Freude, schöner Götterfunken

Wer erklimmt den vakant gewordenen Thron des neuen Pop-Königs?

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Eine merkwürdige Debatte geistert derzeit unterschwellig durch diverse Pop-Feuilletons und Pop-Magazine. Sie kreist um die Frage, wer möglicherweise der neue Bob Dylan werden und den offenbar als leer empfundenen Platz des Pop-Königs einnehmen könnte. Zu potentiellen Kandidaten haben findige Musikjournalisten mittlerweile zwei junge Songschreiber auserkoren: den dreiundzwanzigjährigen Adam Green aus New York, sowie den kaum älteren Conor Oberst aus Omaha in Nebraska.

ist das Leben, eine einzige Verschwendung.

Conor Oberst

Wir brauchen Helden

Warum ausgerechnet jetzt diese Frage auf die Agenda kommt, ist nicht leicht auszumachen. Schließlich dachte man in den 1990ern mal, dass im Zeitalter der Postmoderne das Bild des Heroen verblasst und der Bedarf des Publikums an solchen Figuren gestillt sei. An die Stelle eines alle überragenden Tat- und Übermenschen sollte das System oder Projekt, das Konzept oder Team treten (Stichwort: Postheroisches Management), welches Vorgaben generieren und intelligent umzusetzen in der Lage wäre. Sowohl der Crash am Neuen Markt als auch die blutigen Ereignisse um Ground Zero haben diesem Glauben an Bottom-up, flachen Hierarchien usw. inzwischen einen Strich durch die Rechnung gemacht und eine Trendwende in fast allen Bereichen der Gesellschaft eingeleitet, in der Politik und den Unternehmen genauso wie in der Kultur oder in den Massenmedien.

Conor Oberst

Seitdem ist das Interesse an bzw. der Wunsch nach neuen Heldinnen und Helden (siehe Spielbergs "Band of Brothers"), die etwas riskieren, den Widrigkeiten des Lebens trotzen und ihren Willen auch gegen Widerstände durchsetzen, wieder merklich gewachsen, sodass die Debatte - von daher gesehen - vielleicht so ganz überraschend wieder nicht ist.

Vor allem im Musikjournalismus, wo das Geschäft von Typen und Images, Stars und Geschichten lebt und der Heroisierungsdruck daher besonders stark ist, ist Bedarf und Nachfrage, trotz Postmoderne und Systemsoziologie, Medientheorie und Kulturphilosophie, nie richtig abgeebbt. Haben sich manche Popanalytiker gern darauf bezogen, um bestimmte Stile, Moden und Trends auf den Begriff zu bringen, zeigte sich die Branche relativ resistent gegen eine solche " feindliche Übernahme". Dem Geschäft als solchem haben diese neuen Theorien wenig anhaben können. Im Gegenteil, ein Teil der Branche dachte sogar, sie könnte solche Typen, Bilder und Geschichten, am Reißbrett züchten.

In die Jahre gekommen

Außer dieser gesellschaftlichen Trendumkehr gibt es aber auch eine ganze Reihe von Gründen, die in den Redaktionstuben selbst zu finden sind. Etliche Schreiber, die heute in den Feuilletons den Ton angeben, sind mit dem Popgeschäft groß geworden. Für sie stellen Bands wie Led Zeppelin und Depeche Mode, The Cure und Oasis, Sänger wie Van Morrison, David Bowie und Mark E. Smith oder auch Sängerinnen wie Marianne Faithfull, Patti Smith und Crissy Hine, die bestimmte popkulturelle Moden, Stile oder Trends gesetzt haben, einen mehr oder weniger bedeutenden Teil ihrer eigenen Biographie dar. Mit ihren Songs oder Texten sind sie sozialisiert worden, haben deren Lebensstile und Lebensentwürfe mehr oder weniger imitiert oder kopiert; und mit ihnen haben sie diverse emotionale Höhen erklommen oder Tiefen durchschritten, Momente der Glückseligkeit, genauso wie Augenblicke der tiefsten Enttäuschung und Niedergeschlagenheit.

