Freihandel bis Wladiwostok
Merkel zeigt sich in Davos bereit zu Gesprächen über ein TTIP-Äquivalent mit Russland
Auf dem Wirtschaftsgipfel im schweizerischen Davos meinte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, sie sei "bereit" für Gespräche über einen "gemeinsamen Handelsraum" zwischen der von Russland angeführten Eurasischen Union und der EU. Solche Gespräche können ihrer Ansicht nach in Angriff genommen werden, sobald das umstrittene TTIP-Freihandelsabkommen mit den USA unter Dach und Fach gebracht ist. Voraussetzung dafür ist Merkels Worten nach aber auch Frieden in der Ostukraine.
Bereits gestern hatte SPD-Chef Gabriel solch ein Abkommen ins Spiel gebracht. Der langjährige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher hatte diesen Vorschlag im September gemacht: Dem Fernsehsender Phoenix sagte der FDP-Altpolitiker vor vier Monaten, weil es "in Europa keine Stabilität ohne Russland, und erst recht nicht gegen Russland" geben könne, plädiere er dafür, "Politik mit diesem großen Land zu machen".
Ursprünglich stammt die Idee einer gemeinsamen europäisch-russischen Freihandelszone aber vom russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin, der sie vor 14 Jahren in einer Bundestagsbesuchsrede ins Spiel brachte. 2010 wiederholte er das damals nicht von der deutschen Politik aufgegriffene Angebot in einem in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung.
Sowohl Merkel als auch Gabriel griffen auf Putins Formulierung einer Freihandelszone "zwischen Lissabon und Wladiwostok" zurück, was darauf hindeutet, dass sie das Angebot als Konzession an Russland verstehen - und als Anreiz, dafür Zugeständnisse in der Ukrainepolitik zu machen. Wohl auch deshalb erwähnte Merkel noch einmal die Aufnahme der Krim in die Russische Föderation, die Anlass für die EU-Sanktionen gegen Russland gewesen sei.
Allerdings können Freihandelsabkommen nicht nur zu Lösungen beitragen, sondern auch neue Probleme mit sich bringen, wie ein am Montag veröffentlichtes Gutachten des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Siegfried Broß zeigt: Er weist darauf hin, dass die in TTIP vorgesehenen privaten Schiedsgerichte, vor denen Konzerne Staaten auf entgangenen Gewinn verklagen können, wenn sie mit neuen Umwelt- oder Arbeitsvorschriften nicht einverstanden sind, grundgesetzwidrig wären.
Als mögliche Lösung schlägt Broß staatliche Schiedsgerichte vor, deren Richter sich nicht (wie die privaten) zu mehr als der Hälfte aus "einem kleinen Zirkel von 15 Anwälten weltweit" rekrutieren, sondern aus "Vertretern der Vertragsstaaten", deren Ernennung die nationalen Parlamente zustimmen müssen. Solche staatlichen Schiedsgerichte hätten dann auch die demokratisch legitimierte Kompetenz, Lücken in den Vertragswerken zu schließen.
Ob die Idee des ehemaligen Vorsitzenden des Präsidiums der Deutschen Sektion der Internationalen Juristen-Kommission aufgegriffen wird, ist noch offen: Bislang ging noch kein namhafter deutscher Politiker explizit darauf ein. Sigmar Gabriel betonte lediglich allgemein: "Wir können Menschen zum Mond fliegen - also können wir auch die Frage der Schiedsgerichte lösen." Darüber hinaus befand der SPD-Vorsitzende, die "Debatte in Deutschland" sei "[vielleicht] manchmal schwieriger als in anderen Ländern, weil wir ein Land sind, das reich und hysterisch ist".
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