Für die Präsidentschaftswahlen soll der Front National für die Mittelschicht attraktiv werden
Wer hat Angst vor Marine Le Pen? Teil 2
Der Sexskandal rund um den ehemaligen IWF-Präsidenten Dominique Strauss-Kahn, scheint bislang nichts an den politischen Fronten in Frankreich zu verändern. Auch nicht für die extrem rechte "Front Nationale", die weiterhin mit stolzen 24 % zugeneigter Wähler den Konservativen und den Sozialdemokraten kalte Scheuer über den Rücken jagt.
Teil 1: Frankreich nach dem Fall von Strauss-Kahn
Falls sich dieser vorhergesagte stolze Stimmenanteil für den FN weiterhin halten sollte, wird es voraussichtlich auch Marine Le Pen in den zweiten Durchgang der Präsidentschaftswahlen 2012 schaffen. Ganz so wie der Herr Papa, Jean Marie Le Pen, der 10 Jahre zuvor zum Schrecken einer Mehrheit von Franzosen es am 21.April 2002 in den zweiten Durchgang der Präsidentschaftswahlen geschafft hatte.
Le Pen junior, 42 Jahre alt, will hoch hinaus und es noch besser machen als ihr Herr Papa, der 2002 selbst am meisten von seinem Erfolg überrascht zu sein schien, als er den Sozialisten Lionel Jospin, aus dem Präsidentschaftsrennen geschlagen hatte. Le Pen Vater erschien damals auf den TV-Schirmen nicht sonderlich glücklich über den sichtbar unerwarteten Vorstoß in den zweiten Durchgang der französischen "Königswahlen". Tochter Marine allerdings will es offenbar wirklich wissen und nicht bloß die Parteisubventionen einkassieren.
Die gelernte Anwältin will es ernsthaft versuchen, Staatsoberhaupt zu werden oder zumindest in der französischen Politik dauerhaft mitmischen. Ihrem Herren Papa ging es während seiner politischen Karriere wohl vor allem darum, mit wagemutigen Aussagen die mediale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Motto: Ich provoziere, also bin ich. So wurden die Gaskammern in seinem Mund zu einem "Detail der Geschichte" des Zweiten Weltkrieges erklärt. Tochter Marine, meint nun hingegen, dass die "Lager einen Höhepunkt der Barbarei" dargestellt hätten, wie der staatliche Sender France 2 zu berichten weiß.
Marine Le Pen hat Ende Januar 2011 die Macht über den "Front National" von ihrem Altvorderen übernommen. 39 Jahre nachdem der FN gegründet wurde. Nun geht es der Tochter darum, eine mögliche FN-Wahl zu banalisieren, und ihre Partei einer breiteren Wählerschicht schmackhaft zu machen. Was ihr bei der Arbeiterschicht bereits zu gelingen scheint. Laut einer Meinungsumfrage sollen 36 % der Arbeiter im April angegeben haben, dass sie gedächten 2012 Marine Le Pen im ersten Durchgang zu wählen. Weit vor den Sozialisten und der regierenden UMP
Deswegen dürfte wohl das Eigenschaftswort "sozial" regelmäßig im öffentlichen Diskurs Marine Le Pens auftauchen. Nicht zu vergessen ein weiteres von ihr gepredigtes Schlagwort, das von einer "nationalen Präferenz" spricht. National und Sozial? Eine Kombination von Eigenschaftswörtern, die doch seltsam vertraut klingt. Man verwandle bloss sozial in sozialistisch.... Doch, nein, nein. Marine Le Pen, stellt laut eigenen Aussagen keineswegs mehr den alten rechtsextremistischen Front National dar, und sie Marine, sei weder rechts noch links. Ihre Partei stehe nun dank ihr weit über solcherlei "altmodischen" Klassifizierungen. So zitiert sie allzu gerne sozialistische Leitfiguren wie Jean Jaurès herbei, um ihre soziale Ader und politische Unabhängigkeit hervorzustreichen. Eine Taktik, die übrigens auch Sarkozy bei der Präsidentschaftskampagne 2007 angewendet hatte. Auch da musste bereits die sozialistische Ikone Jaurés herhalten. Ähnlichkeiten unter lebenden Politikern sind natürlich rein zufällig.