Adam Green

Mittlerweile sind etliche dieser Helden in die Jahre gekommen. Einige davon sind, wenn sie nicht das Zeitliche gesegnet haben oder längst einem bürgerlichen Beruf nachgehen, weiter musikalisch aktiv und tingeln nach wie vor durch die Lande. Wie Ozzy Osbourne, Willy DeVille, Mick Jagger oder andere haben sie, meist mangels Alternativen, den Zeitpunkt des Endes ihrer Karriere versäumt. Neues oder gar Innovatives ist von ihnen aber nicht mehr zu erwarten. In der Regel zitieren sie sich nur noch selbst, sie spielen die alten Hits, Übernehmen (wie Madonna) Vormund- oder Patenschaften für andere oder umgeben sich (wie Nancy Sinatra und Johnny Cash) mit jungen und hoffnungsvollen Talenten vom Schlage Jarvis Cockers, Damon Albans oder Rick Rubins, die ihnen geeignete Songs, Rhythmen oder Arrangements auf den Leib schneidern.

Zombie-Kultur

Selbst der alte Meister und König (der andere, selbst Ernannte, steht im Moment wegen seiner "Vorlieben" vor einem US-Gericht) macht da keine Ausnahme. Als Mythos und lebende Legende reist er nach wie vor kreuz und quer über den Erdball, gibt aber weder Interviews noch lässt er sich fotografieren, und oft interpretiert er dabei seine Klassiker bis zur Unkenntlichkeit neu. In allerjüngster Zeit hat er zudem angefangen, seine Vita zu Lebzeiten für die Nachwelt akribisch aufzuschreiben (Chronicles), ein untrügliches Zeichen dafür, dass von ihm nichts mehr zu erwarten ist.

Conor Oberst

Von anderen Potentaten wiederum, die einst heftig verehrt und lange als Kronprinzen gehandelt wurden, aber den Thron ebenso wie Prinz Charles niemals besteigen werden, sind Fangemeinden wie Schreiberlinge in den letzten Jahren entweder bitter enttäuscht worden, wie etwa von Neil Young, der sich zum glühenden US-Patriot erklärt und dabei seinem "Rockin' in the Free World" seinen eigentlichen (sprich: imperialistischen) Sinn gegeben hat. Oder sie haben wie Kurt Cobain mit seiner Krachcombo "Nirvana" die hohen Erwartungen einfach nicht erfüllt, die manche Leute, aus welchen Gründen auch immer, in sie gesetzt hatten. Gewiss hat Nirvana eine Stilrichtung geprägt und die Befindlichkeit einer bestimmten Generation in Worte, Takte und Rhythmen gefasst. Das ist auch gar nicht der Punkt. Für musikalisch höhere Ansprüche taugte die Bandbreite, die die Band besaß und abdeckte, allerdings nicht.

Bevor wir hier von deren Fans ob dieser Sätze gesteinigt werden, sollte man die Probe aufs Exempel machen und versuchen, sich die kurz vor Weihnachten mit großem Tamtam unters Volk gebrachten Nirvana-Box im Nonstop-Durchlauf anzuhören. Spätestens nach dem dritten oder vierten Song wird der Hörer diesen Selbstversuch entnervt abbrechen und zugeben müssen, dass der Band außer "Smell like Teen Spirit" nur noch ein paar bemerkenswerte Songs gelungen sind. Der Rest, den die Band produziert hat, ist nicht mehr als Durchschnitt und daher der Rede kaum wert. Kein Wunder, dass durch Mythen und Legenden über Cobain die Combo weiter im Gespräch bleiben wird, sie aber nach dem tragischen Tod ihres Leaders sang- und klanglos unterging.

Viele junge Talente

Warum der Heroisierungsdruck, dem die Musikpresse zweifelsohne wie kaum eine andere ausgesetzt ist, wieder zugenommen hat, dürfte auch am Popmarkt liegen. Er ist wieder in Bewegung gekommen, seitdem sich alle Casting-Projekte als Rohrkrepierer erwiesen und legale, aber vor allem illegale, Tauschbörsen die Lust an Musik beim Publikum wieder geweckt haben. (Statt ständig über Piraterie zu klagen und schärfere Gesetze anzumahnen, sollte die Musikindustrie lieber mal über diese durchaus positiven Begleiterscheinungen des "Datenklaus" berichten, von denen sie indirekt auch profitiert).

Vor allem die Indie-Szene hat binnen kurzer Zeit eine Vielzahl hoffnungsvoller und hungriger Talente und Künstler hervorgebracht. Nicht nur in den klassischen Ländern wie England oder den USA, sondern auch in Kanada und Schottland, Australien und Deutschland, Frankreich und Skandinavien. Neben den Bombast-Rockern The Trail of Dead und Arcade Fire, (von Spex und Spiegel gerade gehypt), die ihren erdigen Gitarrensound mit Elementen der Klassik veredeln, zählen dazu (um nur noch ein paar andere zu nennen) sicherlich auch die Kings of Leon und die Hives, die Scissor Sisters und Maximo Park. Allesamt bedienen sie sich ungeniert am reichhaltigen Fundus der Popgeschichte, schlachten Stilrichtungen und Rhythmen bedenkenlos für ihre Zwecke aus, zitieren munter, covern oder mischen mit Hilfe neuester Techniken neu ab und gewinnen auf diese Weise dem Sound vergangener Jahrzehnte interessante und bisweilen noch unbekannte Hörgewohnheiten ab.

