Frühwarnsystem Fußball

Rassismus in Spanien: Die Primera Division scheint für gesellschaftliche Trends in Europa einen Laborcharakter zu haben

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Rassismus ist in Spanien nach den Madrider Anschlägen vom 11. März 2004 zu einem akuten Problem geworden Aufenthaltsgenehmigung, Abschiebung und Abschottung). Im spanischen Fußball, der, und darüber lässt sich streiten, weltweit wohl die größte Aufmerksamkeit innerhalb der Branche genießt, haben sich die sozialen Spannungen etwas frührer entladen. Auch in Italien, England, Holland und Deutschland kennt der Fußball rassistische Übergriffe. Doch es ist die Primera Division in Spanien, die die Rolle eines Labors für zukünftige Trends in Europa zu haben scheint.

Das Stadion als schwarzes Loch der spanischen Gesellschaft. Bernabeu Stadion in Madrid

„La Masa“ ist ein Café in einer Vorstadt von Barcelona. Bereits am frühen Nachmittag herrscht dort eine Atmosphäre wie in den Abendstunden. Das Lokal ist bis auf den letzten Platz gefüllt, die Luft ist rauchgeschwängert, die Leute trinken Bier und reden lauthals. Die zweite Etage - eine begehbare, drei Meter in den Raum reichende Auskragung mit Tribünencharakter - ist mit einem Fahrstuhl oder über eine Treppe erreichbar, auch dort gibt es gegen 17 Uhr keinen Sitzplatz mehr.

Einige Gruppen von Jugendlichen haben sich oben in Position gebracht, alle haben ihre Sonntagskluft aus dem Fanshop des FC Barcelona übergeworfen, tragen Schals und Kappen. Ihre Fahnen, mit einem entsprechenden Vereinswappen bestückt, haben sie auch schon aufgerichtet und blicken gespannt nach unten, wo in der linken Ecke des Cafés ein gigantisches Fernsehgerät mit einem entspiegelten Flachbildschirm steht. Kurzgeschlossen mit den überall im Café verteilten Lautsprechern, schlägt es die Anwesenden in den Bann, sobald das Spiel angepfiffen worden ist.

An jenem Tag spielt der FC Barcelona gegen Real Madrid. Das Spiel der Spiele, der erste gegen den zweiten. Doch der Favorit aus Katalonien, der die Primera Division anführt, muss auswärts spielen und damit auch gegen eine gigantische Fankulisse, die „Real“ gewinnen sehen will. Es scheint, als wollten die Besucher des „La Masa“ diesen Nachteil wettmachen - immer wenn einer ihrer geliebten Stars am Ball ist, hebt sich abrupt der Lautstärkepegel ins schier Unermessliche, aus allen Ecken erschallen Anfeuerungsrufe und Sprechchöre.

Doch es nützt nichts, bereits zur Halbzeit liegt „Barca“ mit 1:2 zurück. Während der zweiten Halbzeit baut „Real“ die Führung weiter aus, in der letzten halben Stunde des Spiels wird es im Café beängstigend still, am Ende steht es 2:4. Das Café leert sich rasch, gesenkten Hauptes gehen die Fans nach Hause. Am nächsten Tag, dem 11. April, sind die Zeitungen voll mit den Nachrichten des sonntäglichen Matches. Auf allen Titelblättern prangen Fotos von der Begegnung, allein El Pais, die größte Tageszeitung des Landes, widmet dem Spiel mehr als sechs Seiten.

Das schwarze Loch der Gesellschaft

Auf mehr als sechs Seiten wird von allen Aspekten der Begegnung berichtet. Alle denkbaren Perspektiven werden eingenommen, nichts scheint unerwähnt zu bleiben, alles zwischen Foul und Glamour kommt zur Sprache. Und doch bleibt eine Sache unter dem Tisch. Etwas, das in der Regel in keiner spanischen Zeitung erwähnt wird: Immer wenn ein farbiger Spieler am Ball ist, beginnt die Stadionmenge Affenschreie zu imitieren, nicht alle stimmen in das Schauspiel ein, jene, die sich zurückhalten, dulden es allerdings stillschweigend. Doch nicht nur Zuschauern, selbst den TV- und Radio-Sendern wird Komplizenschaft nachgesagt.

