Fünf Tage Haft ohne Richter und Anklage
Die Energie- und Klimawochenschau: Von Tropenstürmen, Feuerkatastrophen und Eisschwund, von LEAGs Zerstörungswut und Polizeistaatsmethoden im Dienste der Braunkohle
Hattrick: Taifun "Haishen" zog Anfang der Woche als der dritter Tropensturm binnen zweier Wochen über die koreanische Halbinsel und bescherte dieser - und dem benachbarten Japan - schwere Unwetter. Derweil sind auf dem südlichen Nordatlantik mit "Paulette" und "Rene" gleich zwei Tropenstürme unterwegs, die sich demnächst zu Hurrikanen entwickeln könnten, von denen aber zumindest der letztere nicht auf Land treffen dürfte.
Gleichzeitig brennen in Kalifornien (hier ein paar Satellitenaufnahmen der Feuer), im brasilianischen Pantanal - im größten Feuchtgebiet des Planeten -, im ebenfalls überwiegend brasilianischen Amazonasbecken, im Westen Syriens und in der Arktis die Wälder, dabei oftmals neue, traurige Rekorde aufstellend.
Aus Syrien heißt es, dass die Temperaturen in der betroffenen Region 9 bis 11 Grad Celsius über dem sonst in dieser Jahreszeit Üblichen liegen und dies zu den Bränden beigetragen habe. Über die Brände in der russischen und kanadischen Arktis wird berichtet, dass dort mit fast 250 Millionen Tonnen so viel CO2 freigesetzt wurde, wie nie zuvor. Der bisherige Rekord mit gut 180 Millionen Tonnen war erst im Vorjahr aufgestellt worden. Zum Vergleich: In Deutschland werden derzeit jährlich zwischen 750 und 800 Millionen Tonnen durch menschliche Aktivitäten emittiert.
Mit anderen Worten: Rund um den Globus zeigt die Natur dem Menschen in diesen Tagen mal wieder so richtig, was sie für ihn im Rucksack hat, wenn er die Leitplanken verschiebt und den Energiegehalt des Erdsystems in die Höhe schraubt. Genau das passiert nämlich durch die Emission von Treibhausgasen, wobei wir lediglich zwei Prozent davon direkt und unmittelbar als Erwärmung der Atmosphäre mitbekommen.
Drei Prozent wird durch das Abschmelzen der Gletscher gebunden und fünf Prozent durch die Erwärmung der Landmassen. Rund 90 Prozent werden hingegen von den sich erwärmenden Ozeanen aufgenommen, wie österreichische Wissenschaftler hier erläutern.
Diese haben am Montag gemeinsam mit Kollegen aus China, den USA, Frankreich, der Schweiz und einigen weiteren Ländern eine Studie über den Energiehaushalt des Erdsystems veröffentlicht. Der wird durch den Anstieg der Treibhausgase in der Atmosphäre aus dem Gleichgewicht gebracht. Die Treibhausgase sorgen dafür, dass mehr Energie gespeichert werden kann.
Und zwar gewaltige Mengen, wie die neuesten Berechnungen der Grazer Forscher und ihrer Kollegen zeigen. Demnach hat das Erdsystem zwischen 1971 und 2018 rund 100 Millionen Terawattstunden Energie zusätzlich aufgenommen und als Wärme- oder Bewegungsenergie gebunden. (Eine Terawattstunde entspricht einer Milliarde Kilowattstunden oder in etwa dem Jahresstrombedarf von Berlin.) Es können auch gut zehn Prozent mehr oder weniger gewesen sein, denn genauer lässt sich das bisher nicht berechnen.
Jährlich, so die Uni Graz in ihrer oben verlinkten Vorstellung der Studie, kommen derzeit knapp vier Millionen Terawattstunden hinzu, was dem Zwanzigfachen des Weltenergiebedarfs entspräche. Gewaltige Beträge, die unter anderem auch zeigen, wie überaus unsinnig es ist, noch weiter mit großem Aufwand und gewaltigen Umweltzerstörungen verbundene fossile Energieträger zu nutzen, anstatt diese Energien direkt anzuzapfen.
