aus in seines blicken könne und er nicht in ihres (wer den Blick kontrolliert hat im Film die Macht). Weil das aber so ist, weil sich in den Beverly Patio Apartments alle Fenster und Türen zum gemeinsamen Innenhof öffnen, kann ihm Laurel das benötigte Alibi liefern und bezeugen, dass sie gesehen hat, wie Mildred Atkinson den Apartmentkomplex gesund und munter verließ, ohne Dix.
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