Den angeblichen Wandel des FN kann man an der medialen Wahrnehmung nachvollziehen: Marine wird in den französischen Medien immer seltener als Rechtsextremistin bezeichnet, sondern mit vagen Begriffen wie z.B. "neopopulistisch" bezeichnet. Wie man nun ihre politische Couleur genau bezeichnen soll, scheint keiner mehr so genau zu wissen. Auch die internationalen Medien, welche sich bereits für den Fall Marine Le Pen, zu interessieren beginnen, vermeiden tunlichst Erinnerungen an vergangene "Barbareien". Die New York Times bewältigte das Dilemma der Medien folgendermaßen: "Marine Le Pen, France's (Kinder, Gentler) Extremist."
Skinheadallüren verboten!
Marine Le Pen werkt derweilen fleißig weiter daran, den FN von jeglichem Anhauch von Rechtsextremismus reinzuwaschen. Zumindest an der Oberfläche. So hatte sie für den traditionellen 1. Mai Aufmarsch des Front National, an dem der nationalistisch ausgeschlachtete Mythos der Jeanne d'Arc ausgeschlachtet wird, Teilnehmern des Aufmarsches jegliche sichtbare Skinhead ähnliche Allüren, Bomberjacken, Kampfstiefel und ähnliches kurzum verboten. Als ein FN-Kandidat der Kantonalwahlen im letzten März den Arm zum Hitlergruss hoch streckte und blöderweise dabei fotografisch ertappt wurde, enthob ihn Marine vorläufig seiner Kandidatur. Es gilt, das Image der FN zu normalisieren.
Doch soll mit diesen "Banalisierungsversuchen" des FN, keineswegs die angestammte Wählerschaft verschreckt werden. Für den 1. Mai-Aufmarsch ward die Lösung schnell gefunden: So wurden vorsorglich zwei Plakatversionen für den Aufmarsch gedruckt: Auf der einen lautete der Slogan: "Mit Marine, für einen sozialen Frühling", auf der zweiten war die Rede von einem Jeanne d'Arc-Aufmarsch die Rede..
Es gilt nun auch die Mittelschicht von der Banalität einer FN-Wahl zu überzeugen. Angeblich seien mittlerweile schon 52% der Franzosen davon überzeugt, dass der Front National eine Partei wie jede andere sei. Was noch 2002 nach dem Le Pen Vater Trauma undenkbar gewesen wäre. Der Schock des ersten Durchgangs hatte damals Tausende von Franzosen auf die Straße getrieben und Jacques Chirac in einer Art "Anti-Le-Pen-Referendum" mit 82,21 Prozent der abgegebenen Stimmen zu einen überwältigenden Sieg verholfen. Merci Jean Marie! Kann Marine Sarkozy oder einem bzw. einer Sozialistin 2012 ähnliche Dienste leisten?
Marine sprengt alle Ketten der Franzosen!
Sofern sie natürlich "echte" Franzosen sind. "Français de souche" (angestammte Franzosen), wie es neuerdings in der Klassifizierung der Einheimischen so schön heißt. Bei ihrer 1. Mai -Ansprache brachte Marine Le Pen ihr politisches Programm für den "erneuerten" Front National so auf den Punkt:
Sprengen wir die Ketten des französischen Volkes! (...) In einem Jahr (knapp vor dem zweiten Durchgang der Präsidentschaftswahlen) sind wir nur wenige Tage vom französischen Frühling entfernt!
Es gelte für die Franzosen ihre Freiheiten in Sachen Euro, Globalisierung, Immigration oder der herrschenden Unsicherheit (l'insécurité) wiederzuerlangen. Diese Parolen richtete sie vor der Statue der Jeanne d'Arc in Paris an ihre Anhänger, die sich folgsam nicht mehr mit zu kurzen Haaren blicken ließen. Sie ruft Frankreich dazu auf, sich von der Europäischen Union zu befreien, die "nichts anderes tut, als uns zu schwächen und unsere Freiheiten zu reduzieren". Der Sturz des Euro sei ohnehin schon absehbar, aber es bliebe tabu öffentlich davon zu sprechen.