Warme Ozeane
Der weitaus überwiegende Teil dieser zusätzlich im System durch die emittierten Treibhausgase gebundenen Energie landet in den Ozeanen. Dort trägt sie unter anderem durch die wärmebedingte Ausdehnung des Wassers zum Anstieg des Meeresspiegels bei und verbessert zugleich die Bedingungen für die Bildung der eingangs erwähnten tropischen Wirbelstürme.
Diese benötigen für ihre Entstehung nämlich unter anderem eine sehr warme Meeresoberfläche. Wo genau der Grenzwert liegt, ist noch Gegenstand der wissenschaftlichen Debatte, aber die meisten Stürme beginnen sich erst über Wasser zu drehen, wenn dessen Temperatur mindestens 26,5 Grad Celsius beträgt.
Der Klimawandel oder besser: die Klimakrise macht also keine Corona-Pause, sondern zieht immer weitere Kreise. Und zwar mit zunehmender Geschwindigkeit. Allein in den vergangenen 30 Jahren wurde in etwa die Hälfte der CO2-Menge emittiert, die die Menschheit seit der Erfindung der Dampfmaschine mit ihre industriellen Aktivitäten und den großen Rodungen freigesetzt hat. Das ist das Ergebnis einer Berechnung des Institut for European Environmental Policy.
Eisschwund am Nordpol
Die Auswirkungen zeigen sich besonders drastisch in der Arktis, die sich mehr als doppelt so schnell wie der Rest des Planeten erwärmt. Auf dem dortigen Ozean ist die Nordostpassage entlang der russischen Küste seit Wochen eisfrei. Ja, man muss sich nicht einmal entlang der Küste bewegen, sondern könnte auch den direkteren Weg zum Pazifik nördlich der dortigen Inselgruppen nehmen, wie die auf täglichen Satellitenmessungen basierende Eiskarte der Universität Bremen zeigt.
Auf der östlichen Hemisphäre findet sich südlich von 85 Grad Nord derzeit nur noch sehr wenig Eis. In der westlichen Hemisphäre gibt es zwar mehr Meereis und die Nordwestpassage hat sich in diesem Jahr nicht ganz geöffnet. Aber vor der Nordküste Grönlands und westlich davon vor der kanadischen Ellesmere Insel gibt es größere Flächen offenen oder halboffenen Wassers. Eigentlich sollten sich dort etliche Meter dickes Eis stauen.
Bis vor wenigen Jahren war dies die Region mit dem dicksten und ältesten Eis, aber inzwischen ist das mehr als zwei Jahre alte und damit deutlich dickere Eis auf dem arktischen Ozean zur großen Rarität geworden. Die Konsequenz: Die Eisbedeckung wird empfindlicher und kann im Sommer leichter gänzlich auftauen.
Zerstörungswut?
Hierzulande haben einige allerdings den Schuss noch immer nicht gehört. Der Braunkohlekonzern LEAG, ein verschachteltes Konstrukt aus Gesellschaften mit beschränkter Haftung und einer tschechischen Muttergesellschaft mit Sitzen in verschiedenen Steueroasen, scheint besonders sorgfältig verstopfte Ohren zu haben.
Anfang letzter Woche hat die LEAG im ostsächsischen Dorf Miłoraz/Mühlrose (Lausitz) zwei Häuser abreißen lassen, obwohl die unter dem Dorf liegende Kohle mit dem für spätestens 2036 angestrebten Ausstieg aus der Kohlenutzung gar nicht mehr benötigt wird. Zudem ist die rechtliche Grundlage äußerst fraglich, da das Unternehmen nicht über die bergrechtliche Genehmigung für den Abbau verfügt.