Ob sie musikalisch tatsächlich gut genug sind und mehr abfeuern als bloßes Strohfeuer, wird die Zukunft beweisen. Sie wird zeigen, ob sie außer Talent und Selbstbewusstsein auch über die nötige Qualität verfügen, um sich länger als ein paar Jahre dort zu halten. Sie wären nicht die ersten, die nach erfolgreichen Debüts wieder sang- und klanglos von den Hochglanzseiten der Popmagazine verschwänden.

Antipoden des Pop

Nach übereinstimmender Meinung aller Beobachter müssen Adam Green und Conor Oberst sich davor nicht fürchten. Sie sind nicht nur längst über diese kritische Phase hinaus, sie gelten beide als hochbegabt und Wunderkinder der Branche. Beide sind unverbraucht, jugendlich und, nach Einschätzung von Beobachter/innen, zum Verlieben süß; beide eignen sich, allein schon wegen ihres Aussehens, als Coverboys und damit für die Projektion heimlicher Wünsche, Sorgen und Sehnsüchte; und als entschiedene Bush-Gegner genügen beide auch dem Anforderungsprofil des hiesigen Pop-Establishments.

Adam Green

Damit ist es aber auch schon mit den Gemeinsamkeiten aus. Der Rest könnte gegensätzlicher nicht sein. Repräsentiert der eine das Anonyme, Hektische und Bedrohliche urbaner Bars, Clubs und Häuserschluchten, spiegelt der andere das Beschauliche, Weite und Naturbelassene, aber auch die soziale Enge der ländlichen Provinz wider; parodiert der eine diverse Musikstile und Diskursgenres und albert sich als Ulknudel, Blender und Trickser durch Konzerthallen, Medien und Musikbusiness, agiert der andere dort höchst authentisch und fordert das Publikum zu neuer Nachdenklichkeit und Ernsthaftigkeit heraus. Macht der eine lieber in bizarr-verschrobene Poesie, deren Sinn sich nicht unmittelbar einstellen will, erzählt der andere richtige Geschichten aus dem Leben, über sich und die Einsamkeit, über Wahnsinn und Wahrheit, Verzweiflung und Tod; benutzt der eine Bühne und Öffentlichkeit als Versuchslabor für seine überschäumende Fantasie, lässt sich der andere dort von seinen Gefühlsstürmen forttragen und andere an seinem Weltschmerz teilhaben.

Es verwundert daher nicht, dass der Widerstreit, der sich an beiden Personen entzündet, kulturwissenschaftlich auch noch aufgeladen wird. Verkörpert Adam Green Oberflächlichkeit und Postmoderne, Ironie und Schein, Indifferenz und Relativismus, steht Conor Oberst für die Tiefe der Ansprüche der Moderne, für Ernsthaftigkeit und Sein, Welthaltigkeit und Substanz. So wie beide philosophischen Denkrichtungen sich diametral widersprechen, die eine Haltung (Nietzscheaner) die andere (Hegelianer) grundsätzlich ausschließt, genauso unterschiedlich sind auch die Welten, die sie repräsentieren und für die sie buchstäblich einstehen müssen.

Die Meinung darüber, wem von beiden die Krone gebührt, ist dementsprechend auch geteilt. Am weitesten sind bislang Der Spiegel und die Berliner Zeitung vorgeprescht. Würden die Hamburger am liebsten beide auf den Königsthron hieven, halten die Berliner den ländlichen Folkwuschel für aufgebauschten Schrott, mehr jedenfalls als den treuherzig dreinblickenden Green, den man dort sehr verehrt. Nimmt man dagegen den Publikumszuspruch als Maßstab oder Gradmesser, dann ist die Entscheidung längst gefallen. Während sich Adam Green über ausverkaufte Konzerthallen freuen darf, muss sich Conor Oberst von Bright Eyes mit kleineren Hallen zufrieden geben, die obendrein meist nur gut gefüllt waren.

