Frequenzpoker auf UKW
In Berlin und Brandenburg vergibt die Medienanstalt ungenutzte UKW-Radiofrequenzen, die Bewerber kommen nicht nur aus der Wirtschaft. Aber auch.
Radio als Medium, egal ob öffentlich-rechtlich, privatwirtschaftlich oder nicht-kommerziell organisiert, steckt in der Krise. Deshalb wird an Programmreformen gebastelt, werden Sender umbenannt oder der Kopf in den Sand gesteckt. Auf der Suche nach der richtigen Zielgruppe erarbeiten Medienberater furiose, bis zur nächsten Programmreform geltende Konzepte. Die öffentlich-rechtlichen Sender kopieren die privaten. Das Ergebnis klingt in fast allen deutschen Bundesländern gleich trübe in den Ohren: Optimierte, massenkompatible Musikprogramme aus wenigen hundert Titeln rotieren in einer Playlist.
Zweimal jährlich erfreuen sich dann alle an der Media-Analyse. In ihr veröffentlicht RMS Radio-Marketing-Service die Hörerzahlen, ermittelt durch telefonische Umfragen. Dabei gibt es fast immer nur Gewinner, denn die Analyse kennt viele verschiedene Alters-, Ziel- und Kerngruppen.
Freie Radios und offene Kanäle senden davon unbehelligt dahin, meistens aber ohne einen Sinn für die Hörer zu entwickeln. Ein Wunder also, dass immer wieder Glücksritter versuchen in diesem Mediensumpf zu schwimmen. Kein Wunder aber auch, dass abseits davon neue Radio-Ideen gedeihen, die auch gerne in den Radiohimmel wachsen würden.
In Berlin wurde im Mai die durch die Fusion von Sender Freies Berlin (SFB) und Ostdeutscher Rundfunk Brandenburg (ORB) zum Rundfunk Berlin-Brandenburg frei gewordene Hörfunkfrequenz 106,8 MHz sowie 15 kleine Frequenzen mit geringerer Reichweite in Brandenburg ausgeschrieben.
25 Bewerber gaben daraufhin ihre Unterlagen gegen ein Bearbeitungsentgeld von 1.500 Euro bei der für die Vergabe zuständigen Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) ab. Im September nun wird der Medienrat der MABB mit den Anhörungen beginnen und wahrscheinlich bis Ende des Jahres eine Entscheidung fällen. Im Gegensatz zu den Ausschreibungen der letzten Jahre könnte es diesmal sogar etwas spannend werden, sind doch unter den Bewerbungsschreiben einige interessante Konzepte zu vermuten.
Der Piratensender
Auf der Frequenz 106,8 MHz, die auch noch gut im hauptstädtischen Speckgürtel empfangbar ist, möchte der DJ-Sender Twen FM eine legale Heimat für 24 Stunden täglich finden. Damit würde aus dem früheren Piratensender eine kommerzielle Radiostation. Der Sender möchte sich nach eigenen Angaben darauf konzentrieren, alle gängigen musikalischen Sparten der Jugendbewegungen fundiert, glaubhaft, schnell und unterhaltsam zu repräsentieren. Das gesamte Spektrum aus dem Independent-Bereich solle abgebildet und die alternative Partyszene mit einbezogen werden. Interessensverbände wie der Verband unabhängiger Tonträgerunternehmen, Musikverlage und Musikproduzenten VUT, die Label Commission oder die Club Commission erhalten ein Mitspracherecht im Programm. Die Nachrichten sollen von Google-News übernommen werden.
Finanzieren will sich der Sender daneben auch durch Werbung lokaler Werbetreibender. Langfristig, so ist man sich bei Twen FM jedoch sicher, müsse sich der Sender jedoch überregional vermarkten. Weil es dazu wohl notwendig ist auch andere Frequenzen zu erhalten, wird der Sender bereits ab 1. September in Berlin und Brandenburg auf einer eigenen DAB-Frequenz (Digital Audio Broadcasting) und auf der DAB-Promotionfrequenz 104,1 MHz Berlin zu hören sein.
Das klingt alles nicht ganz neu, sondern sehr nach Kiss FM oder Jam FM. Eine Herausforderung ist es jedoch sicherlich, hat sich die Crew doch bisher vorwiegend piratisch betätigt oder war mit werbefreien Sendefenstern in Radio-Versuchsstationen wie z.B. dem Ersatzradio der Volksbühne oder Reboot FM aus dem Medienlabor Bootlab vertreten.
Der Offene Kanal mit Anhang
Letztere haben sich mit dem Offenen Kanal Berlin in der Hoffnung verbündet, so das Rennen um die Frequenz zu gewinnen. Dadurch ergibt sich die interessante Situation, dass zum ersten Mal seit Radiogedenken in Berlin zwei Radiogruppen aus dem alternativen Bereich, Reboot FM und Twen FM, die noch im Sommer zusammen sendeten, nun Konkurrenten um die gleiche Frequenz sind. Die angestrebte Zusammenarbeit zwischen Reboot FM aus dem Bootlab und dem OKB ist dabei eher einer Lücke im Berliner Mediengesetz geschuldet, das als nicht-kommerzielles Radioformat ausschließlich den Offenen Kanal kennt, als dass es viele inhaltliche und organisatorische Gemeinsamkeiten gibt.
