Für eine allgemeine, einheitliche und solidarische Bürgerversicherung

Abschaffung des dualen Systems der Krankenversicherung könnte erster Schritt zu umfassender sozialer Sicherung sein. Plädoyer für eine gerechte und solidarische Gesundheitsversorgung. (Teil 3 und Schluss)

Der erste Teil dieser Artikelserie handelt von neuen Erkenntnissen über Auswirkungen der sozialen Ungleichheit auf viele Kennzeichen der gesellschaftlichen Entwicklung und zeigt, dass eine Verringerung der Ungleichheit auch ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung der lebensstilbedingten chronischen Krankheiten sein kann.

Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Prävention lebensstilbedingter chronischer Krankheiten und deren Ursachen und was dagegen zu tun ist.

Solidarische Gesundheitsversorgung

Deutschland leistet sich als einziges europäisches Land ein duales System einer gesetzlichen und privaten Krankenversicherung (GKV und PKV), das aus sozialpolitischer Sicht keinen Sinn macht.1

In der GKV sind etwa 90 Prozent aller versicherungspflichtigen Bürger mit einkommensabhängigen Beiträgen bis zur Beitragsbemessungsgrenze versichert, die derzeit bei einem Monatseinkommen von circa 5.000 € brutto liegt. Es handelt sich um eine einheitliche Vollversicherung.

Der PKV dagegen gehören etwa zehn Prozent der Bevölkerung an. Die meisten sind Akademiker, Beamte oder Selbstständige. Sie zahlen risikoabhängige Beiträge und haben nur Anspruch auf die vereinbarten Leistungen.

Die GKV ist seit der Einführung durch Bismarck 1883 ein Erfolgsmodell und Kernstück unserer sozialen Sicherung. Es beruht auf drei Prinzipien, dem der Solidarität, der Beitragsfinanzierung und der Versicherungspflicht.

Das Prinzip der Solidarität bedeutet, dass die Risiken von allen Versicherten gemeinsam getragen werden, weil die Leistungen unabhängig von der Höhe des Beitrags sind. Es besteht ein solidarischer Ausgleich zwischen Gesunden und Kranken. Die Besserverdienenden sind hiervon allerdings vorwiegend ausgenommen, da sie überwiegend nicht in der GKV, sondern in der PKV versichert sind.

Das Prinzip der Beitragsfinanzierung bedeutet, dass die Beiträge der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber auf der Basis des jeweiligen Bruttoeinkommens geleistet werden, und das Prinzip der Versicherungspflicht hat zur Folge, dass bis zur Versicherungspflichtgrenze der weitaus größte Teil der Bürger in der GKV krankenversichert ist.

Die Finanzierung der GKV steckt jedoch in einer Krise. Das Hauptproblem ist, dass seit den letzten Jahrzehnten die Einnahmen gesunken sind, da die Arbeitnehmerentgelte stagnieren beziehungsweise sinken und Arbeitgeberbeiträge vom Gesetzgeber eingefroren sind (Abschaffung der paritätischen Finanzierung).

Daneben ist eine moderate Ausgabensteigerung durch demografische Faktoren (Zunahme der Zahl chronisch Kranker) und eine die Kosten in die Höhe treibende Weiterentwicklung der Medizin festzustellen.

Die Folgen sind, dass in den letzten Jahrzehnten die prozentualen Krankenversicherungs-Beiträge der Arbeitnehmer gestiegen sind und wahrscheinlich in Zukunft noch weiter steigen werden.

Außerdem ist es zu einer Entsolidarisierung der Arbeitgeber gekommen. Deshalb sind höhere Zuschüsse aus Steuern für die GKV erforderlich, der Leistungskatalog wurde reduziert und wird in Frage gestellt, die Zuzahlungen der Versicherten haben zugenommen, und es hat sich sozialer Sprengstoff durch eine wachsende Tendenz zur Zwei-Klassen-Medizin entwickelt.

Aus diesen Gründen ist eine Weiterentwicklung der GKV zu einer solidarischen Bürgerversicherung dringend geboten. Dabei handelt es sich um eine einheitliche Pflichtversicherung für alle Bürger, die die Besserverdienenden einschließt und dadurch eine Stärkung des Solidarprinzips bedeutet. Weiterhin sollte die paritätische Finanzierung wiederhergestellt werden.

  • Stärkung des Solidarprinzips durch einheitliche Pflichtversicherung für alle Bürger
  • Wiederherstellung der paritätischen Finanzierung
  • Gerechte Beitragsermittlung auf der Basis aller Einkommensarten (auch Zinsen, Dividenden, Miet- und Pachterlöse) und schrittweise Heraufsetzung bzw. Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze
  • Weiterführung des Sachleistungsprinzips
  • PKV beschränken auf die Versicherung von Zusatzleistungen

Im Zentrum dieses Konzeptes stehen eine gerechte Beitragsermittlung auf der Basis aller Einkommensarten und die schrittweise Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze bis hin zu deren eventueller Abschaffung. Die PKV könnte dann auf die Versicherung von Zusatzleistungen beschränkt werden.

Für eine einheitliche und solidarische Bürgerversicherung im Bereich der Krankenversicherung besteht seit vielen Jahren eine hohe Zustimmungsrate in der Bevölkerung. Da deren Einführung die finanzielle Absicherung einer einheitlichen und solidarischen Gesundheitsversorgung für alle Bürger bedeuten würde, wäre das ebenfalls eine wichtige Maßnahme einer Sozialpolitik, mit der mehr Gleichheit in unserer Gesellschaft erreicht werden könnte.

Mehr Gleichheit bei der Gesundheitsversorgung könnte zu weniger Statuskonkurrenz und weniger Stress in der Gesellschaft führen. Vielleicht könnte die Einführung einer solidarischen Bürgerversicherung auch dazu beitragen, den sozialen Gradienten bei der Häufigkeit chronischer Krankheiten abzubauen. Sie wäre dann ebenfalls ein eigenständiger Beitrag zur Prävention chronischer Krankheiten.

Und schließlich könnte die Einführung einer einheitlichen und solidarischen Bürgerversicherung im Bereich der Krankenversicherung der erste Schritt sein zu einer umfassenden sozialen Sicherung, die zusätzlich die Pflege- und die Rentenversicherung einbezieht und nach den gleichen grundlegenden Prinzipien aufgebaut ist.2

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