Lackmustest

Die Wahrheit aber, so erfahren wir Samstag für Samstag, liegt nicht auf den Rängen, und auch nicht auf den Titelseiten, sondern allein auf dem Platz. Dort wird über Schein und Sein, Wahrheit und Lüge, Können und Kitsch entschieden. In aller Regel werden dort Blender und Trickser rasch entlarvt.

Über die Performance, die Adam Green in der Münchener Muffathalle hingelegt hat, haben wir jüngst berichtet (Emily was here). Sie war unserem Dafürhalten nach alles andere als berauschend. Viel Blendwerk, wenig Qualität und musikalische Substanz.

Gespannt sahen wir deshalb dem Auftritt des anderen "Wunderkindes" entgegen. Oberst hatte zwar kein Buch bei Suhrkamp vorzuweisen, dafür aber eine stattliche Anzahl von Longplayern, die er auf einem eigenen Label (Saddle Creek) und mit ständig wechselnden Ensembles oder Personal eingespielt hatte. Darunter das fantastische Album "Fevers and Mirrors" mit so wunderbaren Songs wie "Arienette", "When the curious girl realizes she is under glass" oder "Haligh, Haligh, a lie, haligh".

Anfang des Jahres hatte Conor Oberst dann zum großen Coup ausgeholt und gleich zwei Scheiben auf einmal publiziert, eine beschauliche, höchst herzerweichende Folkplatte mit dem Titel: "I'm Wide Awake, It's Morning", und eine eher komplizierte, von schrägen experimentellen Elektroniktönen getragene Scheibe namens "Digital Ash In A Digital Urn". Allein diese Tatsache, zwei Werke zeitgleich in Umlauf gebracht zu haben, brachte ihm den Ruf ein, bereits in jungen Jahren dem Größenwahnsinn verfallen zu sein. Nur die Allergrößten der Branche (siehe Bruce Springsteen oder Grateful Dead) haben sich in der Vergangenheit zu solchen Großtaten hinreißen lassen.

We are nowhere, but it's now

In der Münchner Elserhalle trat er mit dem "Wide Awake"-Album im Gepäck an. Das Publikum war allem Anschein nach dasselbe wie eine Woche zuvor bei Adam Green. Vielleicht hatten sich ein paar graumelierte Mitvierziger mehr unters Volk gemischt, Studienräte vielleicht, die Rolling Stone lesen. In ihrer Januar-Ausgabe hatten deren Leser Conor Oberst zum Mann des Jahres 2005 gewählt. Trotzdem schien alles irgendwie anders zu sein.

Es begann schon viel versprechend mit der Vorband Rilo Kiley, die wundervoll gespielte und gesungene Melodien in die Halle zauberte und bewies, dass es diesen Abend nicht um Klamauk, Reklame oder Aussehen, sondern um Qualität, Können und die Kunst des Musikmachens ging. Was der Sängerin Jenny Lewis und dem Gitarristen Blake Sennet, den "Köpfen" der Kalifornier, exzellent gelang, steigerte sich mit den Bright Eyes noch. Bereits nach den ersten Takten schienen Emotion pur, Lust, Begeisterung und Leidenschaft auf das Publikum herabzusprudeln. Oberst begnügte sich nicht, seine Songs einfach nachzuspielen, sondern gab manchen von ihnen, die auf dem Album nur akustisch zu hören sind, elektrische Sporen. Egal, ob allein mit der Gitarre oder zusammen mit der Band, mal flehte und greinte Oberst mit brüchiger Stimme, mal schrie er seine Wut und Verzweiflung einfach hinaus, um danach wehmütig und abrupt in wieder in sich zusammenzufallen.

Obwohl wir gelernt haben, allem, was irgendwie als authentisch bzw. echt gilt oder zumindest danach ausschaut, mit gesundem Misstrauen zu begegnen, hatten wir nicht den Eindruck, dass da einer gekünstelt agiert oder er die Zerrissenheit seiner Gefühlswelt nur spielte. Das war unserem Blick nach keine Masche, sondern lebendige Präsenz und gelebte Gegenwart, so wie sie jüngst Sepp Gumbrecht gefordert hat (Fischen im Trüben). Hier verschmolz jemand mit seinem Spiel; hier "lebte" einer sein Elend und seine Seelenpein; hier war das Medium wieder zur Botschaft geworden.

