"Freundliche Intervention" auf der Krim
Seite 2: "Unsere Väter haben auf der Krim ihr Blut vergossen"
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Den Russen scheint Putins Politik gegenüber der Ukraine zu gefallen. Die Popularität des russischen Präsidenten ist in den letzten zwei Wochen mit 67,8 Prozent auf den höchsten Wert innerhalb der letzten zwei Jahre gestiegen. Der Pressesprecher des russischen Präsidenten, Dmitri Peskow, erklärte, Putin sei "der Garant der Sicherheit der russischen Welt". Es gehe allerdings nicht um die Sammlung von Boden, "wie in den letzten Jahrhunderten". Auch gehe "die Sammlung der Russen" nicht vom Kreml aus, sondern sei "ein natürlicher Prozess".
Wenn man auf die Straße in Moskau die Leute fragt, was sie davon halten, dass russische Truppen auf die Krim geschickt wurden, hört man meist ähnliche Antworten. Das sei kein militärisches Eingreifen, meint ein Wachmann - Mitte vierzig - am Ewropeiski-Einkaufszentrum, das direkt am Kiewer Bahnhof liegt: "Wir holen uns die Krim nur zurück." Die Väter hätten im Zweiten Weltkrieg auf der Krim ihr Blut vergossen. Russland habe also ein Recht auf die Halbinsel.
"Das ist eine Friedensmission, kein Krieg", meint ein junger Mann, Anfang zwanzig, der mit seinem Freund und einer Freundin die abendliche Frühlingsluft genießt. Dass russische Soldaten auf der Krim sind, das sei schon richtig: "Die beschützen die Russen auf der Krim". Ob alle in Russland so denken? "Die Hälfte der Russen denkt so, 30 Prozent sind gegen ein militärisches Eingreifen, 20 haben keine Meinung", meint der zweite junge Mann und erzählt, dass er sich seine Informationen vor allem aus dem Internet holt.
Ein anderer junger Mann - Mitte dreißig - sagt:
Eigentlich bin ich auch für Pazifismus, so wie in Europa. Aber in diesem Fall ist es schon richtig, dass russische Soldaten auf der Krim sind. Sie schützen die Durchführung des Referendums.
Die Freundin des Mannes, die bisher schweigend daneben stand, erzählt, dass sie selbst Ukrainerin ist - und dass es schon heikle Situationen gab. Verwandte aus der Ukraine hätten am Telefon geschimpft: "Seid ihr verrückt geworden, warum schickt ihr Truppen?" Die junge Dame wusste dann nicht, was sie antworten sollte.
Unterstützung für Putins Vorhaben, Truppen in die Ukraine zu schicken, gab es auch vom Vorsitzenden der Kommunistischen Partei, Gennadi Sjuganow. Für den KP-Vorsitzenden sind die russischen Soldaten auf der Krim so etwas wie eine Friedenstruppe. Gegenüber dem Fernsehkanal Vesti erklärte Sjuganow: "Russland ist in der Lage zu verhindern, dass sich die Bürger auf der Krim und den östlichen Gebieten der Ukraine bewaffnen."
Liberale sehen Parallele zum Anschluss von Österreich 1938
Eine ganz andere Position beziehen die dem Westen gegenüber freundlichen Liberalen in Moskau. In einem von Einzelpersonen über das Internet verbreiteten Aufruf zu Demonstrationen vor dem Verteidigungsministerium und dem Manege-Platz am Sonntag vor einer Woche in Moskau hieß es: "Eine Militärintervention in der Ukraine führt tatsächlich zum Dritten Weltkrieg." Russen und Ukrainer seien nichts weiter als ein "Faustpfand in der Hand von Verbrechern".
An den nicht genehmigten Protestaktionen der liberalen Kriegsgegner nahmen am Sonntag vor einer Woche 800 Menschen teil. Die Polizei ging rigoros vor. 361 Demonstranten - von denen einige die Hymne der Ukraine gesungen hatten - wurden von der Polizei festgenommen, berichtete die liberale Rechtsschutz-Website ovdinfo.org.