Sobald das so genannte „monkey chanting“ beginnt, werden angeblich die Tonkanäle adjustiert, um zu verhindern, dass die rassistische Beschallung des Spielfelds die Öffentlichkeit jenseits des Fußballstadions erreicht. Tatsächlich dringt im „La Masa“ beim Spiel zwischen „Barca“ und „Real“ kein „monkey chanting“ aus den Lautsprechern des Fernsehgeräts. Doch warum wird ein solcher Aufwand getrieben, wenn es alle in Spanien ohnehin wissen? Weil es ein Ritual ist, bei dem die Gesellschaft ihr Nicht-wissen-Wollen kultiviert. Schwerwiegende Beleidigungen, Körperverletzung und andere gegen die farbigen Superstars der Primera Division verübten Rassismen sind in Spanien zu Begleiterscheinungen des millionenschweren Sportgeschäfts geworden. Aber die breite Masse will nichts davon wissen.

Denkwürdige Bildauswahl lässt den teuren Fußballstar und Werbeträger Ronaldhino nicht besonders gut aussehen, El Pais 11.04.2005

Im November 2004 zeigte sich symptomatisch, dass sich die Besuchermasse des Fußballspiels analog zu der spanischen Gesellschaft verhält. Während eines Freundschaftsspiels zwischen England und Spanien unterschied sich das Verhalten der Fans im Madrider Bernabeu-Stadion nicht von anderen Spielen. Sobald ein Farbiger am Ball war, ging im Stadion der Affenschrei umher. Dennoch ging es in die Geschichte ein als „eines der wichtigsten politischen Ereignisse im Europa des Jahres 2004; als die größte rassistische Massendemonstration der letzten Jahre“, wie Martin Jacques in „The Observer“ schrieb.

Wie konnte dieses Ereignis einen solchen Status erlangen? Die Beobachter scheinen sich bei der Beantwortung dieser Frage einig zu sein. Der Rassismus der Fans wurde erstmals unter den Augen einer internationalen Öffentlichkeit offenkundig. Das prestigeträchtige Spiel wurde von Kameras aus der ganzen Welt eingefangen und von hochrangigen Besuchern aus England verfolgt, die schlichtweg empört waren. Und die das skandalöse Verhalten der Fans nicht dulden wollten und in Folge dessen Alarm schlugen. Nun ist von der Krise des spanischen Fußballs die Rede und von der Krise der spanischen Gesellschaft en gros.

Spaniens Botschaft für den Nahen Osten

Die „staatstragende“ Funktion des Fußballs in Spanien wurde durch die jüngste Nahost-Reise von "Reals" Ronaldo unterstrichen, frei nach dem altbekannten Motto: Sobald die nationale Aufmerksamkeitsökonomie um einen Konflikt im Ausland zentriert ist, werden Probleme daheim ausgeblendet. Während der Brasilianer in seinem Arbeitgeberland rassistischen Anfeindungen ausgesetzt ist, über die so gut wie niemand berichtet, fand sein nur zweitägiger Besuch in Israel und Palästina ein gehöriges Echo in den spanischen Medien. Große Tageszeitungen wie El Mundo berichteten und das Angebot diverser Websites schien es möglich zu machen, die Reise auf Schritt und Tritt zu begleiten.

Ronaldos Anreise in einer präsidialen Limousinenkolonne, beschützt von einem Polizeiaufgebot, wie es sonst nur Staatsmännern zuteil wird; Ronaldos Aufenthalt im „Jersualem Oriental“, das er diplomatischerweise zugunsten eines israelischen Etablissements gewählt haben soll; Ronaldos Begegnung mit dem israelischen Vizepräsidenten Simon Peres, dessen Worte über sie staatstragende Rolle von Fußball immer wieder zitiert worden sind:

„El deporte en general, y el fútbol en particular, acerca a las personas entre sí y pueden lograr lo que no consiguen a veces los estadistas y los políticos“.

Ebenso nicht unerwähnt blieben Ronaldos vollmundige Botschaften an die Fans, die er im Namen der gesamten Mannschaft von Real Madrid grüßte - Grüße von der brasilianischen Nationalmannschaft scheinen nicht an der Tagesordnung (der Berichterstattung) gestanden zu haben. Ronaldo kam immerhin aus Madrid in ein Land, das seit Dekaden zerrissen ist und in dem der ausgetragene Konflikt zum Alltag gehört. Und er kam - so das Selbstverständnis der UNPD-Kampagne - als Botschafter aus einer besseren Welt, um Frieden zu stiften zwischen den Fronten.

