Freiheit für die Olympischen Spiele!

Waren zu ihrem Pech keine Uiguren: Tommie Smith (mitte) und John Carlos (rechts), 1968. Bild: Angelo Cozzi

Die heute beginnenden Winterspiele in Beijing leiden unter politischem Missbrauch und der Macht eines Konzerns namens IOC. Über die wahren Opfer solcher Events redet niemand

Die Welt "zu Gast bei Feinden" sieht die Tageszeitung Die Welt aus dem Verlagshaus Axel Springer zu Beginn der Olympischen Winterspiele am heutigen Freitag in Beijing. Nicht ganz so drastisch formuliert es die linksliberale taz, die sich wiederholt als medienpolitischer Gegenpol zur Springer'schen Medienmacht inszeniert hat – sie schreibt von der "Welt zu Gast bei Autokraten" und einem "olympischen Albtraum Beijing". Die öffentlich-rechtliche Tagesschau indes kritisiert die Bundesregierung, weil sie sich nicht dem US-Politboykott der Spiele angeschlossen hat.

Man kann dieser Tage angesichts der Reaktionen über viele medialen und politischen Lager hinweg den Eindruck bekommen, die Ausrichtung der Olympische Winterspiele in Beijing sei ein historisch einmaliger Fehler. Ein Fehltritt, der in dieser Weise noch nie stattgefunden hat und, wenn möglich, in Zukunft niemals wieder stattfinden sollte.

Nichts liegt der Realität ferner. Denn die unisono formulierte Kritik an dem Großevent in China findet bei aller berechtigter Missbilligung der politischen Zustände in dem Land vorwiegend Gehör, weil sie politisch opportun ist.

Es ist ein Kampf der Eliten beider Seiten, dessen Zeuge wir dieser Tage werden. An vorderster Linie steht die Großmacht China, die in enger Abstimmung mit einem demokratisch kaum legitimierten und weitgehend intransparent agierenden transnationalen Konzern, dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC), die Entscheidung zur Ausrichtung dieser Spiele getroffen hat.

Der Deal beruht auf kruder kapitalistischer Synergie: Das IOC verfolgt wirtschaftspolitische Interessen und sieht in China einen Milliardenmarkt; etwa durch den Aufbau einer im wahrsten Sinn des Wortes synthetischen Wintersportbranche im Reich der Mitte.

Neben ähnlich monetären Interessen nutzt China die Chance zum Sportwashing – also der Imagepflege durch das internationale Großevent. Die Führung in Beijing hat damit einen Trend erkannt, den auch autokratische Regime von Katar bis Saudi-Arabien nutzen, freilich ohne vergleichbaren politischen Widerstand aus dem Westen.

Welche Menschenrechte werden wahrgenommen?

Elitär bis interessengeleitet – so muss man konstatieren – ist aber auch die Menschenrechtskritik an den Spielen in Beijing. Kampagnenerfahrene Menschenrechtsorganisationen von Amnesty International bis Reporter ohne Grenzen nutzen die Gunst der Stunde, um ihrer Kritik an der chinesischen Führung Gehör zu verschaffen. Das gelingt ihnen auch, weil sie von Vertretern der amtierenden Bundesregierung dankbar aufgegriffen wird.

Die genannten Organisationen (und andere) prangern zwar auch Menschenrechtsverletzungen in Partnerstaaten der Bundesrepublik an, in denen Sportwashing betrieben wird. Katar und die saudische Diktatur sind, wie schon erwähnt, nur zwei Beispiele. Diese Kritik wird aber nie eine derartige politische Verstärkung erfahren, wie es im Fall der heute beginnenden Olympischen Winterspiele in Beijing der Fall ist. So entsteht ein menschenrechtspolitisches Zerrbild.

Das Problem ist nicht neu, es begleitet die Olympischen Spiele der Neuzeit und vergleichbare Veranstaltungen von Beginn an. Proteste gab es immer, nur wurden sie nicht immer wahrgenommen oder gar offiziell gutgeheißen.

Der Black-Power-Protest bei den Olympischen Spielen 1968 am 16. Oktober 1968 etwa zerstörte Karriere und Lebenslauf der Protagonisten Tommie Smith und John Carlos.

Die UdSSR nahm 1973 bei der Qualifikationsrunde zur Fußballweltmeisterschaft der Männer eine De-facto-Niederlage in Kauf, weil sich das Team weigerte, gegen Gastgeber Chile im Nationalstadion von Santiago anzutreten, in dem kurz zuvor Menschen zu Tode gefoltert worden waren.

Sportveranstalter, Regierungen und Vereine hätten aus diesen Fehlern gelernt, heißt es mitunter. Aber ist dem so? Im vergangenen Jahr wurden die Olympischen Spiele in Japan ausgerichtet, einem Land, in dem in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu dem Event Menschen am Strang hingerichtet wurden. Wäre es nicht ein starkes Zeichen, wenn das IOC angesichts der oft bemühten "olympischen Idee" ein Ausrichtungsstopp für Länder erklärt, in denen die Todesstrafe auch im 21. Jahrhundert noch Anwendung findet? So wie in China. Oder in den USA.