Freies Unternehmertum, zwei Frauenleichen und ein Blumenträger
Seite 5: Unamerikanische Aktivitäten
Im Drehbuch von Andrew Solt sitzt eine Stenotypistin im Büro von Captain Lochner und schreibt alles mit. Ray strich die Rolle und ersetzte sie durch einen Dialog, in dem Dix Brub und Lochner fragt, wie sie das Gespräch aufzeichnen: "Tonband oder Kabel?" "Tonband", antwortet Brub. Lochner zeigt das bisher nicht sichtbare Mikrophon vor wie ein Folterinstrument. Dix, der Lochner nur provozieren und den mit allen Wassern gewaschenen tough guy spielen wollte, wirkt perplex. Das ist ein gruseliger Moment. Oft wird das damit abgetan, dass Ray ein Paranoiker gewesen sei, der sich immer und überall überwacht fühlte.
Paranoia schützt aber bekanntlich nicht davor, verfolgt zu werden. 1946 kursierten in Hollywood erste Listen mit den Namen von Filmkünstlern, die angeblich Mitglied der Kommunistischen Partei waren und den Umsturz des bestehenden Systems betrieben. Diese Listen beruhten auf Klatsch und unbewiesenen Gerüchten, auf Schnüffelei oder auch nur auf der Charakterlosigkeit der Informanten, die durch Denunziation alte Rechnungen begleichen wollten. Als das HUAC 1947 mit seinen Anhörungen begann, ging es mit strategischem Geschick zu Werke. Parnell Thomas hatte dabei stets die mediale Wirkung im Blick.
Zuerst vorgeladen wurden Leute, die bestätigten, dass es die kommunistische Gefahr tatsächlich gab. Walt Disney fühlte sich von roten Agitatoren umzingelt, seit ein Streik sein autokratisch geführtes Studio lahmgelegt hatte. Ronald Reagan, damals Präsident der Schauspielergewerkschaft, berichtete von kommunismusähnlichen Methoden einer in der Screen Actors Guild tätigen Gruppe, konnte aber nicht mit Bestimmtheit sagen, ob es sich um Kommunisten handelte oder nicht. Dann folgten die Beschuldigten. In einer ersten Runde wurden 79 Personen vorgeladen, denen man subversive Aktivitäten vorwarf.
Zehn der Vorgeladenen, bekannt geworden als die Hollywood Ten, beriefen sich auf den 1. Zusatzartikel zur amerikanischen Verfassung, der die Meinungs- und Versammlungsfreiheit garantiert, verweigerten die Aussage und wurden wegen Missachtung des Kongresses strafrechtlich belangt. Als Gegenreaktion formierte sich in Hollywood das überwiegend von Liberalen und Roosevelt-Anhängern gegründete Committee for the First Amendment, dessen Mitglieder nach Washington flogen, um gegen den Kongressausschuss zu protestieren. Zum Komitee gehörten Humphrey Bogart und seine Ehefrau, Lauren Bacall.
Mann des Volkes
Aufmerksame Leser dürften sich inzwischen fragen, wo eigentlich Joseph McCarthy bleibt, nach dem dieses dunkle Kapitel der amerikanischen Geschichte benannt ist? Den McCarthyismus gab es schon, bevor der Namensgeber zum gefürchtetsten Politiker der USA wurde, und er ist auch nicht mit ihm gestorben. Obwohl oft das Gegenteil zu lesen ist war es nicht Joe McCarthy, der Hollywood ins Visier nahm. Das HUAC (H für House) war ein Ausschuss des Repräsentantenhauses. Als Senator von Wisconsin saß McCarthy in der zweiten Kammer des Kongresses, dem Senat.
Seine Kollegen im Repräsentantenhaus hatten längst die Arbeit aufgenommen, als er seinen Feldzug gegen den Kommunismus startete. In der Vorgehensweise unterschieden sich die Hexenjäger in beiden Kammern des Kongresses jedoch kaum. McCarthy war ein weitgehend unbekannter, um seine Wiederwahl fürchtender Hinterbänkler, als er nach Wheeling in West Virginia flog, um am 9. Februar 1950 beim alljährlichen Dinner des Republikanischen Frauenvereins zum Lincoln Day eine Rede zu halten. Die Damen erwarteten, dass er etwas Erbauliches über Abraham Lincoln sagen würde.
Stattdessen hielt er ein paar Blätter Papier hoch, auf denen angeblich die Namen von 205 Mitgliedern der Kommunistischen Partei standen, die im State Department beschäftigt und dort subversiv tätig waren. Beweise blieb er schuldig, und sein Gedächtnis war scheinbar auch nicht das beste, weil er schon bei seinem nächsten Auftritt, in Salt Lake City, von 57 KP-Mitgliedern sprach. Die Behauptung schlug jedenfalls ein wie eine Bombe. Als McCarthy wieder in Washington landete war er berühmt. Am 20. Februar hielt er im Senat eine Rede, in der aus bisher 205 oder 57 Subversiven mit Mitgliedsausweis der KP 81 geworden waren.