Ronaldo in Ramalla als Botschafter aus einer besseren Welt, 17.05.2005

Koordinatensystem des Rassismus

Während Fußball in Israel und Palästina mit religiös gemischten Teams die Wunden des Konflikts heilen soll, ist der Sport im Arbeitgeberland von Ronaldo zu einem Gradmesser für die Probleme der Gesellschaft geworden. Wie Santiago Seguroila, Sport-Redakteur bei El Pais, erklärt:

Spanien war lange Zeit eine geschlossene Gesellschaft ohne nennenswerte Einwanderung. Jeder hier war Spanier. Es war der Fußball, der in den 1950er und 1960er Jahren die erste große Welle von Farbigen aus Lateinamerika und Afrika in unser Land brachte. In jener Zeit hatten wir kein Problem mit rassistischen Gesängen in den Stadien. Aber in den letzten 15 Jahren ist Spanien erstmals von einer massiven Einwanderungsflut erfasst worden. Seit dem gibt es Spannungen in der ganzen Gesellschaft, die durch die Anschläge in Madrid vergrößert worden sind.

Im spanischen Fußball kommen die Spannungen der Gesellschaft nicht zuletzt deshalb besonders stark zum Tragen, weil es sich jenseits des Spielfelds um einen „White Men's Club“ handelt. Trainer, Klub-Präsidenten, Ärzte, aber auch die Belegschaft der Medienindustrie (Redakteure, Reporter, Moderatoren, etc.) sind in den meisten Fällen „weiß“. Eine prominente Ausnahme stellt der Trainer des FC Barcelona dar, ein Farbiger mit Dreadlocks-Kurzhaarschnitt, der Frank Rijkjaard heißt. Mit dem just besiegelten Triumph seiner Mannschaft in der Primera Division - die Auswärtsniederlage gegen „Real“ konnte „Barca“ die Meisterschaft nicht versalzen - könnte ein Zeichen gesetzt werden.

Der FC Barcelona steht seit geraumer Zeit für ein plurales Spanien, seit seiner Gründung im Jahre 1899 verbindet der Verein Sport und Politik. Bereits im Bürgerkrieg und während der Franco-Diktatur war der Klub ein politisches Instrument im Kampf gegen Faschismus und Unterdrückung, wie Jaume S. Sabartés in seiner 1982 erschienen Studie „El F.C. Barcelona sota el franquisme 1939-1975“ nachgezeichnet hat. Wie auch gestern stehen sich heute mit der katalanischen und der kastilischen Utopie zwei Nationalismen gegenüber, denen unterschiedliche Entwürfe der spanischen Nation zu Grunde liegen: Während der FC Barcelona für ein plurales Spanien steht, repräsentiert „Real“ den Zentralismus der Madrider Regierung. Nun scheint der katalanische Verein mit seinem Saisonsieg in der Primera Division die kastilische Vorherrschaft in Zweifel gezogen und damit das Selbstbild Spaniens als homogene Nation zentralistischer Prägung untergraben zu haben. Doch die Konsequenzen dieses symbolischen Triumphs sollten nicht überschätzt werden.

Letzten Endes stellen die rassistischen Übergriffe gegen die farbigen Spieler des FC Barcelona ein bleibendes Problem dar. Die Hemmschwelle ist niedrig, die Gesetzeslage lasch und es scheint, als ließen die teils astronomischen Gagen der afrikanischen und lateinamerikanischen Stars massiven Protest erst gar nicht aufkommen. Sollten jene, die ein Millionengehalt beziehen, nicht in der Lage sein, einiges einstecken zu können? Angesichts dieser Situation scheinen die Spieler in einem schier hilflosen Schwebezustand suspendiert zu sein. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass der beim FC Barcelona tätige kamerunische Stürmerstar Eto'o dazu übergegangen ist, auf Affengeschrei während des Spiels, das auch bei Heimspielen seiner Mannschaft nicht ausbleibt, seinerseits mit Affenimitationen zu reagieren.