Heidegger und Bataille hätten, wenn sie sich denn jemals solche Musik angetan hätten, ihre wahre Freude daran gehabt. Sogar dann noch, als Oberst und seine Band (im Zugabenteil) Beethovens Ode an die Freude, deren Thema sie in "Road to Joy" covern, durch stetig wachsenden Lärm und die Zunahme dissonanter Klänge, Schritt für Schritt zerstörten und dem blinden Furor bzw. der nihilistischen Erlösung übereigneten.

Die gleiche Konzentration, Aufmerksamkeit und Intensität, die er zu geben bereit war, verlangte er allerdings auch vom Publikum. Als einige Zuhörer diesem Verlangen nicht mehr nachkommen wollten, stoppte er während eines Songs das Spiel und fuhr erst dann wieder fort, als diese bereit waren, sich auf das Konzert zu konzentrieren. Uns erinnerte die Szene an Robin Proper-Sheppard, den Kopf von Sophia, der Ähnliches von den Zuhörern forderte und im Konzert höchst allergisch reagierte, als diese sich während seines Spiels angeregt miteinander unterhielten.

Qualität statt Marktgeschrei

Nein, "Wohlfühlmusik" hört sich anders an, und ein "Wellness-Troubadour", wie Die Zeit schreibt, auch. Ein solcher schüttet jedenfalls nicht während eines 80-minütigen Konzertes wahllos Rotwein und Bier bis zum Abwinken in sich hinein und "zerschlägt im Taumel der Gefühle" zu guter Letzt auch noch seine Gitarre. Zum "Kuscheln", "Schunkeln" oder gar plumpen "In-die-Arme-nehmen", wie die Berliner Zeitung ernsthaft behauptete, taugte die Musik jedenfalls nicht. Dafür hackte Conor Oberst zu sehr auf seinen Akustiksaiten herum, dazu laden auch seine Texte nicht ein, und dafür verliert er zu häufig Fassung und Selbstkontrolle.

Gewiss verdankt Conor Oberst seinen Karriereschub nicht bloß seiner außergewöhnlichen Begabung oder seinen schönen Augen, sondern auch jenem Umstand, dass Bruce Springsteen und Michael Stipe ihn im vergangenen Herbst mit auf die "Vote For Change"-Tour mitnahmen. Das zwar vergebliche Anti-Bush-Getrommle führte zumindest dazu, dass Oberst einem breiterem Publikum bekannt wurde, seine Platten (Lua, Take it easy) die obersten Plätze in den Hitparaden eroberten und er zu David Letterman in dessen "Lateshow" eingeladen wurde. War das der Grund, warum Harald Schmidt Adam Green zu sich einlud?

Albern sind Vergleiche allemal. Erst recht, wenn sie mit Bob Dylan gemacht werden. Den beiden Burschen ist kein Vorwurf zu machen. Sie haben sich ja nicht um die Stelle beworben oder erheben Anspruch darauf. Es besteht auch kein Anlass, diesen Platz neu zu verhandeln. Weshalb der Vergleich auch eher eine Haltung und ein Begehren des Pop-Feuilletons und der Musikpresse ausdrückt. Offensichtlich gibt es dort ein wachsendes Verlangen danach, Erlebtes, Gehörtes oder Gelesenes durch Rückbezug auf Altes und Bekanntes besser verstehen und einordnen zu können; und offensichtlich gibt es vor allem bei den Platzhirschen der Branche den Wunsch, das Vergangene und vor allem das als positiv Empfundene in die Gegenwart hereinzuholen. Retro-Journalisten, die nicht zuletzt auch das Nachrücken junger, unverbrauchter Talente verhindern, tragen das Ihrige dazu bei, alle Versuche eines Herbeiredens des Revivals der "schönen Zeiten" lächerlich erscheinen zu lassen. Die "good old days" sind auch mit noch so raffinierten Zeitmaschinen weder wiederhol- noch rückholbar.

Statt sich deshalb weiter im Marktgeschrei zu üben oder daran zu beteiligen, sollten diese sich wieder mehr an musikalischen oder poetischen Qualitäten orientieren. Dann fiele die Entscheidung (wenn's denn unbedingt sein muss), wer von beiden die Krone bekäme, auch leicht. Doch schon wird "die nächste Sau durchs Dorf getrieben". Auch "sie" eignet sich wieder für vielfältigste Projektionen, Wünsche und Geschichten. Es handelt sich um Rufus Wainwright, Sohn des Althippie Loudon Wainwright III, der als jüngstes Wunderkind gefeiert wird. Als Coverboy prangt er, mit dem Vermerk "Der Göttliche", auf dem Titelbild des aktuellen Rolling Stone.