Die Zahlen variierten. Konstant blieb der Vorwurf, dass man im Außenministerium von den Kommunisten wusste, dass sie die dort betriebene Politik beeinflussten und dass der Außenminister nichts dagegen unternahm. McCarthy zeichnete ein Bild von Washington als einem Sumpf, der trockengelegt werden müsse, als einem Saustall, den es auszumisten gelte. Sich selbst inszenierte er als den Mann, der das erledigen werde. Auf den Stufen zum Kapitol ließ er sich mit einem großen Besen photographieren. Die Medien waren fasziniert von ihm, weil einer wie er im Politikbetrieb der Hauptstadt eine ungewöhnliche Erscheinung war.
Das half ihm selbst dann, wenn ihn die Journalisten nicht leiden konnten. Auch durch negative Berichterstattung stieg sein Bekanntheitsgrad und wurden seine unbewiesenen Behauptungen verbreitet. Je krasser, desto besser. McCarthys Aufstieg wurde dadurch begünstigt, dass das Establishment in Washington nicht wusste, wie es mit ihm umgehen sollte. Der Senat war eine Ansammlung von würdigen älteren Herren, die sehr auf Etikette hielten. McCarthy spielte den unverdorbenen, den herumlavierenden Politsprech durch klare Ansagen ersetzenden Außenseiter, den Mann des Volkes. Sein rüpelhaftes Verhalten machte die Honoratioren sprachlos und wurde so zu einer großen Stärke, auch wenn die Wohlerzogenen die Nase rümpften.
Das Wort eines Senators hatte Gewicht und konkrete Auswirkungen auf das Leben anderer Menschen. Viele der Etablierten konnten schlicht nicht glauben, dass ein in ein hohes Amt gewählter Politiker alle Spielregeln ignorieren und unbeschwert drauflos lügen würde, obwohl die Lüge offensichtlich war. Solche Bedenken hatte Joe McCarthy nicht. Er war einer jener Populisten, die eigentlich Opportunisten sind, von sich glauben, für die Macht bestimmt zu sein und bereit sind, alles zu sagen, was ihnen beim Erreichen ihrer Ziele nützlich sein könnte. Der Zweck heiligt die Mittel.
Amerikanische Helden
McCarthy perfektionierte seine Methoden mit Hilfe von Roy Cohn, den er auf Empfehlung von FBI-Chef J. Edgar Hoover als Chefberater in den Senat holte. Cohn (nicht verwandt mit Harry Cohn, in dessen Columbia-Ateliers In a Lonely Place gedreht wurde) war eine Figur wie aus einem schlechten Film, ein antisemitischer Jude und ein homophober Schwuler, ein brillanter Anwalt frei von Skrupeln und moralischen Bedenken. Von Cohn konnte man lernen, wie man am effektivsten üble Nachrede betreibt und aus Halbwahrheiten und frei Erfundenem (heute nennt man das "alternative Fakten") eine Diffamierungskeule macht.
Wenn sich die Angegriffenen zur Wehr setzen, lehrte Cohn, musste man sofort und mit mehr Wucht zurückschlagen. Durch Gepolter und das Ausstoßen von Drohungen ließen sich nicht nur andere Leute einschüchtern, man konnte das ungehobelte Auftreten zu seinem Markenzeichen machen. Wurde man bei einer Lüge ertappt gab man prinzipiell nichts zu, vielmehr schob man eine noch größere Lüge hinterher. Lautstärke war Trumpf. Falsche Behauptungen, laut und frech genug wiederholt, wurden irgendwann zur Wahrheit. Und, für Politiker ganz wichtig: Eine Gefahr für das Gemeinwesen, in grellen Farben an die Wand gemalt, ließ sich in einen persönlichen Vorteil verwandeln, wenn man unverfroren genug war.
Falls das jemandem bekannt vorkommt: Kein Wunder. Statt gleich das Offensichtliche zu bemühen sei zunächst auf Ted Cruz verwiesen, der 2013, unterstützt von der Tea Party, für Texas in den Senat einzog. Die Art und Weise, wie er sein neues Amt wahrnahm, weckte bei Beobachtern ungute Erinnerungen an Joe McCarthy. Verteidigt wurde er von Steve Bannon, inzwischen Chefstratege im Weißen Haus. Interessant daran ist, wie Bannon das anstellte.
Statt Cruz gegen den Vorwurf in Schutz zu nehmen, der neue McCarthy zu sein, redete Bannon in einer Radiosendung von Breitbart News lieber darüber, dass das Original, der Senator aus Wisconsin, heute nur deshalb der Schurke sei, weil die "moderne Populärkultur" aus Weiß Schwarz und aus Schwarz Weiß gemacht habe. Als Intellektueller und Vertreter der Hochkultur, schließe ich daraus, weiß man es besser. McCarthy ist ein amerikanischer Held.
Mit Widerspruch war nicht zu rechnen, weil sich Bannon mit Diana West über ihr Buch American Betrayal: The Secret Assault on Our Nation’s Character unterhielt. Da erfährt man, dass Roosevelt die USA in ein sozialistisches Land verwandeln wollte (mit einer bezahlbaren Krankenversicherung auch für die Armen und Sozialstaatsduselei zur Erstickung der Eigeninitiative) und die jungen Leute jetzt nicht mehr zwischen Gut und Böse unterscheiden können, weil die Kommunisten nach dem Zweiten Weltkrieg alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens infiltriert haben, die schönen Künste genauso wie die Universitäten und Hollywood, um den Glauben an die amerikanische Großartigkeit zu zersetzen.
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