Die Frontex, die europäische Agentur für die Kontrolle der Außengrenzen der EU, wird von Marine Le Pen, folgendermaßen angekreidet: "Das Haus ist offen und wir haben den Schlüssel des Gartens einem Unbekannten anvertraut, so dass jedermann auch ohne unser Einverständnis in unserem Heim Einzug halten kann." Neustes Steckenpferd, der FN-Präsidentin: Das Parlament möge die Möglichkeit einer Doppelstaatsbürgerschaft abschaffen, würde diese doch bei den Mitbürgern, das Gefühl abschwächen, einer Schicksalsgemeinschaft anzugehören und somit den Staat an der Basis aushöhlen, wie die europäische Abgeordnete erklärt. Interessanterweise wird auf der Beschreibung des EU-Parlaments Marine Le Pen, als "fraktionslos" angeführt. Die FN wird nebenbei erwähnt. Als ob sich die EU seiner extremen Rechtspopulisten schämen würde?
Bei ihrer Ansprache zu ihrer Angelobung zur Präsidentin des Front National im letzten Januar erinnerte sie als aufrechte Französin, die sie ist, an die Deklaration der Menschenrechte und "Pflichten" von 1789, die sich der Front National auf die Fahnen geheftet hätte: "Diese Rechte sind Freiheit, Eigentum, Sicherheit und Widerstand gegen die Unterdrückung." Marines Lieblingsworte sind neuerdings die Republik, die Freiheit und der Laizismus, was für die alte FN undenkbar gewesen wäre. Auch predigt sie einen "starken Staat", der mit seinen öffentlichen Institutionen ein Bollwerk gegen die Unterdrückung der Bürger durch die Allmacht des Geldes darstelle:
Wir wollen den Franzosen für die kommenden Wahlen eine Politik präsentieren, die wieder Ordnung in den Nationalstaat bringt und die Souveränität wiederherstellt. Wir wollen eine Revitalisierung der Demokratie durch eine Beteiligung der Bürger bei den Dingen, die sie angehen.
Marine setzt die politische Agenda
Ob nun Marine Le Pen, mit ihrer nationalistischen und betont sozialen Propaganda von den Franzosen 2012 tatsächlich mit Macht ausgestattet wird, sei noch dahingestellt. Eines ist jedenfalls jetzt schon gewiss: Sie gibt der rechten Reichshälfte bereits die politische Agenda vor. So kann man den Innenminister Claude Geant mit FN-gleichen Parolen hantieren sehen, die da etwa lauten: "Es ist wahr, dass zwei Drittel der Kinder von Immigranten ohne jegliches Abschlussdiplom aus Schulsystem ausscheiden." Die Integration à la française habe endgültig versagt. Zudem will der Innenminister, der wohl der Stimme seines Herren Sarkozy lauscht, die legale Immigration reduzieren. Der Innenminister will die Anzahl der legalen Immigranten von 200.000 auf 180.000 senken. Denn, wie der Innenminister treuherzig erklärt, sei es eine Legende, dass "wir die Talente und Kompetenzen der Immigranten brauchen. Zur Zeit kommen bereits 2.000 Personen zu diesem Behufe. Aber wir brauchen keine Maurer oder Kellner. Es gibt in Frankreich genug Franzosen, die das erledigen können." Solcherlei "patriotische" Parolen hätten aber rein gar nichts mit dem Slogan der FN: "Die Arbeit den Franzosen!" gemein. Gueant, unterstreicht den Unterschied der Regierungspartei zum FN folgendermaßen:
Die Worte des Front Nationale haben überhaupt keinen Bestand. Und nie sind dessen Ideen oder Worte von uns verwendet worden. (...) Es wäre ein großer Fehler der republikanischen Familie, dem Front die Exklusivität über die Leiden der Franzosen zu überlassen. Man sollte sich viel eher darüber freuen, dass eine Partei (UMP) sich eines Problems annimmt, um es auf republikanische Art und Weise zu regeln.
Frage: Wenn die FN keine republikanische Partei ist, wie es offenbar Herr Gueant andeutet, was ist sie dann? Unausgesprochenerweise, versteht sich.
Frankreich nach dem Fall von Strauss-Kahn. Wer hat Angst vor Marine Le Pen? Teil 1