So sieht es zumindest ein für die Klimaallianz erstelltes Rechtsgutachten. Die Genehmigung für den Kohleabbau läge in weiter Ferne und die LEAG habe daher trotz Umsiedlungsvertrag kein Recht mit ihren Abrissarbeiten den Ort uneingeschränkt zu beeinträchtigen.
Kritik an LEAG
Die Linkspartei schließt sich der Kritik an. In einem offenen Brief einer ihrer Lausitzer Landtagsabgeordneten heißt es:
Die Zerstörung von Wohnhäusern wollen Sie vornehmen, obwohl es noch keine bergrechtliche Genehmigung zur Abbaggerung von Mühlrose gibt und obwohl laut einer kürzlich erschienenen Studie von Ernest & Young im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums ebenso wie Berechnungen von Pao-Yu Oei, Leiter der CoalExit Forschungsgruppe; DIW Berlin und TU Berlin (...) bestätigen, dass die im Rahmen des Kohleausstiegsgesetzes vereinbarten Kohlemengen den Abbau der unter Mühlrose lagernden Braunkohle nicht erfordern.
(...) Ich frage Sie, welchen Nutzen die Zerstörung von funktionstüchtigen Häusern hat, wenn damit in das Dorfleben von Mühlrose unwiederbringlich eingegriffen wird und das Dorfbild, Ortskultur und brauchbare Ressourcen zerstört werden?
Antonia Mertsching, Linksfraktion im sächsischen Landtag
Kritik hagelt es auch von den in Sachsen mitregierenden Grünen. Daniel Gerber, energie- und klimapolitischer Sprecher ihrer Landtagsfraktion, spricht von unglaublichen Vorgängen und einer Grenzüberschreitung und beruft sich ebenfalls auf die genannten Gutachten über die Kohlemengen. Die Zerstörung Zeuge von fehlender Wertschätzung LEAGs für die Gesellschaft.
Die LEAG hat seinerzeit das Braunkohlegeschäft von Vattenfall übernommen und dafür die Unterstützung sowohl der sächsischen als auch der Brandenburger Landesregierung bekommen. In beiden Bundesländern haben CDU und SPD besondere Schwierigkeiten, sich von der Braunkohle zu verabschieden, die ihnen ganz offensichtlich wesentlich näher steht als die Windenergie. In Sachsen wird ihr Ausbau mit restriktiven Abstandsregeln, wie es sie weder für Tagebaue noch für Kohlekraftwerke gibt, massiv behindert, in Brandenburg wurden die Ausbauziele heruntergeschraubt.
Tesla nicht bei allen willkommen
Das hindert Brandenburgs sozialdemokratischen Ministerpräsidenten nicht daran, sich mit Teslas geplanter Fabrik für Elektroautos zu schmücken. Diese soll im Berliner Umland in einem Trinkwasserschutzgebiet entstehen. Woidke behauptet allen Ernstes, dass er mit Teslas Ressourcen fressenden Elektrokolossen für den motorisierten Individualverkehr Klimaneutralität schaffen wolle.
Teslas Werk soll in Grüne Heide am östlichen Stadtrand von Berlin entstehen. Umfangreiche Rodungs- und Erdarbeiten wurden bereits ausgeführt. Bürgerinitiativen und ein Teil der Anwohner sorgen sich unter anderem um die Trinkwasserversorgung der trockenen Region, die durch den hohen Wasserverbrauch der geplanten Fabrik zusätzlich unter Druck geraten könnte. Die Einwendungsfrist gegen den längst begonnenen Bau ist gerade abgelaufen, aber verschiedene Verbände haben eine Petition gestartet.
In dieser werden die mit vorläufigen Genehmigungen seit dem Winter geschaffenen Fakten kritisiert. Man wolle den Bau in einem Trinkwasserschutzgebiet nicht hinnehmen. Für die dortigen Gewässer und Grundwasservorkommen gebe es nach der EU-Wasserrahmenrichtlinie ein "Verschlechterungsverbot" gegen das schon jetzt verstoßen werde. Mit dem Betrieb der Fabrik sei es absehbar, dass auch zukünftige massive Verstöße vorkommen werden.