Während im Berliner Offenen Kanal Programm ohne redaktionelles Konzept gemacht wird, sondern jeder Bürger einfach Sendezeit beantragt, wurde im Bootlab in den letzten Jahren versucht, eine redaktionelle Praxis mit unterschiedlichen urbanen Kulturkreisen herauszuarbeiten. So entstanden regelmäßige Sendungen der Junge World und von Indymedia, während Klubradio aus Clubs wie dem WMF, Maria oder Tresor auf UKW sendete. Aus dieser eher unfreiwilligen Symbiose könnte das entstehen, was in der Wirtschaft eine Win-Win-Situation genannt wird: Der Offene Kanal überwindet sein schlechtes inhaltliches Image und im Bootlab arbeitet man weiter an der Erkundung redaktioneller Arbeit. Für den September soll es deshalb schon einmal Übertragungen aus dem ehemaligen Palast der Republik, dem jetzigen Volkspalast geben.
In der Vergangenheit haben der von der Medienanstalt finanzierte Offene Kanal und die Radioleute aus dem Bootlab bereits zusammen gearbeitet. So streamte Twen FM vor zwei Jahren regelmäßig mittels einer im Bootlab entwickelten Übertragungssoftware via Internet – statt teurer Standleitungen oder dem ISDN-Musiktaxi – zum Offenen Kanal, der das Signal dann in sein analoges Mischpult älterer Bauart einspeiste. Die Nachfolgeversion dieser Software soll in den kommenden Wochen als erstes offizielles Release veröffentlicht werden. Als Debian installierbar, besteht das Paket aus Scheduler, Archiv und Playout-System und beinhaltet u.a. Ogg Vorbis, Icecast2 und Jack. Die freie Software soll sich besonders für nichtkommerzielle Radiostationen eignen, Installationen in Halle (Saale), Wien, Tirana und Sofia sind momentan geplant.
Ein ehemaliger Plattenboss
Ob der Offene Kanal, der als Einrichtung der Medienanstalt sich nicht direkt um eine Frequenz bewerben darf, im Verbund mit dem Bootlab jedoch den Zuschlag erhält, ist alles andere als sicher. Ein weiterer interessanter Anwärter auf die gleiche Frequenz ist Motor FM des ehemaligen Universal-Deutschland-Chefs Tim Renner. Dieser hatte sich quasi als Trennungsgeld von Universal Music die Rechte an dem von ihm gegründeten Label Motor Music übertragen lassen und versucht nun, die Verwertungskette für seine Acts auszubauen. Renner liebäugelt schon seit längerer Zeit mit dem Radio. Allerdings setzte er sich noch vor zwei Jahren eher für Piratenradios als für Downloadradios aus.
Die Chancen für Motor FM, das von der Agentur M2M (Mission to Mars) umgesetzt werden soll, dürften dennoch nicht die schlechtesten sein. Als Plattenboss holte Renner Universal Music von Hamburg nach Berlin und steht damit in der Schuld von etlichen Medienverantwortlichen aus Politik und Wirtschaft Berlins. Gleichzeitig ist relativ sicher, dass Renners Radio nicht einfach eine weitere Abspielstation für die größten Hits der 70er, 80er oder 90er Jahre wäre. Motor Music hat Acts wie Die Ärzte, Ferris MC, Marilyn Manson oder Superpunk unter Vertrag und würde damit mindestens keiner weiteren "Ver-Britney-Spears-ung" des Radios Vorschub leisten. Die Drum and Base-Kultur oder die elektronische Musikszene würde Motor FM allerdings nicht ins Radio bringen können, doch gerade für letztere ist Berlin bekannt.
Einer, dessen Musikfernsehen von der Konkurrenz übernommen wurde
Das Konzept von Motor FM weist nicht zu verbergende Ähnlichkeiten mit dem eines weiteren Mitbewerbers auf: VIVA-Radio. VIVA-Gründer Dieter Gorny macht sich Hoffnung auf eine Frequenz in einer Hauptstadt, die so gerne die Musikhauptstadt Europas werden möchte. Sein lange auf Eis liegendes Radioprojekt hatte bereits vor einigen Jahren eine Mittelwellen-Lizenz erhalten, diese dann jedoch ungenutzt zurückgegeben. Inhaltlich soll ein peppig-frech-aggressives Jugendradio entstehen, genau dort sind auch die musikalischen Ähnlichkeiten zu Motor FM zu vermuten. In Viva-Radio ist neben Gorny auch der frühere Moderator der ZDF-Hitparade Viktor Worms involviert. Dieser hat immerhin eine positive Einstellung zum Thema:
Ich halte Radio einfach für eines der kreativsten Medien, viel kreativer als Fernsehen
Wie die Entscheidung ausfällt, die angesichts der Bewerbersituation eine eindeutig politische sein wird, ist selbst von Kennern der Szene kaum vorhersagbar. Zu vermuten ist aber, dass sich nach der Entscheidung über die jetzt ausgeschriebenen Frequenzen das Vergabe-Karussell erneut drehen wird. Denn unter den Einzel-Bewerbern befinden sich auch die Mitglieder der momentanen Vierer-Konstellation des Mischkanals auf 97,2 MHz, bestehend aus Offener Kanal, BluRadio, World Radio Network und Radio Russkij. Die ungebrochen hohe Zahl der Bewerbung um die Frequenzen zeigt nur, dass Radio als Medium noch lange nicht tot ist und dass es immer noch mehr als eine Alternative zu mittel- bis breitbandigen Internet- oder Mobilfunkanwendungen wie dem bislang toten UMTS ist.