Ein Riesen-Echo im liberalen Lager gab es auf einen in der Wirtschaftszeitung Vedomosti veröffentlichten Artikel des Moskauer Historikers Andrej Subow, der die Entsendung von Truppen in die Ukraine mit dem Anschluss von Österreich an Hitlerdeutschland vergleicht. Der Artikel wurde von Internet-Usern 42.000 Mal geteilt. Gerüchte, Subow sei wegen des Artikels aus der Leitung der Moskauer Hochschule MGIMO entlassen worden, bestätigten sich nicht.
Der Vergleich mit dem Anschluss von Österreich ist sachlich falsch. Von dem Alpenland drohte Deutschland keine militärische Gefahr. Doch die ukrainische Führung plant offenbar, das Land in die Nato zu führen. Solch eine Entwicklung will der Kreml verhindern, indem er der neuen Regierung in Kiew das Leben schwer macht.
Neue Linke gegen Einmischung
Dass die Moskauer Liberalen, jetzt von der Gefahr eines Dritten Weltkriegs reden, ist für den linken Moskauer Politologen Boris Kagarlitsky nichts anderes als "Hysterie". Schändlich sei auch, dass diese Liberalen, die jetzt "besonders laut von der Kriegsgefahr schreien, noch gestern jede amerikanische Intervention in beliebigen Regionen der Welt unterstützt haben".
Für die Linke sei es eine prinzipielle Position, dass man gegen jede ausländische Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Ukraine auftrete, "egal ob von Seiten der Nato, Russlands oder der EU". Ein Bürgerkrieg in der Ukraine wäre zurzeit noch die geringere Gefahr, "da können zwei Seiten verhandeln". In der Ukraine, wo die Regierung die zahlreichen bewaffneten Gruppen nicht kontrolliere, drohe ein Krieg "Jeder gegen Jeden", so der Politologe, der darauf hofft, dass aus der Protestbewegung der Russen im Osten der Ukraine eine soziale Bewegung wird. Die Einsetzung der Oligarchen Sergej Tatura und Igor Kolomojsky als Gouverneure in Donezk und Dnepropetrowsk sowie die geplanten harten Sparmaßnahmen der neuen Regierung in Kiew könnten seiner Ansicht nach die Entwicklung einer sozialen Protestwelle begünstigen.
In Moskau gründeten am 27. Februar 23 linke Organisationen - von der KPRF-Abspaltung Interregionale Vereinigung der Kommunisten über die "Bewegung der Kommunarden" bis hin zur "Linken Front" einen "Antifaschistischen Stab" zur Hilfe für die Linken in der Ukraine. In der Ukraine wurden Büros der Kommunistischen Partei der Ukraine von rechtsextremen Schlägern verwüstet. Linke Aktivisten auf dem Maidan wurden von Rechtsextremen zusammengeschlagen. Die Links-Organisationen rufen die Bürger der Ukraine auf, "alle möglichen Informationsressourcen zu nutzen und den Abgeordneten der Werchowna Rada das Misstrauen auszusprechen, am Wohnort und in den Arbeitskollektiven Selbstschutz-Einheiten und Selbstverwaltungsorgane zu bilden".
"Nationalisten waren am besten organisiert"
Schuld an der Krise in der Ukraine ist nach Meinung der russischen Links-Organisationen die Politik unter Viktor Janukowitsch und die Auswirkungen der internationalen Finanzkrise. Beides habe zu "unerträglichen Lebensbedingungen" für die Menschen geführt. Die plötzliche Absage an die EU-Integration habe den massenhaften Protest dann ausgelöst: "Am besten vorbereitet auf den Protest waren die nationalistischen Bewegungen." Doch sowohl "der westliche als auch der russische Imperialismus" hätten "kein richtiges Mitgefühl" mit den Menschen in der Ukraine und würden deren Situation "nur für sich ausnutzen", heißt es in der Erklärung.
Aleksej Simojanow, Moskauer Politologe und Mitarbeiter des Instituts für Globalisierung und soziale Bewegungen, meint, die ukrainische und die russische Linke seien angesichts des Anwachsens des Nationalismus in beiden Ländern "demoralisiert". Doch die Ereignisse in der Ukraine eröffnen nach Meinung des Politologen für den Antifaschismus in Russland neue Perspektiven. Die Bilder von "faschistischen Banden" in Kiew, "die von ihrer ethnischen Überlegenheit überzeugt sind", stoßen heute auch auf Ablehnung bei einem "bedeutenden Teil der Intellektuellen und Zeitgenossen in Russland".
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