Söder, Scheuer und die Verbrenner
Dann war da noch das Verbot für Autos mit Verbrennungsmotoren ab 2020, das der seinerzeitige CSU-Generalsekretär Markus Söder einst forderte. Die Idee hatte er allerdings bereits 2007, noch vor seiner Zeit als bayerischer Ministerpräsident. Nur leider dachte die deutsche Automobilbranche nicht daran, ernsthaft andere Antriebe zu entwickeln. Man war mit Wichtigerem beschäftigt, mit der Entwicklung illegaler Betrugssoftware zum Beispiel. Und Söder hat zwischenzeitlich in Konrad Adenauers Leitsprüchen geblättert und wähnt sich inzwischen vermutlich weiser.
Heute, 2020, scheint Söder daher nichts dagegen zu haben, wenn sich sein Parteifreund Andy Scheuer vor dem sogenannten Auto-Gipfel erneut für den subventionierten Verkauf von Benzinern und Dieselfahrzeugen stark macht.
Über die Ergebnisse des Gipfels war bei Abgabe dieses Beitrags noch nichts bekannt. Die Umweltorganisation Robin Wood nutzte die Gelegenheit, um vor dem Tagungsort, dem Berliner Kanzleramt, gegen den Autobahnbau zu protestieren. Eine 40 Kilometer lange Autobahn solle den Dannenröder Wald in Osthessen zerschneiden. Der Wald habe zum Teil 300 Jahre alte Bäume und werde naturnah bewirtschaftet.
Beim Autogipfel wird Elektromobilität als Ausweg aus der Klimakrise verkauft. Klimaschutz geht anders: Wälder erhalten und auf den Ausbau von Autobahnen verzichten. Wir brauchen intelligente Mobilitätskonzepte für Menschen und Güter und keine neuen Asphaltpisten.
Dominique Just, Verkehrsreferentin bei Robin Wood
Baggerbesetzer frei
Schließlich wäre noch zu berichten, dass auch in der Tschechischen Republik Kohlewirtschaft und Tagebaue nicht mehr widerstandslos hingenommen werden. Am Wochenende gab es im nordwesttschechische Vršany eine Tagebau-Besetzung, die sehr den in den letzten Jahren in Deutschland durchgeführten Aktionen zivilen Ungehorsams in den Braunkohleregionen ähnelte. Auch die Forderungen sind sehr ähnlich: Erneuerbare Energieträger in der Hand von Kommunen und örtlichen Genossenschaften statt Kohle, gesunde Umwelt und menschenwürdige Arbeitsplätze werden verlangt.
Hierzulande sind die Besetzer eines Braunkohlebaggers im rheinischen Braunkohlerevier endlich wieder frei, von denen wir letzten Wochen berichtet hatten. Am Sonntag vor einer Woche waren sie festgenommen und erst am Freitag wieder freigelassen worden, wie die Berliner taz schreibt. Fünf Tage in Haft ohne Anklage, Richterbeschluss oder Prozess. Die neuen Polizeigesetze machen es möglich.
Ein Skandal für sich, dass so etwas überhaupt zulässig ist, dass Polizeibeamte sich quasi zu strafenden Richtern aufschwingen dürfen. Und ein besonderer Skandal, dass das angesichts der sich entfaltenden Klimakrise gegen zum Teil sehr jungen Menschen eingesetzt wird und zum Schutz wirtschaftlicher Interessen, die an der Zerstörung von Dörfern und Umwelt bis zur aller letzten Sekunde weiter verdienen wollen.
Ein Skandal auch die zum Teil entwürdigenden Haftbedingungen, die die Inhaftierten mit einem Hungerstreik beantworteten. Die als Haftgrund angegebene Identitätsfeststellung wurde offenbar nicht ernsthaft weiter verfolgt.